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Sicca-Syndrom

Das Auge sieht rot

24.04.2008  09:35 Uhr

Sicca-Syndrom

Das Auge sieht rot

Von Elke Wolf

 

Was normalerweise läuft wie geschmiert, scheuert wie Schmirgelpapier. Jeder Lidschlag vermittelt ein wundes Gefühl. Die Augen sind gerötet und leicht ermüdbar. Der prüfende Blick unter die Augenlider ergibt nichts, keine Wimper, kein Fremdkörper. Das weist alles auf die häufigste Augenerkrankung hin, die Keratokonjunctivitis sicca.

 

Wir leben in einem optischen Zeitalter. Hat man die Wahl, schaltet man selbst bei Nachrichtensendungen den Fernseher, nicht das Radio ein - und guckt vielfach bloß den Politikern und Promis beim Aussteigen aus Luxuslimousinen zu. Das mag absurd sein. Aber egal, wir wollen sehen, um mitreden zu können.

 

Eine Folge unserer modernen Lebensumstände ist das Krankheitsbild des Trockenen Auges, auch Keratokonjunctivitis sicca oder Sicca-Syndrom genannt. Der Berufsverband der Augenärzte Deutschlands schätzt, dass jeder Fünfte, der zum Augenarzt geht, daran leidet. Das sind rund 12 Millionen Bundesbürger. Im Zeitalter von klimatisierten und zentralbeheizten Büros und Hotels sowie stundenlanger Bildschirmarbeit spricht man neudeutsch vom »Office-Eye-Syndrome«. Zudem bereiten Tabakrauch, mangelnde Flüssigkeitszufuhr, Schadstoff- und Ozon-geschwängerte Luft oder Kontaktlinsentragen den Boden für einen Teufelskreis aus Tränenmangel und Tränenflüssigkeitsverlust.

 

Tabakrauch, klimatisierte oder verschmutzte Luft scheinen das Schleimhautepithel der Bindehaut zu verändern, sodass die Becherzellen weniger und verändertes Mucin bilden und der Tränenfilm in seinem Aufbau gestört ist. Und auch die übrigen Drüsen der Bindehaut bleiben von diesen Schadeinflüssen nicht verschont (Kasten).

 

Was das Auge austrocknen lässt

 

Häufig betroffen sind vor allem Menschen ab 40 Jahren, da mit zunehmendem Alter Haut und Schleimhäute an Feuchtigkeit verlieren, aber auch der Tränenfluss nachlässt. Frauen trifft es durchschnittlich häufiger; der Abfall der Hormone in der Postmenopause bleibt nicht ohne Wirkung auf die Tränen. Kommen dann noch Medikamente hinzu, die die Tränenproduktion drosseln, wird der Lidschlag zur Tortur.

Waschanlage für die Augen

Der Tränenfilm ist kompliziert zusammengesetzt. Schematisch betrachtet, sieht er wie ein dreischichtiges Sandwich aus. Zwischen der dünnen, nach außen liegenden Lipidschicht und einer der Cornea aufliegenden, gleichfalls dünnen Schleim- oder Mucinphase liegt eine wässrige Schicht.

 

Die wässrige Komponente macht rund 98 Prozent des Tränenfilms aus. Sie dient der Ernährung, vor allem der Sauerstoffzufuhr. Darin gelöst sind Proteine und Immunzellen, die antibakteriell, immunmodulierend und hormonell-trophische Eigenschaften haben. Unter den antibakteriellen Substanzen sind das Enzym Lysozym sowie die Substanz NLAF (nicht-lysozymaler antibakterieller Faktor) interessant. Ein trockenes Auge ist empfänglicher für Infektionen. Die wässrige Komponente des Tränenfilms schwemmt Fremdkörper von Horn- und Bindehaut ab. Sie wird von der Haupttränendrüse und den akzessorischen Drüsen der Bindehaut sezerniert.

