Pharmazeutische Zeitung online

Lacidipin und Lercanidipin

02.09.2002  00:00 Uhr

Neue Arzneistoffe

Lacidipin und Lercanidipin 

von Thilo Bertsche und Martin Schulz, Eschborn

Lacidipin (Motens®) und Lercanidipin (Carmen®, Corifeo®) sind L-Typ-Calciumkanal-Blocker vom 1,4-Dihydropyridintyp und beide zur Therapie des Bluthochdrucks zugelassen. Durch Ihre ausgeprägte Lipophilie setzt ihre Wirkung verzögert ein und hält länger an als die der Referenzsubstanz Nifedipin. Dadurch soll eine Reflextachykardie verhindert und für eine konstante Blutdrucksenkung gleichmäßigere Blutspiegel erzielt werden.

Calciumkanal-Blocker, die in der klinischen Praxis häufig als Calcium-Antagonisten bezeichnet werden, lassen sich nach ihrem pharmakologischen Profil in zwei Klassen einteilen: Dihydropyridine wie Nifedipin und Nicht-Dihydropyridine wie Diltiazem oder Verapamil. Beide blockieren Calciumkanäle, führen zu einer Erschlaffung der Gefäßmuskulatur und erniedrigen dadurch den Blutdruck. Diltiazem oder Verapamil unterscheiden sich von Dihydropyridinen durch eine zusätzliche, direkte Wirkung am Reizleitungssystem des Herzens. Da den Dihydropyridinen diese zusätzliche Wirkkomponente fehlt, führt bei ihnen die Blutdrucksenkung zu einer Erhöhung der Herzfrequenz. Diese ist therapeutisch unerwünscht und für die Prognose ungünstig. Deswegen wurde versucht, die Anflutungsgeschwindigkeit und die Wirkdauer der Dihydropyridine zu verlängern. Dies gelang, ausgehend von der Leitsubstanz Nifedipin, durch geeignete galenische Maßnahmen (beispielsweise Adalat Eins®), aber auch durch chemische Derivatisierung.

So wurden Derivate mit größeren, alkylierten Seitenketten hergestellt, die sich auf Grund ihrer ausgeprägten Lipophilie in Zellmenbranen einlagern und damit Anflutung und Wirkdauer verlängern. Diese Substanzen werden auch häufig als „Calcium-Antagonisten der zweiten Generation“ bezeichnet. Eine verwandte Substanz aus dieser Gruppe ist Amlodipin (Norvasc®). Neue Arzneistoffe mit gleichem Prinzip sind Lacidipin und Lercanidipin (1 - 5).

Chemische Klassifikation

Lacidipin und Lercanidipin sind Calciumkanal-Blocker aus der Klasse der 1,4-Dihydropyridine und zeichnen sich im Gegensatz zur Leitsubstanz Nifedipin, durch eine höhere Lipophilie aus. Bei Lacidipin wird diese erreicht durch Diethylierung statt Methylierung an beiden Esterfunktion des Dihydropyridinrings und durch einen umfangreichen Butylalkoholrest verestert an einer Carboxyvinylfunktion an der Phenylgruppe statt einer Nitrogruppe. Nach IUPAC wird Lacidipin als Diethyl4-{[(E)-2-(tert-butyloxycarbonyl)vinyl]phenyl}-1,4-dihydro-2,6-dimethyl-3,5-pyridindicarboxylat benannt. Die Summenformel lautet C26H33NO6. Das relative Molekulargewicht beträgt 455,55.

Die höhere Lipophilie wird bei Lercanidipin erreicht durch einen umfangreichen Alkylaminoalkoholrest mit zwei Phenylgruppen statt der Methylierung an einer Esterfunktion des Dihydropyridinrings. Nach IUPAC wird Lercanidipin als (RS)-2-[(3,3,-Diphenylpropyl)methylamino]-1,1-dimethylethyl-methyl-1,4-dihydro-2,6-dimethyl-4-(3-nitrophenyl)pyridin-3,5-dicarboxylat bezeichnet. Die Summenformel lautet C36H41N3O6. Das relative Molekulargewicht beträgt 611,74 (6).

