Blutgerinnung im Verzug |
05.08.2014 10:09 Uhr |
Von Claudia Borchard-Tuch / Die Hämophilie ist eine Störung der Blutgerinnung, bei der Faktoren des Gerinnungssystems fehlen. Heilbar ist die Erkrankung bis heute nicht. Plasmatische und rekombinante Faktorenkonzentrate ermöglichen jedoch eine normale Lebenserwartung.
»Ich heiße Julian und leide seit meiner Geburt an einer schweren Hämophilie A«, schreibt ein Betroffener (6). Es sind die Hauthämatome – die klassischen blauen Flecken, die als Erstes auffallen. Meist sind blaue Flecken harmlos. Finden sie sich jedoch gehäuft, nach leichten Verletzungen, an ungewöhnlichen Stellen oder sind besonders ausgeprägt, könnte eine Gerinnungsstörung zugrunde liegen. Doch auch wenn die Diagnose »Hämophilie« feststeht, ist dies kein Grund zur Verzweiflung. Julian macht Mut: »Oft steht man als Bluter möglicherweise vor größeren Problemen, als sie ein gesunder Mensch kennt, aber in meinem Fall kann ich sagen, dass ich ein nahezu normales Leben führe.«
Was ist Hämophilie?
Die wohl erste Beschreibung der Hämophilie (gr. αιμα [haima] – Blut; φιλος [philos] – Freund) ist etwa 1500 Jahre alt und entstammt dem Talmud. Dort ist festgelegt, dass ein Knabe, der zwei Brüder bei der Beschneidung – durch Verbluten – verloren hat, selbst von der Beschneidung befreit ist (5).
Bei einer Hämophilie ist die Blutgerinnung (sekundäre Hämostase) gestört. Daher gerinnt das Blut aus einer Wunde oder bei einer Spontanblutung nicht oder nur verzögert. Grundlage einer normal funktionierenden Blutgerinnung ist das Zusammenspiel mehrerer Gerinnungsfaktoren. Das menschliche Blutgerinnungssystem beinhaltet 13 Faktoren, die mit den Ziffern I bis XIII benannt sind. Die beiden klassischen Formen der Gerinnungsstörung sind die Hämophilie A und B (1). Bei der häufigeren Hämophilie A fehlt der Gerinnungsfaktor VIIIc (Hämophilie A-) oder ist inaktiv (A+); bei der Hämophilie B fehlt der Faktor IX oder ist inaktiv.
Hämophilie A und B werden X-chromosomal rezessiv vererbt: In der Regel erkranken nur die betroffenen Männer. Die Frauen sind Konduktorinnen (Überträgerinnen), die das defekte Gen tragen und vererben, im Allgemeinen aber keine Blutungszeichen aufweisen.
Gerinnungsstörungen können auch andere Ursachen haben. Das Von-Willebrand-Syndrom beruht auf einem Mangel oder Defekt des Von-Willebrand-Faktors (vWF) und ist die häufigste angeborene Gerinnungsstörung, die Männer und Frauen gleichermaßen betrifft (1). Der vWF ist ein adhäsives Glykoprotein, das in Megakaryozyten und Endothelzellen synthetisiert und in die Zirkulation freigesetzt wird. Es ist ein Trägerprotein für den Gerinnungsfaktor VIII und spielt für diesen eine wichtige protektive Rolle. Das Syndrom wird in der Regel autosomal dominant vererbt, sodass beide Geschlechter erkranken.
Selten sind erworbene Formen von Gerinnungsstörungen bei bestimmten Grunderkrankungen, zum Beispiel Hypothyreose, kardialen, renalen und onkologischen Erkrankungen, oder im Zusammenhang mit Medikamenten, beispielsweise Valproat. Blutungen sind bei Patienten mit erworbener Hämophilie häufiger und schwerer als bei angeborener Hämophilie (1).
Bei der Hämophilie A oder B sind – entsprechend dem X-chromosomalen Erbgang – in der Regel Männer klinisch auffällig. War man bis vor Kurzem der Ansicht, dass Konduktorinnen nicht vermehrt bluten, weiß man jedoch nunmehr, dass es durchaus Überträgerinnen mit Blutungsneigung gibt (5).
Die Inzidenz der Hämophilie A beträgt 1:5000 der männlichen Geburten, die Inzidenz der Hämophilie B 1:25 000. In Deutschland sind etwa 6000 Hämophilie-Patienten in Behandlung, die aus 4000 Familien stammen. Etwa die Hälfte der Patienten ist schwer erkrankt (9).
Verdächtige Symptome
Eine Hämophilie so früh wie möglich zu erkennen, ist von größter Bedeutung. Nur so können Folgeschäden verhindert werden. Oft zeigen sich blaue Flecken in der Haut. Dies kann bereits in der frühen Kindheit auffallen, nicht selten schon im ersten Lebensjahr.
