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Infliximab als Notnagel

15.08.2005  00:00 Uhr
PZ-Innovationspreis 2000

Infliximab als Notnagel

von Elke Wolf, Rödermark

Sind alle Therapiemöglichkeiten bei rheumatoider Arthritis und Morbus Crohn ausgereizt, vermag der monoklonale Antikörper Infliximab (Remicade®) noch eine Besserung der Symptome zu erzielen. Eine entscheidende Eigenschaft, die Infliximab vor fünf Jahren den sechsten PZ-Innovationspreis einbrachte.

»Mit Infliximab eröffnet sich nicht nur ein völlig neuer Therapieansatz, sondern der Arzneistoff eignet sich auch besonders für Patienten, bei denen andere Pharmaka nicht mehr ansprechen«, stellte Professor Dr. Hartmut Morck, Chefredakteur der Pharmazeutischen Zeitung, in seiner damaligen Laudatio heraus. Vor fünf Jahren hatte das Münchner Herstellerunternehmen Essex Pharma zunächst nur die Zulassung für die Indikation Morbus Crohn, speziell zur Behandlung schwergradiger aktiver Formen mit und ohne Fistelbildung, sowie für rheumatoide Arthritis erhalten ­ und hier auch nur, wenn andere Pharmaka wie Methotrexat ihren Dienst versagt haben.

Vor rund einem Jahr bekam Infliximab von der Zulassungsbehörde auch grünes Licht für die First-line-Therapie der frühen rheumatoiden Arthritis. In Phase-III-Studien war die Kombination Infliximab plus Methotrexat der alleinigen Methotrexat-Therapie signifikant überlegen gewesen. Und gegen noch eine Erkrankung aus dem rheumatischen Formenkreis vermag der monoklonale Antikörper etwas auszurichten: Infliximab ist das erste spezifische Medikament zur Therapie des Morbus Bechterew. Die erweiterte Zulassung erfolgte vor zwei Jahren und stützte sich vor allem auf eine Multicenterstudie, in der sich bei 57 Prozent der Verumgruppe Symptome wie Müdigkeit, Rücken- und Gelenkschmerzen sowie Morgensteifigkeit verringerten. In der Placebogruppe war das nur bei 9 Prozent der Fall.

Die möglichen Indikationen lassen sich aus dem Wirkmechanismus der innovativen Substanz ableiten. Im Gegensatz zu den nicht steroidalen Antirheumatika beeinflusst Infliximab das Immunsystem. Der chimäre monoklonale Antikörper bindet hoch selektiv und reversibel an den Tumornekrosefaktor alpha (TNF α), eine Schlüsselsubstanz im Entzündungsgeschehen. TNF α steht als proinflammatorisches Zytokin an der Spitze der Kaskade, die die Zerstörung des Gelenks bei rheumatoider Arthritis einleitet oder die Entzündung bei Morbus-Crohn-Patienten immer wieder anfacht. Zudem reguliert TNF α die Produktion und Sezernierung der Interleukine 1 und 6. Ein TNF-α-Blocker wie Infliximab ist somit bei Entzündungen sinnvoll, weil er die Wirkung von TNF α aufhebt und damit den Start der immunologischen Entzündungskaskade unterbindet.

Immer mehr Indikationen

Mittlerweile ist Infliximab zum Hoffnungsträger für ein weiteres Patientenkollektiv geworden. Da es die Zahl schmerzhafter und geschwollener Gelenke bei Psoriasis-Arthritis verringert und die fortschreitende Gelenkzerstörung aufhält, ist der TNF-α-Inhibitor eine Therapieoption nach erfolgloser Behandlung mit anderen Medikamenten geworden. Dabei überzeugt Infliximab durch schnellen Therapieerfolg und extrem günstige Beeinflussung der radiologischen Progression.

Gegen Psoriasis-Arthritis bereits zugelassen, könnte es in naher Zukunft auch ein positives Votum für Plaque-Psoriasis geben. Denn schon nach wenigen Wochen Applikation bessert sich das Hautbild deutlich. Studien zeigen, dass sich bereits nach zweieinhalb Monaten bei 80 Prozent der mit Infliximab behandelten Patienten der Hautbefund um mehr als 75 Prozent bessert, verglichen mit 3 Prozent in der Placebogruppe.

Neuesten Ergebnissen zufolge scheint Infliximab bei Patienten mit einer Uveitis das Auftreten von Komplikationen verhindern zu können. Die Behandlung muss allerdings so früh wie möglich erfolgen, nämlich gleich nachdem Steroide versagen. Hintergrund: Entzündungen der Uvea, das heißt im Augeninneren, sind bei Patienten mit Morbus Bechterew oder Psoriasis-Arthritis mitunter eine Frühmanifestation. Derzeit wird an größeren Patientenkollektiven diese mögliche neue Indikation geprüft.

Infliximab hat jedoch auch eine Achillesferse, denn TNF α ist ein wichtiges Zytokin zur Steuerung des Immunsystems. Inwieweit durch seine Bindung Infektionen oder malignes Wachstum gefördert werden, ist noch nicht definitiv geklärt. Die Deutsche Gesellschaft für Rheumatologie knüpft die Therapie mit Infliximab daher an besondere Bedingungen: Vor und während der Therapie müssen relevante klinische Infektionen ausgeschlossen werden, und zwar durch eine niedrige Medikamentendosis, perioperative Pausen sowie eine rasche diagnostische Abklärung bei Temperaturanstiegen.

Bei den gelegentlich auftretenden Autoantikörpern gibt es wahrscheinlich keinen Zusammenhang mit Autoimmunerkrankungen (wie Lupus erythematodes), die ohnehin selten vorkommen. Das gilt auch für Malignome mit einer Inzidenz von 6,6 bei 100.000 mit Infliximab behandelten Patienten. Da Arthritis-Patienten meist schon vor der Therapie mit TNF-α-Inhibitoren verschiedene Immunsuppressiva erhalten, ist die Ursachenforschung jedoch schwierig.

 

Wissen Sie's noch? Zehnmal hat die Pharmazeutische Zeitung bereits den PZ-Innovationspreis vergeben und damit seit 1995 das jeweils innovativste Arzneimittel eines Jahres gewürdigt. Können Sie sich noch an die ehemaligen Preisträger erinnern? Die PZ stellt in einer Serie die zehn Kandidaten der letzten Jahre vor, bevor dann auf dem Deutschen Apothekertag in Köln die Innovation 2005 gekürt wird. Worauf beruht das neue Wirkprinzip? Waren die Arzneistoffe im Nachhinein wirklich wegweisend? Und haben sie gehalten, was man sich zu ihrer Markteinführung versprochen hat? Das sind die Fragen, die die PZ in dieser Serie beantwortet.

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