Keine Schweigepflicht bei Impfpassfälschung |
Ev Tebroke |
03.02.2022 16:00 Uhr |
Im Zuge verschärfter Corona-Maßnahmen für Ungeimpfte sehen sich Apotheken zunehmend mit gefälschten Impfausweisen konfrontiert. Bei Verdacht auf Vorliegen einer Fälschung darf das Apothekenpersonal trotz Schweigepflicht Anzeige erstatten. / Foto: Imago Images/Future Image
Tagtäglich stellen Apotheken bundesweit zahlreiche Covid-19-Impfzertifikate aus. Dabei sind sie immer wieder auch mit offensichtlich gefälschten Impfausweisen konfrontiert. Das Thema hatte in den letzten Wochen zunehmend an Fahrt genommen: Parallel zu den verschärften Corona-Maßnahmen für Ungeimpfte stieg hierzulande auch die Zahl der Fälle, in denen die Behörden wegen des Fälschungsverdachts ermitteln. Zuletzt war von rund 12.000 laufenden Verfahren die Rede.
Für das Apothekenpersonal ist die Vorgehensweise bei einem Verdacht auf eine Impfpassfälschung eine Art Vabanquespiel: Denn laut § 203 Strafgesetzbuch (StGB) unterliegt das gesamte Apothekenpersonal einer gesetzlichen Schweigepflicht. Gleichzeitig handelt es sich bei einer Impfpassfälschung um den Strafbestand der Urkundenfälschung. Und vor dem Hintergrund der Corona-Pandemie besteht aufgrund einer solchen Fälschung eine erhebliche Gefährdung der Allgemeinheit. Diese für Apothekenpersonal schwierige Situation hatten zuletzt auch einige Juristen gegenüber der PZ erläutert. Aufgrund der Gefährdung für die Allgemeinheit, die in Pandemiezeiten von Impfpassfälschungen ausgeht, hatte der Gesetzgeber auch jüngst im Zuge verschärfter Infektionsschutz-Maßnahmen das Fälschen von Impfausweisen unter Strafe gestellt.
Aber obwohl sich viele Juristen und Generalstaatsanwaltschaften als auch politische Instanzen wie etwa das Justizministerium Niedersachsen dafür aussprechen, dass Apothekerinnen und Apotheker Impfpassfälschungen melden sollen und dafür von der Schweigepflicht absehen können, handelt es sich letztlich um eine juristische Grauzone mit möglichem Interpretationsspielraum. Das könnte sich jetzt mit einem aktuellen Urteil des Amtsgerichts Landstuhl ändern (Aktenzeichen: 2 Cs 4106 Js 15848/21). Das Gericht hält eine Verletzung der Schweigepflicht für gerechtfertigt, wenn Apotheker im Fall einer Impfpassfälschung diese bei der Polizei anzeigen. Nach Einschätzung der Landesapothekerkammer Rheinland-Pfalz handelt sich um die erste Entscheidung, die sich »ausdrücklich mit der in den vergangenen Wochen diskutierten Frage der Schweigepflichtverletzung bei der Anzeige von Impfpassfälschungen auseinandergesetzt hat«.
In dem vorliegenden Fall hatte ein Mann am 14. Dezember 2021 versucht, in einer Apotheke im Landkreis Kaiserslautern mithilfe eines gefälschten Impfausweises ein digitales Impfzertifikat zu erhalten. Eine Überprüfung der in den Impfpass aufgeklebten Chargennummern durch die Apothekenmitarbeiter ergab, dass diese bereits am 31. August 2021 abgelaufen waren und somit die im Impfpass eingetragene Impfung am 29. November 2021 nicht plausibel war. Daraufhin hatten das Apothekenpersonal die Polizei verständigt.
Das Gericht sah den Fälschungsversuch als erwiesen an und hat den Mann wegen Urkundenfälschung verurteilt. Im Rahmen eines möglichen Verbots der Beweisverwertung war das Gericht auch der Frage nachgegangen, welche Konsequenzen sich für Apotheker aufgrund der Verletzung der ihrer Schweigepflicht ergeben können. Die Antwort: keine. Denn in dem vorliegenden Fall sieht das Gericht die Verletzung der Schweigepflicht gerechtfertigt an.
»Ungeachtet der Frage, ob eine Schweigepflichtverletzung in der vorliegenden Konstellation überhaupt ein Beweisverwertungsverbot begründen könnte, wogegen nach Ansicht des Gerichts gewichtige Argumente sprechen, waren die Apothekenmitarbeiter zur Einschaltung der Polizei und zur Offenbarung ihrer Erkenntnisse jedenfalls berechtigt. Die tatbestandliche Verwirklichung von § 203 StGB ist gerechtfertigt«, heißt es in dem Urteil vom 25. Januar 2022.
Der Notstand, der ein solches Handeln des Apothekenpersonals legitimiert, ist laut Amtsgericht in § 34 StGB gegeben. »Es ist regelmäßig davon auszugehen, dass gefälschte Impfpässe in Apotheken vorgelegt werden, um mit dem Erhalt des Covid-Zertifikats am öffentlichen Leben teilzunehmen«, heißt es in der Urteilsbegründung. »Angesichts des Umstands, dass in allen Bundesländern mehr oder weniger einheitliche Regelungen zum Schutz des Gesundheitssystems vor einer durch zu viele schwere Verläufe der Erkrankung verursachten Überlastung sowie zum Schutz von Individuen vor den Gesundheitsgefahren, die mit einer solchen Erkrankung einhergehen, geschaffen wurden, die an den Impfstatus anknüpfen, stellt eine Umgehung des zur Teilnahme am öffentlichen Leben in vielen Bereichen erforderlichen Impfnachweises eine Dauergefahr für Leib und Leben sowie für das Schutzgut der Funktionsfähigkeit der Gesundheitsfürsorge dar«, so die Argumentation des Gerichts.
»Selbst für den Fall der Verweigerung der Ausstellung des Impfzertifikats durch die Apothekenmitarbeiter wäre naheliegend davon auszugehen, dass der Angeklagte einen erneuten Versuch in einer anderen Apotheke unternommen hätte, in der die Fälschung möglicherweise nicht auffällt, sodass in der Folge eine Realisierung der Gefahr konkret zu besorgen war.« Da die Person also jederzeit an anderer Stelle mit seinem Vorgehen Erfolg haben könnte, wenn nicht konsequent gegen den Gebrauch des gefälschten Impfausweises eingeschritten wird, »sind Apothekenmitarbeiter in solchen Fällen regelmäßig aus § 34 StGB berechtigt, eine vermeintliche Impfpassfälschung anzuzeigen«.
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