Indikationen und Anwendung

Motens® (Lacidipin) ist zugelassen zur Behandlung der essenziellen Hypertonie. Carmen® (Lercanidipin) und Corifeo® (Lercanidipin) sind bei leichter bis mittelschwerer essenzieller Hypertonie indiziert. Lacidipin wird in einer Dosierung von 2 mg einmal täglich eingenommen. Gegebenenfalls kann die Dosierung nach vier Wochen auf 4 mg erhöht werden. In Einzellfällen sind auch Dosiserhöhungen bis auf 6 mg einmal täglich möglich. Lercanidipin wird in einer Dosierung von 10 mg einmal täglich mindestens 15 Minuten vor einer Mahlzeit eingenommen. Gegebenenfalls kann die Dosierung schrittweise auf 20 mg erhöht werden. Die maximale Wirkung tritt nach 14 Tagen ein. Dies sollte bei Dosiserhöhungen bedacht werden.

Auf Grund des zirkadianen Blutdruckverlaufs werden einmal täglich zu verabreichende Mittel gegen Bluthochdruck in der Regel morgens angewandt. Kombinationen von Calciumantagonisten mit anderen Antihypertensiva (insbesondere b-Blockern, Diuretika und ACE-Hemmern) sind bei Bedarf möglich (1 - 3).

Wirkungen und Wirkmechanismus

Lacidipin und Lercanidipin blockieren selektiv den langsamen, spannungsabhängigen L-Typ-Calciumkanal am Herzmuskel und in der glatten Muskulatur. Durch Blockade der Calciumkanäle kommt es zu einer Reduktion des transmembranösen Calciumeinstroms und konsekutiv durch eine Verarmung an Calcium zu einer Drosselung der elektromechanischen Kopplung. Vor allem in den Arteriolen - den Widerstandsgefäßen - führt dies zu einer Relaxation der betroffenen glatten Gefäßmuskulatur. Deswegen wirken Lacidipin und Lercanidipin wie alle Calciumantagonisten in erster Linie nachlastsenkend. Der Blutdruck wird folglich gesenkt und der Sauerstoff- und Energiebedarf des Herzens in der Systole zunächst vermindert.

Da allen Dihydropyridinen aber im Gegensatz zu den Calciumantagonisten Diltiazem und Verapamil die direkte negativ chronotrope Wirkung auf den Sinusknoten und die negativ dromotrope Wirkung am Atrioventrikular(AV)-Knoten des Herzens fehlt, führen diese zu einer reflektorischen Herzfrequenzerhöhung. Diese ist jedoch schwächer ausgeprägt, wenn die Wirkstofffreisetzung protrahiert erfolgt und die Wirkspiegel länger anhalten. Bei Lacidipin und Lercanidipin wurde dies durch voluminöse Alkylseitenketten erreicht, die zu einer Erhöhung der Lipophilie der Substanzen führen. Dadurch reichern sich diese im Lipidanteil von Membranen an und werden sukzessive aus diesem Depot freigesetzt (1 - 5).

 

Arzneiprofile Lacidipin ist der wirksame Bestandteil des Arzneimittels Motens® 2 mg Filmtabletten der Firma Boehringer Ingelheim Pharma KG, Binger Straße 173, 55216 Ingelheim am Rhein. Als Hilfsstoffe werden verwandt: Lactose-Monohydrat, Lactose*), Povidon K30, Magnesiumstearat, Poly(O-2-hydroxypropyl,O-methyl)cellulose, Titandioxid (E171). (1).

Lercanidipin ist der wirksame Bestandteil des Arzneimittels Carmen® 10 mg der Firma Berlin-Chemie AG, Glienicker Weg 125, 12489 Berlin und Corifeo® 10 mg der Firma UCB GmbH, Hüttenstraße 205, 50170 Kerpen. Als Hilfsstoffe werden bei beiden Fertigarzneimitteln verwandt: Lactose-Monohydrat*), mikrokristalline Cellulose, Poly(O-carboxymethyl)stärke (als Natriumsalz), Povidon K 30, Magnesium(stearat, palmitat, oleat) (2, 3).

