Die Liste muss veränderbar sein |
22.03.2004 00:00 Uhr |
Im vergangenen Jahr hat sich die Deutsche Pharmazeutische Gesellschaft (DPhG) mehrfach kritisch zur Ausgrenzung von OTC-Arzneimitteln aus der Erstattungsfähigkeit geäußert. Jetzt liegt die Ausnahmeliste vor. Die PZ sprach mit DPhG-Präsidentin Professor Dr. Ulrike Holzgrabe und Generalsekretär Professor Dr. Klaus Mohr.
PZ: Halten Sie die Ausnahmeliste des Bundesausschusses grundsätzlich für sachgerecht?
Holzgrabe: Es gibt Arzneimittel, die man auch ohne ärztliche Verschreibung in der Apotheke bekommen kann, aber das heißt nicht, dass diese Arzneimittel nur für die Behandlung leichter Erkrankungen brauchbar wären. Einige sind auch für die Behandlung schwerer Erkrankungen wertvoll. Die Ausnahmeliste führt solche Arzneimittel nun als erstattungsfähig auf und das erscheint mir sachgerecht.
PZ: Bei der Aufnahme von Arzneimitteln der besonderen Therapierichtungen wurde die Therapievielfalt über den schulmedizinischen Wirksamkeitsnachweis gestellt. Ist dies aus pharmazeutischer Sicht nachzuvollziehen? Ist Vielfalt ein Wert an sich?
Holzgrabe: Ich sage statt Schulmedizin lieber wissenschaftliche Medizin. Wissenschaftliche Medizin ist gekennzeichnet durch den kritischen Denkansatz, die Bereitschaft, gängige Hypothesen in Zweifel zu ziehen und das Bestreben, mittels klinischer Untersuchungen neue Erkenntnisse zu gewinnen. Dieser Ansatz ist die Basis des medizinischen Fortschritts, den wir erleben.
Die „besonderen Therapierichtungen“ zähle ich zur gläubigen Medizin; diese hat keine Antworten auf drängende medizinische Probleme. Die Fortschritte in der Behandlung von Aids beispielsweise sind Früchte der wissenschaftlichen Medizin. Die Aufnahme von Arzneimitteln der besonderen Therapierichtungen in die Ausnahmeliste halte ich für wissenschaftlich nicht gerechtfertigt; da waren wohl eher politische Gründe ausschlaggebend.
PZ: Können Sie die getroffene Entscheidung, Arzneimittel der besonderen Therapierichtungen nur in den für OTC-Präparate aufgestellten Ausnahmeindikationen einzusetzen, nachvollziehen?
Mohr: Ich frage mich, ob Arzneimittel der besonderen Therapierichtungen, für die kein klarer Wirksamkeitsbeleg vorliegt, überhaupt von der Gemeinschaft der Versicherten bezahlt werden sollten. Damit ich nicht missverstanden werde, sage ich ganz klar: Alternative Therapieverfahren können mit Sicherheit eine Genesung fördern, aber ein therapeutischer Erfolg kann allein durch die Behandlungssituation zustande kommen. Deshalb muss man feststellen, ob ein Arzneimittel innerhalb der therapeutischen Situation einen Beitrag zum Erfolg leistet oder nicht, und dazu dienen Placebo-kontrollierte Studien. Solange kein klarer Wirksamkeitsnachweis für ein Arzneimittel geführt worden ist – soll die Gemeinschaft der Versicherten dann Geld für ein solches Arzneimittel ausgeben?
PZ: Wenn Homöopathika oder Anthroposophika überhaupt auf die Liste sollen, welche Präparate in welchen Indikationen wären aus Ihrer Sicht vertretbar?
Mohr: Nur solche mit einem klaren Wirksamkeitsnachweis für das jeweilige Arzneimittel aus kontrollierten klinischen Studien. Mir ist bei den Homöopathika oder Anthroposophika kein solches Arzneimittel bekannt. Es wäre bei einem nach wissenschaftlichen Kriterien geführten Wirksamkeitsnachweis auch kein Arzneimittel der besonderen Therapierichtungen mehr, sondern ein wissenschaftlich-medizinisch akzeptiertes Arzneimittel.
PZ: Zum rationaleren Teil der Liste. Halten Sie die Auswahl der allopathischen OTC-Arzneimittel und der entsprechenden Indikationen für ausreichend? Hätte man zum Beispiel ASS nicht auch in der Primärprophylaxe erstattungsfähig machen sollen? Gibt es Präparate, die sie für überflüssig halten?
Holzgrabe: Dies im Einzelnen zu diskutieren, würde den Rahmen sprengen. Aber man kann sich beispielsweise fragen, warum H1-Antihistaminika zur Behandlung der allergischen Rhinokonjunktivitis in der Liste nicht enthalten sind. ASS in der Primärprophylaxe ist sicher ein weiteres Beispiel. Eine solche Ausnahmeliste kann nichts Statisches sein. So wie die Erkenntnisse der wissenschaftlichen Medizin sich wandeln, muss auch die Liste veränderbar sein.
PZ: Kritiker der Liste haben bereits im Vorfeld davor gewarnt, die ökonomischen Erwartungen der Ausgrenzung würden wohl durch Substitutionseffekte kompensiert. Teilen Sie nach der Vorstellung der Liste auch diese Bedenken?
Holzgrabe: Mit den ökonomischen Erwartungen ist das ja so eine Sache – das erleben wir doch fast täglich, dass sich weise Ökonomen in der Vorhersage wirtschaftlicher Entwicklungen verschätzt haben. Ich will keine Erwartungen beisteuern oder Erwartungen kommentieren. Aber um beim Beispiel H1-Antihistaminikum zu bleiben; dem sparsamen Heuschnupfen-Patienten mag es sinnvoll erscheinen, den Arzt zu bitten, ein rezeptpflichtiges Präparat zu verschreiben.
PZ: Die DPhG hat sich bereits im vergangenen Jahr gegen eine Verknüpfung von Erstattungsfähigkeit und Verschreibungspflicht ausgesprochen. Sehen Sie Ihre Kritik bestätigt? Kann man unter diesen Bedingungen überhaupt eine therapiegerechte Arzneimittelauswahl treffen?
Holzgrabe: Wie schon gesagt, ich meine, dass Arzneimittel, die zur
Behandlung einer Erkrankung einen maßgeblichen Beitrag leisten,
erstattungsfähig sein sollten, unabhängig davon, ob sie
verschreibungspflichtig sind oder nicht. „Therapiegerechte
Arzneimittelauswahl“ ist ein großes Wort, dabei gibt es wohl gewichtigere
Probleme als das, worüber wir gerade sprechen.
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