Je nach Restaktivität des betroffenen Gerinnungsfaktors lassen sich verschiedene Schwergrade der Erkrankung unterscheiden (1). Bei der leichten Form treten im alltäglichen Leben kaum Blutungen auf; chirurgische Eingriffen können aber mit Komplikationen einhergehen. Unbehandelt kommt es bei der (mittel-)schweren Form zu spontanen Blutungen. Prinzipiell können Blutungen an allen Stellen des Körpers auftreten, beispielsweise im Gehirn, Gastrointestinaltrakt oder Urogenitalsystem. Bei 80 Prozent der Patienten sind die Gelenke betroffen, in 13 Prozent die Muskulatur. Wiederholte Einblutungen vorzugsweise in große Gelenke wie Knie- und Sprunggelenk können zu blutigen Gelenkergüssen (Hämarthrosen), irreversiblen knöchernen Veränderungen der Gelenke bis hin zur Versteifung führen.
Die Lebenserwartung von Hämophilie-Patienten war zu Beginn des letzten Jahrhunderts extrem kurz. Haupttodesursache waren schwere intrazerebrale Blutungen. Heute ist davon auszugehen, dass betroffenen Kindern bei entsprechender Behandlung ein weitgehend normales und aktives Leben bevorsteht. Allerdings erhält Schätzungen der Weltgesundheitsorganisation zufolge nur ein Viertel aller Menschen mit Hämophilie weltweit eine adäquate Behandlung mit Faktorenkonzentraten.
Diagnose
Die Bedeutung von Hautblutungen können Ärzte anhand von standardisierten Fragebögen einschätzen. Gerinnungsparameter wie die aktivierte partielle Thromboplastinzeit (aPTT), der Quick-Wert oder die International Normalized Ratio (INR) sind nur bei schweren Gerinnungsstörungen pathologisch verändert und auch dann nicht immer. So ist die aPTT beim Von-Willebrand-Syndrom (vWS) meist normal.
Die Diagnostik stützt sich vor allem auf die messbare Aktivität des Faktor VIII und Faktor IX (»clotting activity«, C) im Blut (Tabelle 1). Der Befund wird in Prozent angegeben, bezogen auf eine Standardkurve, die mit einem Normalplasma erstellt wurde. Der Normbereich beträgt 60 bis 150 Prozent.
Bei Konduktorinnen ist der Faktor-VIII- beziehungsweise Faktor-IX-Spiegel sehr variabel, meist beträgt er 25 bis 100 Prozent der Norm. Wenn die Frau nicht gerade die Mutter eines Hämophilen ist, ist zur sicheren Diagnose »Konduktorinnenstatus« eine genetische Untersuchung mit Sequenzierung des Faktor-VIII- oder Faktor-IX-Gens zu empfehlen (5).
Faktorenkonzentrate zur Substitution
Seit Ende der 1960er-Jahre gibt es Faktorenkonzentrate für die Behandlung von Hämophilen. Dabei handelt es sich um aus menschlichem Plasma gewonnene Gerinnungsfaktoren (Faktor VIII, Faktor IX). Zunächst waren Kryopräzipitate verfügbar, später Plasma-derived(PD)-Faktorenkonzentrate.
Schweregrad der Hämophilie | Clotting activity (Prozent) |
---|---|
schwer | < 1 |
mittelschwer | 1 bis 5 |
leicht | 6 bis 25 |
Subhämophilie | 26 bis 40 |
Nach 1980 kam es zur HIV-Katastrophe, bei der die Hälfte aller schwer Hämophilie-Kranken in Mitteleuropa durch nicht oder nicht ausreichend virusinaktivierte PD-Faktorenkonzentrate mit HIV infiziert wurde. Viele starben in den folgenden Jahren.
Heute besteht die Auswahl zwischen virusinaktivierten PD-Faktorenkonzentraten und rekombinant hergestellten Konzentraten für Patienten mit Hämophilie A. Für die Hämophilie B stehen PD-Konzentrate und ein rekombinant hergestelltes Konzentrat zur Verfügung. Die Zulassung von Gerinnungsfaktoren erfolgt in Deutschland durch das Paul-Ehrlich-Institut (PEI) in Langen, auf europäischer Ebene durch die Europäische Arzneimittelagentur EMA.