*) Lactosemenge bei Lactoseintoleranz in der Regel zu gering, um klinische Symptome zu verursachen.

 

Kontraindikationen

Lacidipin und Lercanidipin dürfen nicht angewandt werden bei bekannter Überempfindlichkeit gegen die Wirk- oder Hilfsstoffe des jeweiligen Fertigarzneimittels. Schwangerschaft und Stillzeit stellen außerdem, wie bei allen Calciumantagonisten, Kontraindikationen dar. Für Frauen im gebährfähigen Alter wird auf Grund der teratogenen Eigenschaften von Calciumantagonisten eine geeignete Verhütung empfohlen. Die beiden Dihydropyridine sind ebenfalls bei linksventrikulärer Obstruktion (zum Beispiel Aortenklappenstenose), instabiler Angina pectoris und schweren Leberfunktionsstörungen kontraindiziert. Bei älteren Patienten sowie bei nieren- und leberinsuffizienten Patienten sollte nur unter genauer Risikoabwägung eine Therapie mit einem der beiden Calciumanatgonisten erfolgen.

Sollte die Creatinin-Clearance unter 30 ml/min (Lacidipin) beziehungsweise 10 ml/min (Lercanidipin) liegen, ist von der Einnahme generell abzuraten. Da Calciumkanal-Blocker zur Reduktion des intrazellulären Calciums und damit zur elektromechanischen Kopplung nicht nur in der glatten Gefäßmuskulatur sondern auch am Herzmuskel beitragen, wirken diese negativ inotrop. Innerhalb eines Monats nach Myokardinfarkt dürfen deswegen weder Lacidipin noch Lercanidipin eingenommen werden. Bei Herzinsuffizienz sind Lacidipin und Lercanidipin kontraindiziert. Da Calciumionen für die Insulinsekretion eine wichtige Rolle spielen, können Calciumkanal-Blocker in Einzelfällen bei Diabetes mellitus den Glucosemetabolismus negativ beeinflussen (1 - 3).

Wechselwirkungen

Wegen der häufigen Kombination von Dihydropyridinen mit b-Blockern im klinischen Alltag, ist von Interesse, dass die Komedikation mit dem b-Blockern Metoprolol die Bioverfügbarkeit von Lercanidipin um 50 Prozent reduzieren kann. Die Bioverfügbarkeit von Metoprolol ändert sich dabei nicht. Wahrscheinlich kommt dieser Effekt durch Verminderung des hepatischen Blutflusses durch Metoprolol zustande und ist prinzipiell für andere b-Blockern ebenfalls denkbar. Die Lercanidipin-Dosis sollte entsprechend angepasst werden. Für die Kombination mit anderen Arzneistoffen zur Hochdrucktherapie wie ACE-Hemmern oder Diuretika sind jedoch keine klinisch relevanten Interaktionen beschrieben. Bei der Komedikation von Lercanidipin mit Herzglykosiden sollte auf Anzeichen einer Digitalis-Intoxikation (Übelkeit, Erbrechen, Bradykardie, Extrasystolen) besonders geachtet werden, obwohl keine Anzeichen für eine pharmakokinetische Interaktion vorliegen.

Alle Dihydropyridine werden über das wichtige Cytochrom-P-450-Isoenzym CYP 3A4 metabolisiert. Daher ist bei Kombination mit Arzneistoffen, die dieses Enzym in seiner Aktivität beeinflussen (Inhibitioren: Grapefruitsaft, Ketoconazol, Erythromycin, Fluoxetin und andere; Induktoren: Carbamazepin, Phenytoin, Rifampicin und andere) oder mit Arzneistoffen, die ebenfalls über dieses Enzym metabolisiert werden (zum Beispiel Terfenadin, Astemizol, Ciclosporin, Amiodaron, Chinidin), auf mögliche Wirkungslosigkeit oder Nebenwirkungen besonders zu achten.

