Innovationen für schwer betroffene Patienten |
Kerstin A. Gräfe |
15.09.2021 15:45 Uhr |
Juckreiz ist ein belastendes Symptom der atopischen Dermatitis. Mit Nemolizumab ist ein Antikörper in Erprobung, der gezielt das verursachende Interleukin 31 adressiert. / Foto: Adobe Stock/Olga Ternavskaia
»Die atopische Dermatitis hat eine hohe Relevanz auch für die öffentliche Apotheke wegen der Beratung, die zur Abgabe der relevanten Arzneimittel dazugehört«, sagte Professor Dr. Manfred Schubert-Zsilavecz von der Goethe-Universität in Frankfurt am Main am Dienstagabend auf der Expopharm Impuls. Was zeichnet die Erkrankung aus? Die atopische Dermatitis (AD), auch Neurodermitis genannt, sei eine Hautbarriere-Störung, die letztlich eine chronisch-entzündliche Erkrankung widerspiegele und zudem durch starken Juckreiz geprägt sei.
Das pathophysiologische Korrelat der Erkrankung sei inzwischen gut verstanden. In den letzten 20 Jahren habe es hinsichtlich der Therapieoptionen vor allem für Patienten, deren Erkrankung mittels topischer Therapien nur unzureichend kontrolliert werden kann, nur wenig Fortschritte gegeben. »Jetzt aber sehen wir ein Fenster weit offen mit vielen neuen Entwicklungen«, so der Apotheker. Neue Systemtherapeutika wie Januskinase (JAK)-Hemmer und monoklonale Antikörper eröffneten innovative Behandlungsmöglichkeiten, die die Krankheitslast auch bei schweren Verläufen und in der Langzeittherapie nachhaltig senken könnten.
JAK-Inhibitoren hemmen mit unterschiedlicher Selektivität die Signaltransduktion zahlreicher proinflammatorischer Zytokine. Mit Baricitinib (Olumiant®, Lilly) und Upadacitinib (Rinvoq®, Abbvie), die zunächst als Antirheumatika in den Markt gebracht worden waren, seien nun die ersten oralen JAK-Inhibitoren für die Behandlung der mittelschweren bis schweren AD zugelassen. Mit Abrocitinib könne bald ein weiterer oraler und mit Ruxolitinib auch ein topischer JAK-Inhibitor folgen. »Ob sich die JAK-Hemmer zukünftig durchsetzen werden, hängt primär von der Verträglichkeit ab«, sagte Schubert-Zsilavecz. Dazu fehlten bislang aber noch Daten.
»Wir können heute die Player im Entzündungsgeschehen sehr gut benennen«, so der Referent. Eine zentrale Rolle bei der Entstehung und Aufrechterhaltung der AD spiele das Interleukin (IL)-13. Es werde bei nahezu allen Patienten nachgewiesen. Mit Dupilumab und Tralokinumab seien derzeit zwei monoklonale Antikörper für mittelschwere bis schwere Formen der Erkrankung zugelassen. Worin unterscheiden sie sich? Dupilumab (Dupixent®, Sanofi), 2017 in den Markt eingeführt, richtet sich gegen die IL-4Rα-Untereinheit des Typ-I- und des Typ-II-Rezeptors und verhindert die IL-13- und IL-4-vermittelte Signalübertragung. Dupilumab wurde bereits in die S2k-Leitlinie »Atopische Dermatitis« aufgenommen.
Tralokinumab (Adtralza®, Leo Pharma) wurde erst kürzlich zugelassen. Der Antikörper richtet sich gezielt gegen IL-13 und blockiert demzufolge die IL-13-vermittelte Signalübertragung. In der Phase-III-Studie ECZTRA 3 habe Tralokinumab verglichen mit Placebo einen »durchschlagenden Erfolg hinsichtlich der Besserung des Krankheitsbildes erzielt«. Der Verbrauch der benötigten Steroide habe sich reduziert. Wichtig für die Beratung: Bei der Anwendung kann eine Konjunktivitis, also eine Entzündung am Auge, auftreten. »Das Apothekenteam sollte auf diese passagere unerwünschte Wirkung hinweisen und auch aufzeigen, wie ihr entgegengetreten werden kann«, sagte Schubert-Zsilavecz.
Abschließend ging der Apotheker auf zwei Antikörper ein, die sich in später Phase der klinischen Prüfung befinden. Lebrikizumab richte sich wie Tralokinumab gegen IL-13, Nemolizumab dagegen gegen IL-31, das vor allem für den Juckreiz verantwortlich gemacht wird. Auf das Entzündungsgeschehen habe Nemolizumab keinen maßgeblichen Einfluss.
Aus aktuellem Anlass sprach Professor Dr. Theo Dingermann, Senior Editor der Pharmazeutischen Zeitung und Moderator der Veranstaltung, einen weiteren wichtigen Punkt an. »Ist eine Covid-19-Impfung auch unter einer Therapie mit JAK-Inhibitoren beziehungsweise Biologika möglich?«, fragte er. Die Antwort laute eindeutig Ja, sagte Dr. Andrea Krüger-Szabo von Leo Pharma. Die Gesellschaft für Dermopharmazie habe diesbezüglich eine Stellungnahme herausgegeben, in der sie Patienten unter immunmodulierender Therapie eine Impfung gegen SARS-CoV-2 klar empfehle.
Das Video dieser Gesprächsrunde sowie viele weitere Beiträge der Expopharm Impuls sind ab dem 20. September bis Mitte Januar nach Registrierung unter www.expopharm-impuls.de abrufbar.