 

Die äußere fetthaltige Schicht wird von den Meibomdrüsen, deren Ausführungsgänge parallel zur inneren Lidkante angeordnet sind, produziert. Sie verhindert, dass die Tränenflüssigkeit zu schnell verdunstet oder über die Lidkante abläuft. Außerdem trägt sie zur Erhöhung der Oberflächenspannung bei. Die Hydrophobie dieser äußeren Schicht ist ein Grund dafür, dass es kaum Tröpfcheninfektionen der Hornhaut gibt. Die innere gelartige Mucinschicht, gebildet von den Becherzellen der Bindehaut, macht die Hornhaut benetzbar, verwandelt sie also in eine hydrophile Oberfläche. Der Tränenfilm insgesamt gleicht kleine Oberflächenunregelmäßigkeiten der Hornhaut aus und lässt dadurch eine glatte optische Oberfläche entstehen.

 

In den letzten Jahren hat sich freilich die Ansicht über den rein schematischen Aufbau des Tränenfilms gewandelt. Heute wird er eher als stark wasserhaltiges Mucin-Bicarbonat-Gel angesehen. Ist nur eine einzige der Schichten vermindert oder fehlerhaft zusammengesetzt, machen sich Sicca-Symptome bemerkbar. Die Tränenflüssigkeit kann auch zu schnell verdunsten, wenn die äußere Lipidschicht gestört ist. Dann spricht man von »Hyper-Evaporisation«.

 

In jedem Fall resultiert ein Sauerstoffmangel der empfindlichen Hornhaut. Zur Kompensation wird Sauerstoff über die Blutgefäße der Bindehaut an die Hornhaut transportiert. Infolgedessen weiten sich die Gefäße und das Auge wird rot. Dieser Alternativweg schützt gewissermaßen das Auge. Mit α-Sympathomimetika, sogenannten Weißmachern, nimmt man dem Auge diese Möglichkeit.

 

Im Anfangsstadium ist das Sicca-Syndrom kaum gefährlich, jedoch störend und unangenehm. Werden die Beschwerden nicht behandelt, drohen Binde- und Hornhautentzündungen. Im fortgeschrittenen Stadium können sich auch Ulcera oder Narben auf der Hornhaut bilden. Die Sehfähigkeit kann bis zur Erbildung beeinträchtigt werden.

Deren Liste ist lang. Neben oralen Kontrazeptiva trocknen vor allem Betablocker, systemisch oder lokal als Augentropfen angewandt, die Augen aus. Auch viele Psychopharmaka wie Benzodiazepine, Antidepressiva und Neuroleptika führen nicht nur zu störender Mundtrockenheit, sondern häufig auch zu einer Keratokonjunctivitis sicca. Nicht zu unterschätzen ist der Effekt von systemisch und/oder lokal als Augentropfen applizierten Antihistaminika. Zudem ist der Missbrauch von lokalanästhetischen Ophthalmika ein häufiger Grund für trockene Augen. Diuretika oder Isotretinoin sind dagegen nur selten die Auslöser.

 

Besonderes Augenmerk gilt den Erkrankungen aus dem rheumatischen Formenkreis. An ein Sjögren-Syndrom, eine Autoimmunerkrankung, die bis zu drei Prozent der Frauen über 55 Jahre trifft, sollte man denken, wenn die Patientin gleichzeitig über Speichelmangel klagt. Denn beim Sjögren-Syndrom sind nicht nur die Tränendrüsen massiv entzündet, sondern auch die Speicheldrüsen im Mund. Die häufigste Erkrankung, die mit dieser autoimmunen Funktionsstörung assoziiert ist, ist die primär chronische Polyarthritis.

 

Auch anatomische Gegebenheiten können die Tränenproduktion auf Sparflamme setzen oder den Tränenverteilungsmechanismus irritieren. So sind Lidfehlstellungen wie eine Auswärtskehrung des Lides, Einwärtskehrung der Wimpern, eine Lidrandentzündung (Blepharitis), bei der die Meibomdrüsen entzündet sind, oder Erkrankungen des Hornhautepithels als Ursachen des trockenen Auges bekannt.

 

Diagnose ist Arztsache

 

Zwar erscheinen die Symptome relativ leicht einzuordnen, doch ist die endgültige Abklärung vom Augenarzt wichtig. Nur er kann den Ursachen auf den Grund gehen. Die Diagnose stellt er mit Hilfe verschiedener Tests. So kann er mit dem Schirmer-Test die Menge der wässrigen Phase der Tränenflüssigkeit messen. Dazu legt er einen Filterpapierstreifen teilweise in den Bindehautsack. Als pathologisch gilt, wenn der Streifen in fünf Minuten weniger als 5 Millimeter benetzt ist.