Das Benzodiazepin Midazolam konnte bei älteren Probanden die Resorption von Lercanidipin um 40 Prozent senken. Durch den obsoleten H2-Blocker Cimetidin können die Plasmaspiegel von Lacidipin oder Lercanidipin ansteigen. Alkohol ist während einer Therapie mit Bluthochdruckmitteln generell zu vermeiden. Da für Calciumantagonisten vom Dihydropyridin-Typ eine Verlängerung der QT-Zeit beschrieben wird, ist bei der Kombination mit Arzneimitteln, die ebenfalls die QT-Zeit verlängern, Vorsicht geboten (1 - 3).

Pharmakokinetik

Maximale Plasmakonzentrationen werden für Lacidipin innerhalb von 0,5 bis 2,5 Stunden, für Lercanidipin innerhalb von 1,5 bis 3 Stunden nach peroraler Gabe erreicht. Ein ausgedehnter First-pass-Metabolismus reduziert die Bioverfügbarkeit bei beiden Calciumkanal-Blockern auf etwa 10 Prozent. Lacidipin und Lercanidipin werden stark an Proteine gebunden. Die Metabolisierung erfolgt vorwiegend in der Leber, wobei CYP 3A4 in besonderem Maße involviert ist. Für Lercanidipin liegen ferner Untersuchungen zu inhibitorischen Eigenschaften auf CYP 3A4 und CYP 2D6 vor, die jedoch in therapeutischen Dosierungen keine klinische Relevanz besitzen. Für Lercanidipin wurden beide Enantiomere, die sich nicht ineinander umwandeln, untersucht.

Die Plasmaspitzenkonzentrationen und AUC-Werte waren für das (S)-Enantiomer geringfügig höher. Metabolite sind pharmakologisch allenfalls in klinisch nicht relevantem Ausmaß aktiv. Geschlechtsspezifische Unterschiede in der Kinetik konnten für Lacidipin nicht gezeigt werden. Erhöhte Plasmaspiegel und Bioverfügbarkeit bei Leberinsuffizienz werden für Lacidipin beschrieben. Für Lercanidipin ist dies ebenfalls wegen der extensiven Metabolisierung über die Leber anzunehmen. Mit abnehmender Nierenfunktion ist bei Patienten die Kinetik von Lacidipin nicht signifikant verändert, jedoch wurde eine Tendenz zu höheren AUC-Werten beobachtet. Für Lercanidipin werden um bis zu 70 Prozent erhöhte Plasmaspiegel bei dialysepflichtigen Patienten berichtet.

Die Applikation von Lercanidipin wird vor dem Essen empfohlen, da die Einnahme bis zwei Stunden nach einer fettreichen Mahlzeit die perorale Bioverfügbarkeit in unerwünschter Weise um das bis zu vierfache erhöhen kann (1 - 3).

Klinische Prüfung

Für Lacidipin und Lercanidipin liegen unter anderem Studien zur vergleichenden Untersuchung von Lacidipin oder Lercanidipin mit Atenolol oder Nifedipin vor.

In einer kontrollierten Studie wurden 637 Patienten im Alter von 21 bis 75 Jahren mit mildem bis moderatem essenziellen Bluthochdruck rekrutiert. Nach vierwöchiger Placebogabe bekamen 533 Patienten randomisiert entweder Lacidipin 4 mg (n=268) oder Atenolol 50 mg (n=265) jeweils einmal täglich (7). Auf Grund unzureichender Blutdrucksenkung wurde nach vier Wochen auf 6 mg beziehungsweise 100 mg für 152 respektive 119 Patienten erhöht. Nach acht Wochen wurde bei immer noch unzureichender Einstellung Lacidipin beziehungsweise Atenolol mit 25 mg Hydrochlorothiazid (HCT) bei 76 respektive 49 Patienten kombiniert. Die Blutdrucksenkung war unter Lacidipin und Atenolol nicht signifikant unterschiedlich. Bei Behandlung mit dem b-Blocker wurden im Gegensatz zu Lacidipin allerdings die Triglycerid-Plasmaspiegel bei einigen Patienten erhöht (7).

