Interaktionspotenzial erschwert Paxlovid-Verordnung |
Daniela Hüttemann |
13.07.2022 07:00 Uhr |
Die typischen Risikopatienten für einen schweren Covid-19-Verlauf sind häufig auch diejenigen, die eine mit dem Covid-19-Medikament Paxlovid potenziell interagierende Medikation haben. / Foto: Getty Images/South_agency
Ältere und hochbetagte Menschen haben ein erhöhtes Risiko für einen schweren Covid-19-Verlauf und sollten daher bei einer SARS-CoV-2-Infektion möglichst frühzeitig mit einem Covid-19-Medikament behandelt werden. Doch eines davon, Paxlovid® mit den Wirkstoffen Nirmatrelvir und Ritonavir (NMV/r), hat ein großes Wechselwirkungspotenzial. Und gerade ältere Patienten nehmen häufig mehrere potenzielle Interaktionspartner regelmäßig ein.
Der dänische Infektiologe Professor Dr. Carsten Schade Larsen vom Universitätskrankenhaus Aarhus hat nun untersucht, wie häufig Wirkstoffe, die potenziell mit Paxlovid wechselwirken können, in der dänischen Bevölkerung ab 65 Jahre angewendet werden. Dazu wertete er alle ambulanten Verordnungen aus dem Jahr 2020 aus. Das Ergebnis präsentierte er vor Kurzem als »Short Communication« im »International Journal of Infectious Diseases«.
Demnach nimmt fast jeder fünfte Däne über 65 und sogar fast jeder dritte über 80 Jahre ein Antikoagulans ein. Die Paxlovid-Einnahme ist bei diesen Patienten kontraindiziert, weil das Virostatikum die blutverdünnende Wirkung abschwächen kann. Das würde das Risiko für thromboembolische Ereignisse erhöhen, weshalb das Absetzen des Antikoagulans für die Dauer einer Paxlovid-Therapie als nicht akzeptabel angesehen wird.
Auch mit Statinen zur Lipidsenkung besteht ein großes Interaktionspotenzial. 15 bis 18 Prozent der älteren Bevölkerung Dänemarks nehmen ein Statin ein, dessen Anwendung während einer Paxlovid-Behandlung pausiert werden müsste, zum Beispiel Simvastatin. Weitere 20 Prozent wenden ein Statin an, dessen Dosis während der Paxlovid-Behandlung angepasst werden müsste, zum Beispiel Atorvastatin. Bei weiteren 20 Prozent der Senioren liegt entweder die Anwendung eines Analgetikums, eines Calciumkanal-Blockers oder von Digoxin vor. Die Dosis dieser Arzneistoffe müsste ebenfalls angepasst werden.
Das Interaktionsmanagement von älteren Patienten mit Covid-19, die mit Paxlovid behandelt werden sollen, sei also überaus komplex, folgert Schade Larsen. Die einfachste Alternative ist die Covid-19-Therapie mit Molnupiravir (Lagevrio®), für das bislang keine klinisch relevanten Interaktionen bekannt sind. Möglich ist laut Schade Larsen auch die Infusion von Remdesivir (Veklury®).
»Vor der Verschreibung von NMV/r muss die vollständige Krankengeschichte des Patienten bekannt sein, einschließlich pflanzlicher Arzneimittel, rezeptfreier Medikamente und Drogen zu Genusszwecken«, rät der Autor. Die Behandlung müsse vom behandelnden Arzt oder einem Spezialisten sorgfältig überwacht werden, um schädliche Auswirkungen zu vermeiden.
»Allgemeinmediziner, die orale Virostatika gegen Covid-19 verschreiben, verfügen möglicherweise nicht über das erforderliche Fachwissen, um die anderen Arzneimittel des Patienten während der Covid-19-Behandlung sicher anzupassen«, schreibt Schade Larsen. »Begrenzte Erfahrung und fehlende Behandlungsrichtlinien erhöhen das Risiko, dass klinisch bedeutsame Wechselwirkungen in der Klinik übersehen werden.«
Es bestehe ein Bedarf an klaren und pragmatischen Behandlungsleitlinien für die Verschreibung von oralen antiviralen Medikamenten zur Behandlung älterer oder gefährdeter Covid-19-Patienten in der Allgemeinarztpraxis. Die Leitlinien sollten standardisierte Dosierungsprotokolle für häufig verwendete Medikamente, absolute Kontraindikationen und Vorschläge für die Substitution oder Unterbrechung von Behandlungen enthalten, wenn Interaktionen nicht vermieden werden können.
Bereits im Januar hatte die Arzneimittelkommission Deutscher Apotheker (AMK) in Zusammenarbeit mit der Abteilung für Klinische Pharmakologie und Pharmakoepidemiologie des Universitätsklinikums Heidelberg das Interaktionspotenzial von Paxlovid bewertet und in einer übersichtlichen Grafik zusammengefasst. Auch Handlungshinweise für verschiedene sehr häufig eingesetzte Arzneistoffe wurden genannt.
Darin wird empfohlen, Patienten unter Therapie mit den Statinen Atorvastatin, Lovastatin, Rosuvastatin, Simvastatin, den Blutverdünnern Apixaban, Dabigatran, Rivaroxaban und Phenprocoumon, den Gichtmitteln Colchicin und Fexofenadin, dem Antibiotikum Erythromycin, dem Asthma- und COPD-Mittel Salmeterol, Johanniskraut sowie vielen Psychopharmaka, Immunsuppressiva und Kinasehemmern besser mit Molnupiravir zu behandeln.