 

Mit dem BUT-(Break-up-time)-Test bestimmt er die Aufreißzeit des Tränenfilms. Sie gibt Aufschluss über die Stabilität und damit die Mucinphase des Films. Die Tränenfilm-Aufreißzeit ist definiert als die Zeit von einem Lidschlag bis zum Auftreten trockener Stellen auf der Hornhaut. Bei diesem Test färbt der Augenarzt den Tränenfilm mit dem Farbstoff Fluoreszein an und beobachtet das Auge mit der Spaltlampe. Normal ist eine BUT über 10 Sekunden, niedrigere Werte gelten als pathologisch. Die BUT sinkt mit fortgeschrittenem Alter. Durch Anfärbung des Binde- und Hornhautepithels mit Farbstoffen wie Bengalrosa oder Lissamingrün lassen sich ebenfalls trockene Stellen sowie abgeschilferte nekrotische Epithelzellen erkennen.

 

Die Testergebnisse haben nur begrenzten Aussagewert, da sich in der Praxis Normalbefunde und Befunde von Patienten mit trockenen Augen immer wieder überschneiden. Die klinische Beurteilung scheint nach wie vor das wichtigste Diagnosekriterium zu sein.

 

Ein Blick hinter die Kulissen

 

Egal ob ein Tränenmangel oder eine zu schnelle Verdunstung für schmerzhafte Augenblicke sorgen: »In beiden Fällen führt diese Dysfunktion der Tränenflüssigkeit zu einer immunologisch gesteuerten Entzündungsreaktion auf der Augenoberfläche«, erklärt Professor Dr. Horst Brewitt, Leiter des Ressorts Trockenes Auge im Berufsverband der Augenärzte Deutschlands und vor seinem Ruhestand Oberarzt an der Augenklinik der Medizinischen Hochschule Hannover, im Gespräch mit der Pharmazeutischen Zeitung.

 

In der Tat: Im geschädigten Konjunktivalepithel werden vermehrt proinflammatorische Zytokine, immunologisch aktive Moleküle wie Interleukine oder Tumornekrosefaktor-α sowie interzelluläres Adhäsionsmolekül exprimiert. Auch der Tränenfilm ist entzündlich verändert und beinhaltet vermehrt Zytokine, proapoptotische Faktoren, Adhäsionsmoleküle und Matrixmetalloproteinasen (MMP). MMPs sind ihrerseits in der Lage, latente proinflammatorische Zytokine zu aktivieren und somit die Oberflächenerkrankung anzutreiben. In Augenoberfläche und Tränendrüse bewirken proinflammatorische Zytokine eine vermehrte Apoptose der Epithelzellen sowie gleichzeitig eine verminderte Apoptose von Lymphozyten.

 

Seit kurzem gibt es Therapieansätze, die in diesen Pathomechanismus eingreifen. Dank seiner antiinflammatorischen Wirkung war Cyclosporin A in mehreren Studien gut wirksam. Getestet wurden mäßiggradige und schwere Formen des Sicca-Syndroms. 0,05-prozentige Cyclosporin-A-haltige Lösungen sind bislang nur in den USA zugelassen (Beispiel RestasisTM). Hierzulande existiert eine NRF-Rezeptur für 1- und 2-prozentige Cyclosporin-haltige Augentropfen. In den USA gibt es mittlerweile auch die wirkstofffreie Formulierung von Restasis zur Tränensubstitution.

 

Der Arzneistoff reduziert die lymphozytäre Infiltration und die Zahl entzündlicher Marker in der Bindehaut sowie die Epithelzellproliferation. Zudem steigt die Zahl der Becherzellen signifikant an. Die Tropfen werden zweimal täglich eingeträufelt und stellen eine Dauertherapie dar. Systemische Nebenwirkungen wurden bei der 0,05-prozentigen Lösung nicht beobachtet.