In einer weiteren Studie, in der Lacidipin gegen retardiertes Nifedipin untersucht wurde, traten Ödeme und Verstopfung in der Lacidipin-Gruppe seltener auf (10). Allerdings war das Ergebnis für die Ödeme erst in einer 14-monatigen offenen Folgephase signifikant: 11,8 (retardiertes Nifedipin) versus 2,1 Prozent (Lacidipin) mit einem p-Wert £ 0,01 (Chiquadrattest). Verstopfung trat bereits in der fünfmonatigen dopplelblinden Phase für Lacidipin signifikant seltener auf: 2,8 (retardiertes Nifedipin) versus 0 Prozent (Lacidipin) mit einem p-Wert £ 0,03 (Chiquadrattest). Absolute Zahlen wurden nicht angegeben (8).

Auch das antisklerotische Potenzial wurde für verschiedene Calciumantagonisten untersucht. Für Lacidipin wurden drei Mechanismen einer direkt antisklerotischen Wirkung beschrieben: Cholesterolestermetabolismus in Makrophagen, Proliferation von Myocyten und deren Migration (9). Auch am Menschen konnten positive Effekte auf die Intimadicke für Calciumantagonisten nachgewiesen werden. Ob sich diese positive Wirkung aber tatsächlich auf die Gesamtprognose für den Patienten auswirkt, ist bislang nicht untersucht worden (10, 11).

In einer Studie erhielten 107 Patienten mit mildem bis moderaten Bluthochdruck (diastolisch ³ 95 und £ 115 mmHg) 10 mg Lercandidipin und 217 Probanden 50 mg Atenolol beziehungsweise 217 Patienten Placebo (217 Patienten) jeweils einmal täglich (12). Beobachtungskriterien waren der Blutdruck und die Herzfrequenz. Nach vierwöchiger Behandlung wurden Nonresponder auf höhere Dosierungen auftitriert: 36 Patienten auf 20 mg Lercanidipin und 24 Patienten auf 100 mg Atenolol. Jeweils über 80 Prozent sprachen auf die Therapie an. Nach acht Wochen wurde eine Kombination aus den beiden Arzneistoffen verabreicht. Die Blutdrucksenkung war in der Lercanidipin- und der Atenololgruppe im Mittel mit 10,3 versus 12,0 mmHg vergleichbar. Zwar stieg die mittlere Herzfrequenzrate für Lercanidipin über den Studienzeitraum nicht an; trotzdem wurden bei einzelnen Patienten Tachykardien beobachtet.

In einer weiteren Studie (13) wurde für Lercanidipin im Vergleich mit retardiertem Nifedipin eine gleich gute Wirksamkeit im Hinblick auf die Blutdrucksenkung gefunden. Die Prävalenz von Nebenwirkungen war für beide Dihydropyridine ebenfalls nicht signifikant verschieden. Weder für Lacidipin noch für Lercandipin liegen Studien vor, die Langzeitparameter wie Morbidität und Mortalität, insbesondere im Vergleich mit b-Blockern oder Diuretika untersuchen.

Pharmakotherapie der essenziellen Hypertonie

Wichtigste Antihypertensiva in der First-line-Therapie des Bluthochdrucks sind b-Blocker und Diuretika. Für sie konnte bislang in umfangreichen klinischen Studien gezeigt werden, dass sie die kardiovaskuläre Morbidität und Mortalität sowie die Gesamtsterblichkeit reduzieren. Allerdings werden auch Calciumkanal-Blocker vom Dihydropyridintyp häufig bei Hypertonie verordnet. Diese sollten man dann aber eher als Kombinationspartner im Anschluss an eine Monotherapie als in der First-line-Therapie einsetzen. Insbesondere bietet sich eine Kombination mit b-Blockern an, weil Calciumkanal-Blocker vom Dihydropyridintyp die Herzfrequenz erhöhen und b-Blocker diese senken.

Eine 1997 im Medizinjournal Lancet publizierte Studie (14) dient als Rechtfertigung der Anwendung der Calciumantagonisten gerade bei älteren Patienten. Die Autoren konnten bei über 60-Jährigen eine Reduktion der Schlaganfallshäufigkeit bei unbeeinflusster Gesamtletalität zeigen. Allerdings steht der allzu kritiklosen Anwendung entgegen, dass insbesondere nicht retardiertes Nifedipin für ein erhöhtes kardiovaskuläres Risiko verantwortlich zu sein scheint (15). Außerdem wird eine gesteigerte Inzidenz akuter Myokardinfarkte, ein erhöhtes Karzinom- und Suizidrisiko diskutiert (15 - 18).

