Politik
Die Bundesregierung will Vertragsärzte und -zahnärzte sowie die Krankenhäuser verpflichten, alle Kassenpatienten über die jeweils abgerechneten Leistungen und die entstandenen Kosten schriftlich zu informieren. Spätestens vier Wochen nach Quartalsende beziehungsweise vier Wochen nach Abschluß einer stationären Behandlung sollen die Versicherten die entsprechenden Briefe bekommen. Die Vertragsärzteschaft lehnt die Neuregelung vehement ab.
Allein für die niedergelassenen Mediziner hätte das nach überschlägigen Berechnungen der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) Mehrausgaben in Höhe von etwa einer Milliarde DM jährlich zur Folge. Die Kassenzahnärztliche Bundesvereinigung rechnet mit Belastungen von mindestens 460 Millionen DM für die Zahnärzteschaft - Informationen zu den Leistungen und Kosten für Zahnersatz nicht mitgerechnet. Kostenschätzungen der Deutschen Krankenhausgesellschaft liegen bislang nicht vor.
Das "politische Überraschungsei" (KBV-Chef Winfried Schorre) ist von den Koalitionsfraktionen quasi erst in letzter Minute als Änderungsantrag in die parlamentarischen Beratungen zum zweiten GKV-Neuordnungsgesetz eingebracht worden. Dem Vernehmen nach soll der gesundheitspolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, Jürgen Möllemann, für die Initiative verantwortlich zeichnen: Der forsche Liberale wolle so offenkundig den Weg frei machen für eine generelle Einführung der Kostenerstattung in der GKV. Bekomme erst einmal jeder Kassenpatient eine Rechnung, sei der nächste Schritt zu einer echten und lukrativen Kostenerstattung nicht mehr weit, mutmaßten Leistungserbringer über Möllemanns Motive.
Zumindest die Vertragsärzte sind von dem gut gemeinten liberalen Vorstoß wenig begeistert. KBV-Chef Schorre befürchtet neben einem gewaltigen finanziellen und organisatorischen Mehraufwand auch "riesige Irritationen" bei den Patienten. Niemand werde die bloße Auflistung von Gebührenziffern verstehen. Sein Gegenvorschlag: Ärzte sollen dann über Leistungen und Kosten informieren, wenn der Patient dies wünscht. Die KBV sieht - wenn überhaupt - die Kassen in der Informationspflicht: Schließlich liefen dort alle Kosten zusammen.
Ärztefunktionäre bezweifeln im übrigen, daß gesetzlich Krankenversicherte größeres Interesse an den von ihnen verursachten Leistungen und Kosten haben. So verweist der Vorsitzende der KV Hessen, Jürgen Bausch, auf Ende der 80er Jahre gemachte Erfahrungen: Damals hatte seine Organisation allen hessischen Kassenpatienten angeboten, mit einer Anforderungskarte mehr über die jeweils abgerechneten Kosten und Leistungen zu erfahren. Die Aktion zeigte jedoch trotz intensiver Werbung kaum Wirkung. Maximal 0,2 Prozent aller hessischen GKV-Patienten bekundeten im Laufe eines Quartals den Wunsch, mehr über die von ihnen verursachten Arztkosten zu erfahren. Bausch: "Die ganze Sache ist dann irgendwann sanft entschlafen."
PZ-Artikel von Hans-Bernhard Henkel, Bonn © 1996 GOVI-Verlag
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