 

Im Gegensatz dazu sollten unkonservierte 1-prozentige Corticosteroid-haltige Augentropfen, die ebenfalls das Beschwerdebild bessern, wegen okulärer Nebenwirkungen nur als Stoßtherapie eingesetzt werden. Sie werden zwei Wochen lang drei- bis viermal täglich angewendet. Diese Therapie wird nur für Exazerbationen der Keratokonjunctivitis sicca empfohlen.

 

Androgene blinzeln mit

 

Auch Hormone lassen die Tränenproduktion nicht unbeeindruckt, denn besonders Androgene beeinflussen die zelluläre Architektur, Genexpression, Proteinsynthese, Immunität und Sekretion der Tränendrüse. Wenn bei Frauen in der Menopause die Androgenspiegel sinken, begünstigt dies eine entzündliche Reaktion in Tränendrüse und Augenoberfläche. Einer Keratokonjunctivitis sicca wird somit der Boden bereitet. Ein Androgendefizit lässt zudem die Tränendrüse degenerieren, verändert die enzymatische Aktivität sowie die Flüssigkeits- und Proteinsekretion der Tränendrüse. Allerdings gibt es auch einige Studien, die einen Androgenmangel per se nicht für das trockene Auge bei Non-Sjögren-Patienten verantwortlich machen.

 

Daher lag es nahe, Androgen-haltige Augentropfen zu entwickeln. Mittlerweile haben sie die Bewährungsprobe bis zur klinischen Phase II/III durchlaufen. Sie sind überaus effektiv. Die Tränenaufreißzeit steigt an und die Lipidphase verbessert sich. Grund dafür ist, dass Androgene die Tränendrüse stimulieren und das Lipidprofil der Meibomschen Drüsen beeinflussen. Außerdem senken sie die Apoptoserate der Tränendrüsenepithelien signifikant. Brewitt: »Die ideale Dosis zu finden, die sich wirksam auf die Tränenflüssigkeit auswirkt und dennoch keine systemischen Nebenwirkungen auslöst, ist äußerst schwierig.«

 

Noch vor einigen Jahren verfolgte man die Entwicklung Estrogen-haltiger Augentropfen. Diesen Weg hat man wieder verlassen. »Denn heute weiß man, dass etwa eine Hormonersatztherapie, also eine Substitution von Estrogenen, ein trockenes Auge fördert«, sagt Brewitt.

 

Da bleibt kein Auge trocken

 

Ein kausaler Ansatz ist die Therapie des trockenen Auges bei Sjögren-Patienten mit Pilocarpin. Die Tabletten mit 5 mg Wirkstoff werden viermal pro Tag genommen (Salagen®).

 

Als cholinerges Parasympathomimetikum reagiert Pilocarpin mit Muscarin-3-Rezeptoren und hat deshalb ein breites Wirkspektrum. Nicht nur die Tränenproduktion wird stimuliert, sondern auch die Bildung von Speichel, Verdauungssäften und Schleim. Das sorgt relativ häufig für starkes Schwitzen, häufiges Wasserlassen, Kopfschmerzen und gastrointestinale Probleme. Da auch kardiale Arrhythmien und Bronchokonstriktion möglich sind, sollte ein Internist die Therapie begleiten.

 

Ein weiteres M3-Cholinergikum ist Cevimeline, das aber nur in den USA erhältlich ist. Sein Nebenwirkungsspektrum ist wesentlich günstiger.

 

Aber auch für Nicht-Sjögren-Patienten mit Sicca-Syndrom gibt es neue Therapieansätze. So ruhen große Hoffnungen auf autologem Serum. Eigenserum enthält eine Reihe von epitheliotropen Wachstumsfaktoren und essenziellen Tränenfilmkomponenten, die die Regeneration des Corneaepithels unterstützen. Klinische Studien berichten über den erfolgreichen Einsatz bei starker Augentrockenheit und persistierenden Epitheleffekten. Problem: Autologe Serum-Augentropfen können mit unterschiedlichen Verfahren hergestellt und in unterschiedlichen Konzentrationen angewendet werden. Diese Herstellungsvariationen beeinflussen den biochemischen Charakter und damit die epitheliotrope Wirkung der Augentropfen. »Zudem unterliegt autologes Serum als Blutprodukt hohen gesetzlichen Auflagen. Nur Hämatologen oder Stellen, die über eine Blutbank verfügen, können diese Augentropfen herstellen. Deshalb ist der Einsatz Kliniken vorbehalten, die Patienten mit schwersten Beschwerden stationär aufnehmen. Nicht zuletzt sind die Augentropfen nur begrenzt haltbar«, schränkt Brewitt einen breiteren Einsatz ein.