Innerhalb von vier Wochen nach einem akuten Myokardinfarkt sollten keine Dihydropyridine gegeben werden. Sofern aber eine Gabe unbedingt erforderlich sein sollte, muss die Comedikation mit einem b-Blocker unbedingt aufrechterhalten werden. Bei gleichzeitig bestehender Herzinsuffuzienz sind Calcium-Antagonisten wegen Erhöhung der Sterblichkeit prinzipiell kontraindiziert. Soll aber beispielsweise bei gleichzeitig persistierender Angina pectoris trotzdem ein Calciumantagonist gegeben werden, ist Amlodipin zu bevorzugen, für das eine Übersterblichkeit trotz Verschlechterung von klinischen Symptomen der Herzinsuffizienz nicht gezeigt werden konnte. Zur Behandlung der Schwangerschaftshypertonie sind Calciumantagonisten auf Grund möglicher teratogener Eigenschaften kontraindiziert.

Der einzige in Deutschland bislang auf den Markt gebrachte Calciumkanal-Blocker, der den T-Typ-Calciumkanal hemmte, war Mibefradil (Cerate®, Posicor®), der kurz nach Einführung auf Grund kritischer Interaktionen insbesondere mit CSE-Hemmern und b-Blockern 1998 vom Markt genommen wurde.

Diltiazem und Verpamil kommen im Rahmen einer Hochdrucktherapie nur dann zum Einsatz, wenn ihr negativ dromotroper und chronotroper Effekt ausdrücklich, wie zum Beispiel bei behandlungsbedürftigen, supraventrikulären tachykarden Herzrhythmusstörungen, erwünscht ist. Im Rahmen der hypertensiven Krise werden neben anderen Substanzen, wie vor allem Glyceroltrinitrat oder Furosemid, schnell freisetzende Calciumantagonisten wie Nifedipin oder Nitrendipin angewandt (19).

 

Wertende Zusammenfassung Lacidipin und Lercanidipin sind zur Behandlung der Hypertonie (Lercanidipin nur für leichte bis mittelschwere Formen) zugelassen. Calcium-Antagonisten vom Dihydropyridintyp mit langer Wirkdauer sind auf Grund kritischer Beurteilung kurz wirksamer Präparate zur Behandlung der Hypertonie heute Standard. Dies wird durch spezielle galenische Formulierung oder durch chemische Derivatisierung erreicht. Lacidipin und Lercanidipin greifen das bereits schon von anderen Dihydropyridinen bekannte Prinzip der Strukturabwandlung auf (Dihydropyridine der zweiten Generation). In klinischen Studien waren Lacidipin und Lercanidipin, bezogen auf die Blutdrucksenkung im Vergleich zu anderen Dihydropyridinen oder Antihypertensiva wie b-Blockern gleich wirksam. Ob direkte antiartheriosklerotische Eigenschaften am Gefäßendothel, die bislang für einige Calciumanagonisten beschrieben wurden, tatsächlich eine klinisch relevante Auswirkung auf die Prognose der Patienten haben, ist bislang noch nicht geklärt. Langzeitstudien, die eine Morbiditäts- oder Mortalitätsreduktion bei Bluthochdruck beweisen würden, liegen bislang für keinen Calciumkanal-Blocker vor. Daher sind Dihydropyridin-Calciumantagonisten – auch für ältere Patienten – eher als Kombinationspartner (vor allem mit b-Blockern) während der weiteren Behandlung eines Bluthochdrucks denn als eine Monotherapie zum Beginn der Therapie zu empfehlen. Ödeme stellen auch für Lacidipin und Lercanidipin wie für andere Dihydropyridine eine häufige Nebenwirkung dar; ob in Studien gezeigte Unterschiede in der Häufigkeit klinisch relevant sind, ist fraglich.

