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Herpes und mehr

Infektionen als mögliche Ursache von Alzheimer

Nach wie vor tappt die Forschung weitgehend im Dunkeln, was die Entstehung der Alzheimer-Demenz angeht. Eine Theorie, wonach Herpesviren und andere Pathogene eine Ursache sein könnten, gewinnt mehr und mehr Anhänger.
Annette Rößler
14.06.2021  07:00 Uhr

Die unerwartete Zulassung von Aducanumab (Aduhelm™) durch die US-amerikanische FDA als erstem neuen Alzheimer-Therapeutikum seit vielen Jahren hat das Thema Alzheimer-Demenz wieder in die Schlagzeilen gebracht. Die Behandlung mit Aducanumab führt zu einem Abbau von Aggregaten aus β-Amyloid (Aβ) im Gehirn. Diese Plaques sind ein typisches Kennzeichen der Erkrankung. Unter Alzheimer-Forschern ist allerdings umstritten, ob sie auch die alleinige Ursache des Gedächtnisverlusts sind. Kritiker bezweifeln, dass eine Beseitigung der Plaques im fortgeschrittenen Stadium der Erkrankung noch eine Besserung der Demenz bewirken kann.

Ob die Hersteller Biogen und Eisai den klinischen Nutzen einer Aducanumab-Therapie für die behandelten Patienten in einer randomisierten, kontrollierten Studie werden zeigen können, wie es ihnen die FDA als Bedingung für die Aufrechterhaltung der Zulassung aufgetragen hat, bleibt somit abzuwarten. Nach der Berg-und-Tal-Fahrt, die der Wirkstoff bereits vor seiner Zulassung hinter sich hat, scheint es kaum wahrscheinlich, dass die Ergebnisse dieser neuen Studie absolut überzeugend ausfallen werden. Derzeit ist nicht absehbar, ob sich Aducanumab tatsächlich als Fortschritt in der Alzheimer-Therapie erweisen wird beziehungsweise wie groß dieser Fortschritt am Ende ausfallen wird.

Aβ ist nicht alles

Das liegt auch daran, dass Aβ aus Sicht der meisten Experten zwar an der Pathologie der Erkrankung beteiligt ist, aber eben nicht allein. Weitere wichtige Marker sind das Apolipoprotein E (ApoE), Fibrillen aus τ-Protein und eine Neuroinflammation. Dafür, wie all dies zusammenhängt, was zuerst kommt und warum die Patienten letztlich ihr Gedächtnis verlieren, gibt es verschiedene Theorien.

Eine davon ist die Infektionshypothese, der zufolge die Erkrankung durch bestimmte Pathogene ausgelöst werden kann. Sie wurde von der Mehrheit der Alzheimer-Forscher vor allem deshalb lange nicht wirklich ernst genommen, weil frühe Verfechter sie als Alternative zur Amyloid-Hypothese sahen. Hier hat mittlerweile ein Umdenken eingesetzt, und zwar auf beiden Seiten: Statt eines kategorischen Entweder Oder bringen immer mehr Forscher nun beides miteinander in Einklang.

Nicht entweder oder, sondern sowohl als auch

In einem nachrichtlichen Beitrag im Fachmagazin »Nature« wird der derzeit diskutierte Erklärungsansatz vorgestellt (DOI: 10.1038/d41586-020-03084-9). Demnach hat Aβ im Gehirn die Funktion eines antimikrobiellen Peptids: Eingedrungene Erreger werden von Aβ durch die Bildung von Plaques eingeschlossen und somit unschädlich gemacht. Die Plaques können mit steigendem Alter oder aufgrund von genetischer Veranlagung nicht beseitigt werden, sammeln sich an und verursachen eine Neuroinflammation sowie die Bildung von τ-Fibrillen, was letztlich zum Untergang der Neuronen und zur Bildung weiterer Plaques führt.

Als Erreger, die diesen Prozess in Gang setzen können, sind vor allem drei Herpesviren und drei Bakterien im Gespräch, nämlich HSV-1, HHV-6A und HHV-7, Chlamydia pneumoniae, Borrelia burgdorferi und Porphyromonas gingivalis, wobei die Herpesviren die heißesten Kandidaten sind. So zeigte etwa eine 2018 veröffentlichte viel zitierte Studie aus Taiwan, in der mehr als 8000 Patienten mit HSV-Infektion über zehn Jahre begleitet und mit mehr als 25.000 nicht infizierten Personen verglichen wurden, dass die Patienten mit Herpesinfektion ein 2,5-fach höheres Demenzrisiko hatten (»Neurotherapeutics« 2018, DOI: 10.1007/s13311-018-0611-x). Bemerkenswert war, dass der Risikoanstieg durch eine wirksame antivirale Therapie nahezu komplett aufgehoben wurde.

In »Nature« kommen mehrere Fürsprecher der Infektionshypothese zu Wort, die diese mit Verweis auf dieses und andere Studienergebnisse untermauern, aber auch Skeptiker. So wird der Alzheimer-Experte Professor Dr. John Hardy vom University College in London mit der Aussage zitiert, dass er auf die Theorie in einer Wette 5 britische Pfund setzen würde, aber nicht 500. Er glaube nicht, dass sie zu beweisen sei, so Hardy.

Virostatika zur Demenzprävention?

Dass die Infektionshypothese zwar faszinierend, aber eben noch unbewiesen sei, betont auch Dr. Anthony L. Komaroff vom Brigham & Women’s Hospital der Harvard Medical School in Boston, Massachusetts, in einem Meinungsbeitrag im Fachjournal »JAMA« (DOI: 10.1001/jama.2020.4085). Entscheidende Fragen seien für ihn, ob die Neuroinflammation Ursache oder Folge der Plaque- und Fibrillenbildung sei und ob Infektionen zumindest in einigen Fällen eine Neuroinflammation auslösen könnten. Er halte es für möglich, dass sich Arzneistoffe zur Bekämpfung der Entzündung oder – weniger wahrscheinlich – Arzneistoffe gegen bestimmte Pathogene in künftigen Studien als wirksam zur Prävention oder Therapie von Alzheimer-Demenz erweisen könnten.

Als mögliches Szenario bringt Dr. Ruth F. Itzhaki, emeritierte Professorin an der University of Manchester, eine medikamentöse Prophylaxe bei Menschen ins Gespräch, die sowohl mit HSV-1 infiziert sind als auch das Alzheimer-Risikogen ApoE4 tragen. Denkbar wäre etwa eine Gabe des Virostatikums Valaciclovir, gegebenenfalls in Kombination mit einem Entzündungshemmer. Als Kombinationspartner habe sich der Algen-Inhaltsstoff Fucoidan aufgrund seiner in vitro gezeigten synergistischen Wirkung gegen HSV-1 mit Valaciclovir empfohlen, sagte Itzhaki 2019 in einer Diskussionsrunde bei der Alzheimer’s Association International Conference (AAIC), deren Inhalte im Fachjournal »Nature Reviews Neurology« aufgezeichnet sind (DOI: 10.1038/s41582-020-0323-9).

In derselben Runde verwies Professor Dr. Ben Readhead von der Arizona State University in Tempe auf zwei Studien, in denen die Wirksamkeit von Valaciclovir bei HSV-1-positiven Patienten mit beginnender Alzheimer-Demenz bereits getestet wird beziehungsweise wurde (NCT02997982 und NCT03282916). Erste Ergebnisse sind möglicherweise schon 2022 zu erwarten.

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