 

Einen weiteren Trumpf halten forschende Augenärzte mit den beiden Sekretagoga Diquafosol und 15-(S)-Hydroxyeicosatetraensäure, kurz 15(S)-HETE, in Händen. Beide befinden sich in Phase III der klinischen Studien.

 

Diquafosol ist ein selektiver P2Y2-Purin-Rezeptoragonist, der die Barrierefunktion der Hornhaut verbessert und die Mucinproduktion ankurbelt. Dieser Rezeptorsubtyp kommt hauptsächlich in der menschlichen Lunge vor, wurde vor kurzem aber auch in der Bindehaut identifiziert. Klinische Studien belegen die Sicherheit und Wirksamkeit von Diquafosol-Tetranatrium beim trockenen Auge. Dabei wurde eine 2-prozentige Lösung über zwei bis 24 Wochen getropft.

 

Dem steht 15(S)-HETE in nichts nach. Das Derivat der Arachidonsäure, das vor allem in den menschlichen Bronchien vorkommt, steigert an der Augenoberfläche selektiv die Bildung von löslichem und membrangebundenem Mucin.

 

Immer wieder tropfen

 

Auch wenn Androgene, Cyclosporin und Co. neue Entwicklungen und Therapieoptionen darstellen: »Diese Präparate sind nicht der Renner für jedermann«, rückt Brewitt deren Stellenwert zurecht. »Die Tränensubstitution ist und bleibt die Basis. Das Primäre in der Therapie ist nach wie vor, den mechanisch bedingten Entzündungsschub zu dämpfen. Denn das facht die Entzündung an. Tränenersatzmittel verringern die Tränenfilmosmolarität und reduzieren die Scherkräfte beim Blinzeln. Dadurch wirken sie bereits entzündungshemmend. Künstliche Tränen können das Gros der Patienten zufrieden stellen. Erst wenn das nicht hilft, kommt etwa Cyclosporin zum Einsatz, um zusätzlich den Entzündungsreiz zu senken.«

 

Brewitt erinnert daran, dass trotz einer entzündungshemmenden Therapie zusätzlich noch Tränen substituiert werden müssen. »Beides läuft immer parallel. Zudem greift eine antientzündliche Therapie frühestens nach vier bis sechs Wochen. Eine Tatsache, die vielen Patienten, Apothekern und Ärzten nicht bewusst ist.« Zudem sollte das Apothekenteam den Patienten im Beratungsgespräch darauf hinweisen, dass er gegebenenfalls verschiedene Medikamente ausprobieren muss, ehe das optimale Präparat gefunden ist.

 

Viele Betroffene vermuten zunächst eine Bindehautentzündung und verlangen in der Offizin nach einem entsprechenden Präparat. Jedoch verschlechtern α-Sympathomimetika die Sicca-Symptome. Denn diese »Weißmacher« stellen die Gefäße in der Bindehaut eng und die Hornhaut wird noch schlechter mit Sauerstoff versorgt. Deshalb: Wünscht der Kunde ein Präparat gegen Bindehautentzündung, muss man nachfragen, ob die Beschwerden schlagartig aufgetreten sind oder die Augen bereits seit geraumer Zeit jucken und brennen. Ein weiterer Hinweis auf trockene Augen ist das von vielen Betroffenen angegebene Fremdkörpergefühl, was bei einer Bindehautentzündung meist nicht empfunden wird.

 

Tränen für reibungslose Sicht

 

Die im Handel befindlichen Filmbildner lassen sich in drei Gruppen einteilen:

 

synthetische Polymere wie Polyvinylpyrrolidon oder Polyacrylat (Carbomer),

Cellulosederivate wie Hydroxyethylcellulose oder Hypromellose (Hydroxypropylmethylcellulose) und

Hyaluronsäure.