 

Verantwortlich:
Zentrum für Arzneimittelinformation und Pharmazeutische Praxis (ZAPP) der ABDA
Jägerstraße 49/50
10117 Berlin
 

Literatur

  1. Motens® Fachinformation. Boehringer Ingelheim, Oktober 2001.
  2. Carmen® Fachinformation. Roche Pharma, August 2000.
  3. Corifeo® Fachinformation. Roche Pharma, März 2001.
  4. Adalat Eins® Fachinformation. Bayer, Oktober 2001.
  5. Norvasc® Fachinformation. Pfizer, Mack, Gödecke, Parke-Davis, Januar 2002.
  6. Pharmazeutische Stoffliste, 12. Auflage, ABDATA, Eschborn 2001.
  7. United Kingdom Lacidipine Study Group, A double-blind comparison of the efficacy and safety of lacidipine with atenolol in the treatment of essential hypertension. J. Cardiovasc. Pharmacol. 17, Suppl. 4 (1991) S27 - S30.
  8. Leonetti, G. , Salvi, S., A long-term study comparing lacidipine and nifedipine SR in hypertensive patients: safety data. J. Cardiovasc. Pharmacol. 23, Suppl. 5 (1994), S108 - S110.
  9. Paoletti R., Calcium, calcium antagonists and experimental atherosclerosis. Blood press. 5 (Suppl. 4) (1996) 12 - 15.
  10. Hansson L., How to study the role of hypertension in arterosclerosis lessons from MIDAS. Blood press. 5 (Suppl. 4) (1996) 16 - 19.
  11. Zanchetti A., et al., Prevalence of carotid atherosclerosis in hypertension: preliminary baseline data from the European Lacidipine Study on Atheroscelerosis (ELSA). Blood Press. 5 (Suppl. 4) (1996) 30 - 35.
  12. Morisco, C., Trimarco, B., Efficacy and tolerability of lercanidipine in comparison to and in combination with atenolol in patients with mild to moderate hypertension in a double-blind controlled study. J. Cardiovasc. Pharmacol. 29, Suppl. 2 (1997) S26 - S30.
  13. Policicchio, D., et al., Efficacy and tolerability of lercanidipine in patients with mild to moderate essential hypertension: a comparative study with slow-release nifedipine. J. Cardiovasc. Pharmacol. 29, Suppl. 2 (1997) S31 - S35.
  14. Staessen, J. A, et al., Randomized double-blind comparison of placebo and active treatment for older patients with isolated systolic hypertension. Lancet 350 (1997) 757 - 763.
  15. Arzneimittelkommission der Deutschen Ärzteschaft, Aktueller Stand der Risiko-/Nutzenbewertung von Calcium-Antagonisten. Dt. Ärztebl. 95 (1998) A-243.
  16. Estacio, R.O., et al., The effect of nisoldipine as compared with enalapril on cardiovascular events in patients with non-insulin dependent diabetes and hypertension. N. Engl. J. Med. 338 (1998) 645 - 652.
  17. Tatti, P., et al., Outcome Results of the fosinopril versus amlodipine cardiovascular events randomized trail (FACERT) in patients with hypertension and NIDDM. Diabetes Care 21 (1998) 597 - 603.
  18. Lindberg, G., et al., Use of calcium channel blockers and risk of suicide: ecological findings confirmed in population based cohort study. Brit. Med. J. 316 (1998) 741 - 745.
  19. Arzneimittelkommission der Deutschen Ärzteschaft, Empfehlungen – Therapie der arteriellen Hypertonie. Sonderheft 9, 1. Auflage, August 1998.
  20. Zannad F., et al., Trough-peak ratio of once daily angiotensin converting enzyme inhibitors and calcium antagonists. Am. J. Hypertension 7 (1996) 633 - 643.
  21. Packer M., Prospective randomized amlodipine survival evaluation (PRAISE-2). J. Am. Coll,. Cardiol. 36 (2000) 322 - 323.
  22. Packer M., et al., Effect of amlodipine on morbidity and mortality in svere chronic heart failure. N. Engl. J. Med. 335 (1996) 1107 - 1114.

Top

© 2002 GOVI-Verlag
E-Mail: redaktion@govi.de

Mehr von Avoxa