Kardiotoxizität ist nicht häufig, aber oft gravierend |
Daniela Hüttemann |
15.11.2024 16:20 Uhr |
Viele Arzneistoffe können das Herz aus dem Takt bringen. Das Long-QT-Syndrom wird Apothekern regelmäßig als Warnhinweis angezeigt. / © Adobe Stock/Rob Hyrons
»Kardiotoxische Nebenwirkungen sind in präklinischen und auch klinischen Studien bislang schwer zu erfassen«, berichtete die Pharmakologie-Professorin Dr. Kristina Lorenz vergangenes Wochenende bei der Scheele-Tagung in Warnemünde, die ganz im Zeichen der Kardiologie stand. In den vergangenen Jahrzehnten seien 14 Prozent der zugelassenen Medikamente aufgrund unerwünschter Effekte am Herzen wieder zurückgerufen worden, allerdings mit abnehmender Tendenz in den letzten Jahren. Prominentes Beispiel: Rofecoxib (Vioxx®). Auf regulatorischer Ebene müssten präklinische und klinische Studien optimiert werden.
»Man ist sich heute des Risikos bewusster und solche Arzneimittel sind kürzer auf dem Markt als früher«, berichtete die Direktorin des Instituts für Pharmakologie und Toxikologie der Julius-Maximilians-Universität Würzburg. Das Problem: »Die Regenerationsfähigkeit des Herzens ist sehr gering. Es kommen so gut wie keine neuen Herzmuskelfasern dazu und im Alter sinkt die Regenerationsfähigkeit der einzelnen Zellen noch weiter.«
Bei akuter Toxizität, zum Beispiel durch Digitalis oder Lokalanästhetika, können Arrhythmien und Herzinfarkt die Folge sein, bei chronischer Schädigung Herzmuskelentzündungen, Herzinsuffizienz und anhaltende Arrhythmien, beispielsweise durch Zytostatika, aber auch Alkohol.
»Wir kennen viele Mechanismen noch nicht, aber es wird intensiv daran geforscht«, berichtete Lorenz, deren eigener Schwerpunkt auf dem Gebiet liegt. Die Angriffspunkte sind vielfältig: So greifen beispielsweise Tyrosinkinasehemmer in Wachstumsfaktor-Signalwege und das Calcium-Cycling ein. Letzteres ist für die Kontraktilität des Herzens wichtig.
Viele Psychopharmaka, aber auch Antibiotika, Protonen-Pumpen-Inhibitoren (PPI) und Antiallergika blockieren Ionenkanäle am Herzen, was sich besonders bei Personen mit unvorteilhaften Mutationen an diesen Proteinen oder kardialen Vorerkrankungen auswirkt. »Die Erregungsphase ist verlängert und die Rückbildung verzögert, dadurch kann das Herz aus dem Takt geraten«, erklärte Lorenz.
Eine den Apothekern gut bekannte Nebenwirkung am Herzen ist die QT-Zeit-Verlängerung. Es kann anfallsweise zu Herzrasen, Schwindel und Übelkeit bis hin zu lebensgefährlichem Kammerflimmern und dem plötzlichen Herztod kommen.
»Relativ klassenunabhängig mögen viele Arzneistoffe den hERG-Kanal, der für einen schnellen Ausstrom von Kaliumionen zuständig ist«, berichtete die Referentin. Bislang gebe es leider keinen einfachen Test auf entsprechende Variationen, daher können Risikopersonen nicht genau identifiziert werden. Als Risikofaktoren gelten zudem das weibliche Geschlecht, höheres Alter, Patienten mit Hypokaliämie oder Hypomagnesiämie, Herz- oder Niereninsuffizienz, Hypothyreose sowie die Anwendung von Diuretika und PPI.
Generell gilt: »Die Häufigkeit, ob ein Long-QT-Syndrom ausgelöst wird, variiert stark zwischen den Pharmaka. Eine Einschätzung erlaubt die Datenbank crediblemeds.org«, gab Lorenz einen konkreten Recherchetipp. »Kardiologen und Psychiater haben diese Nebenwirkung normalerweise auf dem Schirm und kontrollieren das EKG regelmäßig«, so die Pharmazeutin. »Eine Nachfrage beim Arzt ist aber sinnvoll, wenn die Apothekensoftware mehrere Arzneimittel mit dieser Nebenwirkung anzeigt oder ein neues QT-Zeit-verlängerndes Arzneimittel zu anderen hinzukommt.«
Weitere kardiotoxische Effekte sind Thromben und Gefäßentzündungen, zum Beispiel durch nicht steroidale Antirheumatika (NSAR), insbesondere Coxibe, Diclofenac und Ibuprofen. Vor allem bei Personen mit Herzinsuffizienz oder ischämischen Erkrankungen sollte man das Nutzen-Risiko-Verhältnis streng abwägen, eine niedrige Dosierung wählen oder nach Möglichkeit auf andere Arzneistoffe ausweichen. »Fragen Sie bei der Abgabe dieser Schmerzmittel am besten, ob Blutdruck und Herz in Ordnung sind, und weisen Sie daraufhin, dass beim Sport Vorsicht geboten ist.«
Bei manchen Krankheiten müsse man eine bekannte Kardiotoxizität in Kauf nehmen, zum Beispiel bei Krebs. »Hier sind Ansätze zur Risikoreduktion wichtig«, so Lorenz und nannte als Beispiel liposomale Formulierungen von Anthrazyklinen oder die Gabe des Komplexbildners Dexrazoxan, das die Bindung an die kardiale Topoisomerase II beta verhindere. Derzeit entwickle die European Society for Cardiology (ESC) auch eine Leitlinie zur Einschätzung des Kardiotoxizitätsrisikos, inklusive notweniger Untersuchungen und Biomarker vor einer Tumortherapie.
In der Apotheke sollte man grundsätzlich auf Risikofaktoren des Patienten wie die oben genannten sowie Hypertonie, Diabetes und Übergewicht achten und Wechselwirkungen wie auch den Lebensstil im Auge haben, um das kardiotoxische Risiko einzuschätzen. Das gelte insbesondere bei Abgaben im OTC-Bereich inklusive NSAR oder beispielsweise Ephedrin-haltigen Präparaten, riet Lorenz. Auch PPI sollten nicht unnötig angewendet und Dauerverordnungen überprüft werden.