 

Die Lösungen werden zum Ersatz oder zur Steigerung des wässrigen Anteils des Tränenfilms eingetropft. Je nach Polymerisationsgrad unterscheiden sie sich in ihrer Viskosität. Die Auswahl richtet sich nach der Schwere der Erkrankung. Bei Patienten mit leichten Beschwerden empfiehlt man am besten wässrige Polymerlösungen, etwa mit Polyvinylpyrrolidon (zum Beispiel Vidisept®, Lacophtal®). Sind die Beschwerden massiver, helfen höher visköse Filmbildner mit Cellulosederivaten wie Hypromellose (zum Beispiel Artelac®) oder Carbomer (zum Beispiel Sic-Ophtal®). In schweren Fällen setzen Augenärzte auf höher visköse Hyaluronsäure-haltige Präparate (zum Beispiel Artelac® advanced, Hylo-Comod®), die zusätzlich zytoprotektiv wirken.

 

Daran denken: Salben und Gele beeinträchtigen kurzfristig das Sehvermögen und sollten vorzugsweise nachts angewendet werden. Höher visköse Präparate haben durch eine verbesserte Bioadhäsion an der Augenoberfläche eine längere Verweildauer. Allerdings: Wenn zu viel Gel in den Bindehautsack gelangt, können sie die Lider verkleben, was einige Betroffene als unangenehm schildern. Nachts sind Carbomere in der Regel ungeeignet, da sie zur Verkrustung neigen. Ihr Einsatz ist vor allem bei schweren Formen zweckmäßig. Sie wirken wie ein flüssiger Verband.

 

Damit Schleimhautläsionen des Auges schneller heilen, können Augenarzneimittel mit Dexpanthenol (zum Beispiel Corneregel® Fluid, Bepanthen Augen- und Nasensalbe®) empfohlen werden. Sie eignen sich ebenfalls für die Nachbehandlung von Hornhautentzündungen. Auch Präparate, die Vitamin A, also Retinol (zum Beispiel Oculotect® Gel), enthalten, lindern Austrocknungserscheinungen der Hornhaut. Sie sollen die Regeneration des Auges nach Bindehautentzündungen oder kleineren Hornhautverletzungen beschleunigen. Allerdings ist ihr Nutzen klinisch bisher nicht eindeutig erwiesen.

 

Augentropfen ohne Konservierungsmittel, gekennzeichnet durch Namenszusätze wie O. K., SINE, SE oder EDO, sind bei trockenem Auge die Mittel der ersten Wahl, denn Konservierungsmittel, allen voran Benzalkoniumchlorid, reizen das angegriffenen Auge zusätzlich. Benzalkoniumchlorid wird Augentropfen nicht nur wegen seiner antibakteriellen Eigenschaften zugesetzt, sondern stabilisiert auch den Arzneistoff und fördert dessen Penetration ins Auge. Der Pferdefuß: Das Konservierungsmittel vermindert die wässrige und die lipophile Phase des Tränenfilms und schädigt aufgrund seiner hohen Oberflächenaktivität das Hornhautepithel. Deshalb lautet eine Faustregel: Sobald ein Patient häufiger als viermal täglich Tränenersatzmittel tropft, sollte er auf Präparate ohne Konservierung umsteigen.

 

Für den Sofortgebrauch sind Einzeldosis-Ophthiolen (EDO) zugelassen. Mitunter liest man den Hinweis, dass man das Fläschchen innerhalb von 24 Stunden aufbrauchen kann. Es gibt auch wiederverschließbare EDO mit Hyaluronsäure (zum Beispiel Hylan® und Xidan®). Die Köpfe können nach Anbruch wieder auf die Ophthiole aufgesteckt werden. Laut Fachinformation dürfen Xidan-EDO nach dem Öffnen höchstens zwölf Stunden bei Raumtemperatur verwendet werden.

 

Unkonservierte Zubereitungen brauchen auch Patienten, die Ophthalmologika dauerhaft tropfen müssen, etwa Glaukom-Mittel. Denn rund jeder zweite Glaukompatient leidet an Sicca-Beschwerden. Hilfreich ist es, wenn der Patient gleich Konservierungsmittel-freie Augentropfen mit Pilocarpin, Clonidin, Betablockern oder dem Carboanhydrase-Hemmer Dorzolamid vom Arzt bekommt. Das Tränenersatzmittel sollte dann frühestens zehn Minuten nach dem Antiglaukomatosum ins Auge geträufelt werden.

 

Galenik, die überzeugt

 

Einige Produkte machen durch eine überraschende Galenik auf sich aufmerksam. Diese Präparate liegen im Fläschchen flüssig vor und wandeln sich erst im Auge in einen gleichmäßigen Mucin-artigen Gelfilm um (Beispiel Systane® Benetzungstopfen). Die Geltropfen enthalten viskositätserhöhende Zusätze aus natürlichen Rohstoffen wie Polysaccharide aus Guar. Hydroxypropylguar lässt in Verbindung mit Propylenglykol das Mucin-artige Gel auf der Augenoberfläche entstehen. Im Gegensatz zu klassischen Augengelen bemerken die Patienten keine störenden Schlieren.

 

Auch relativ neu: Mehrdosis-Ophthiolen, auch Ophthalsysteme genannt, bei denen eine spezielle Pumpe Keime zurückhält. Daher sind die Tropfen bis zu zwölf Wochen haltbar, obwohl sie kein Konservierungsmittel enthalten (zum Beispiel Hya®-Ophtal®system, Lac®-Ophtal®system, Artelac® advanced MDO). Dies ist ein wesentlicher Vorteil im Vergleich zu herkömmlichen Mehrdosen-Tropffläschchen, die trotz Konservierung nur vier Wochen verwendet werden dürfen.

 

Der Tatsache, dass eine gestörte Lipidschicht den Tränenfilm oft zu schnell verdunsten lässt, wollen Präparate mit Phospholipiden Rechnung tragen. Durch Aufsprühen von Phospholipid-Liposomen (zum Beispiel Lipo Nit®, Tears Again®, Ocutears® Lipospray) auf die geschlossenen Augen wird der Tränenfilm gestärkt. Die Liposomen wandern über die Lidränder nach und nach ins Auge und werden in den Lipidfilm integriert. Bis zu vier Stunden soll der Tränenfilm durch diese winzigen Fettkügelchen stabilisiert werden. Besonders Patienten mit chronisch entzündeten Lidrändern empfinden solche Präparate als sehr angenehm, da sie zusätzlich kühlen und den Juckreiz stillen.

 

Es gibt auch herkömmliche Tränenersatzpräparate mit Lipidzusatz, zum Beispiel Triglyceriden (Beispiel Visine® Trockene Augen, Liposic®). Brewitt: »Auch wenn die Lipidschicht des Tränenfilms eine Vielzahl von unterschiedlichen Lipiden enthält, so sind diese neuartigen Augentropfen ein therapeutischer Schritt in die richtige Richtung.« Und: Die Präparate sind auch für Kontaktlinsenträger geeignet.

 

Apropos Kontaktlinsenträger: Nicht jede Tränenersatzflüssigkeit verträgt sich mit jeder Kontaktlinse. Welche Präparate zu einer Linse ins Auge getropft werden dürfen, ist schon deshalb wichtig, weil viele Träger weicher Haftschalen die Filmbildner zum Nachbenetzen benutzen. Eine pauschale Regel für die Verträglichkeit gibt es nicht. Hier muss man die Angaben des Herstellers berücksichtigen. Prinzipiell gilt: Für weiche Kontaktlinsen muss die Flüssigkeit Konservierungsmittel-frei sein, weil weiche Linsen leicht Fremdstoffe absorbieren (Tabelle).

Tabelle: Tränenersatzmittel bei Kontaktlinsen (Beispiele)

Fertigarzneimittel Benetzungsmittel Konservierungsstoff geeignet für harte Linsen geeignet für weiche Linsen
Artelac EDO Hypromellose keiner ja ja
Berberil Dry Eye Hypromellose Cetrimid ja nein
Berberil Dry Eye EDO Hypromellose keiner keine Angaben in der Fachinformation keine Angaben in der Fachinformation
Lacophthal sine Povidon keiner ja ja
Yxin Tears Povidon Cetrimid keine Angaben in der Fachinformation nein
Yxin Tears ED Povidon keiner ja ja

Abflussstöpsel fürs Auge

 

Wenn Filmbildner nicht ausreichen, können bei ausgeprägten Sicca-Beschwerden die Abflusskanäle im inneren Lidwinkel mechanisch verschlossen werden. Eine Blepharitis als Ursache der Beschwerden muss zuvor ausgeschlossen sein. Ähnlich wie mit einem Stöpsel im Waschbecken wird der Abfluss der nur geringen Tränenflüssigkeit reduziert. Die Stöpsel, auch Punctum plugs genannt, setzt der Augenarzt unter örtlicher Betäubung in die Tränenpünktchen ein. Dadurch lassen sich die Applikation von künstlichen Tränen und die subjektiven Symptome deutlich reduzieren. Die Wirkung der Stöpsel wird auf die bessere Verwertbarkeit essenzieller Tränenfilmkomponenten zurückgeführt.

 

Allerdings zeigen die Studien auch, dass manche Patienten die Plugs verlieren oder nicht vertragen. Daher stellte man Stöpsel aus Kollagen her, das sich nach einer bestimmten Zeit auflöst. Auch ein kegelförmiger Punctum plug aus Silikon (SuperflexTM) wird besser vertragen. Im Gegensatz zu den herkömmlichen Stöpseln ist er durch Kontraktionsrippen besonders flexibel und passt sich den individuellen anatomischen Gegebenheiten des Tränenkanals an.

 

Eine weitere Möglichkeit, den ständig schmerzenden Augen beizukommen, ist die Verödung der Tränenpünktchen durch Elektrokoagulation. Allerdings ist der Eingriff irreversibel. Und man sollte nicht vergessen, dass auch schädliche Substanzen wie proinflammatorische Zytokine länger auf dem Auge verbleiben. Daher sollte immer eine entzündungshemmende Lokaltherapie die Verödung begleiten.

Augenblick mal!

Einfache Maßnahmen helfen, den Tränenfilm zu schonen:

 

Lidrandpflege macht die Ausführungsgänge der Meibomdrüsen durchlässig. Hierzu dreimal täglich feuchtwarme Kompressen auf die Augenlider legen und anschließend bei geschlossenen Augen mit einem Wattestäbchen in Richtung der Lidkanten ausstreichen.

Luftfeuchtigkeit in Wohnräumen erhöhen, zum Beispiel mehrmals täglich lüften oder Schälchen mit Flüssigkeit auf die Heizung stellen.

Kontaktlinsen so oft wie möglich gegen eine Brille tauschen.

Lange Bildschirmarbeit meiden Häufig blinzeln, regelmäßig Pausen einlegen und die Augen in die Ferne schweifen lassen.

Gebläse im Auto, Zug oder Flugzeug nicht auf die Augen richten.

Kontaktlinsenträger sollten für ausreichend Benetzung sorgen. Vor allem weiche Haftschalen trocknen die Augenoberfläche aus.

Tabakrauch meiden.

Augentropfen mit α-Sympathomimetika meiden oder nur bei korrekter Indikation kurzzeitig anwenden.

 

Literatur

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Arzneiformen zur Anwendung am Auge. Aus: Kircher, W., Arzneiformen richtig anwenden. Dtsch. Apoth.verlag Stuttgart 2007.

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www.tearfilm.org/dewsreport_German

 

Die Autorin

Elke Wolf studierte Pharmazie in Frankfurt am Main. Die Approbation als Apothekerin erfolgte 1995 im Anschluss an das praktische Jahr in einer öffentlichen Apotheke und in der pharmazeutischen Industrie bei der damaligen Sandoz AG in Nürnberg. Nach einem Praktikum und einem Volontariat bei der Pharmazeutischen Zeitung schreibt sie seit mehr als zehn Jahren als freie Journalistin für Fach- und Publikumsmedien sowie für die Industrie. Die PZ-Leser kennen Apothekerin Wolf seither als Autorin zahlreicher spannender Titelbeiträge.

 

 

Elke Wolf

Traminer Straße 13

63322 Rödermark

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