Jedes Plasma muss auf Antikörper sowie Virusbestandteile relevanter Erreger untersucht werden, die mit Plasma übertragen werden können. Die wichtigsten sind das HI-, Hepatitis-B- und Hepatitis-C-Virus. Zudem werden alle Plasmen mit einem Nukleinsäure-Amplifikations-Test (NAT) auf das genetische Material dieser Viren sowie auf Hepatitis-A- und Parvo-B19-Viren untersucht. Plasma sollte nur in Ländern mit einem funktionierenden Gesundheits- und Sozialwesen gesammelt werden. Die Virusinaktivierung erfolgt mit zwei verschiedenen Verfahren: die Pasteurisierung (Plasma wird über zehn Stunden auf 60 °C erwärmt) und das SD-Verfahren (durch Zusatz von chemischen Verbindungen werden die Virushüllen zerstört).
Fast alle Patienten mit diagnostizierter Hämophilie werden in Deutschland in Zentren betreut. Auf dem Notfallausweis der Patienten findet sich meist auch die Notfallnummer der behandelnden Ärzte (9). Für häufige Infusionen im Notfall kann das Anlegen eines zentralen Venenkatheters erforderlich sein.
Individuell angepasste Therapie
Die individualisierte Therapie steht im Vordergrund. Ziele sind die effektive Stillung von Blutungen, die Vermeidung von Blutungsfolgen mit Behinderung und eine Erhöhung der Lebensqualität. Mit jedem Patienten wird ein Therapieregime bezüglich Präparat, Dosis und Behandlungsintervall festgelegt (9).
Die Substitution des Gerinnungsfaktors erfolgt grundsätzlich intravenös. Die Dosis wird in Abhängigkeit vom Körpergewicht und den angestrebten Faktorspiegeln errechnet. Die Dosierung bei Kindern unterscheidet sich grundsätzlich nicht von der bei Erwachsenen. Manchmal sind bei Kindern jedoch häufigere Injektionen oder höhere Dosen erforderlich, um den angestrebten Faktorspiegel zu erreichen. Man unterscheidet zwei Formen der Substitution:
Eine Schulung der Eltern und später des Kindes ermöglicht die (ärztlich kontrollierte) Heimselbstbehandlung. Dabei geht es auch um die Prophylaxe von weiteren Blutungen. Oft gelingt die Heimselbstbehandlung schon bei Kindern unter zwei Jahren. Ab dem achten bis zehnten Lebensjahr kann das Kind lernen, selbst zu spritzen. Auch die Aufbewahrung und die Vorbereitung des Medikaments sowie die Dokumentation im Tagebuch gehören zum Schulungsprogramm (4, 9).
Die medikamentöse Therapie wird unterstützt durch eine allgemeine Behandlung, deren wichtigster Pfeiler das körperliche Training ist. Dieses zielt darauf ab, den Bewegungsapparat (Muskulatur, Bänder, Sehnen) zu stärken, eine stabile Gelenkführung zu gewährleisten und damit die Gefahr weiterer Blutungen zu minimieren. Das gilt besonders für Kinder und Jugendliche (4).
Komplikationen
Bei den Komplikationen der Therapie spielen Infektionen mit HIV oder Hepatitisviren kaum mehr eine Rolle. Die Bildung von Antikörpern, die die verabreichten Gerinnungsfaktoren inaktivieren, stellt mittlerweile die am meisten gefürchtete Nebenwirkung dar. Sie tritt bei 25 bis 30 Prozent aller Patienten mit schwerer Verlaufsform auf. Die Patienten sprechen dann auf die Gerinnungsfaktoren nicht mehr ausreichend an. Ihre Lebenserwartung ist in der Regel verkürzt (9).
Durch eine Immuntoleranzinduktion versucht man, die Hemmkörperbildung zu durchbrechen, um anschließend wieder eine »normale« Hämophiliebehandlung zu ermöglichen. Am häufigsten sind die Antikörper gegen Faktor VIII gerichtet. Im deutschsprachigen Bereich wenden Ärzte dann meist das Bonn-Protokoll an. Durch hoch dosierte Substitution von FVIII kann eine dauerhafte Toleranz erzeugt werden. Der Wirkungsmechanismus ist noch unbekannt (9). Mit dieser Methode lassen sich die Hemmkörper bei 80 Prozent der Patienten dauerhaft eliminieren.
Gelingt dies nicht, kann eine Behandlung mit Bypass-Präparaten erforderlich sein. Solche Präparate ermöglichen die Blutgerinnung auch ohne den fehlenden Faktor VIII (oder IX), indem sie die Schritte im Blutgerinnungssystem umgehen, in denen Faktor VIII (oder IX) benötigt wird. In Deutschland stehen als Bypass-Präparate rekombinanter aktivierter Faktor VII (rFVIIa) und aktiviertes Prothrombinkomplexkonzentrat (aPCC) zur Verfügung. aPCC wird aus Blutspenden hergestellt; es ist plasmatischen Ursprungs. rFVIIa wird gentechnologisch hergestellt und enthält keine Bestandteile aus menschlichem Spenderblut.
Was tun bei Verletzungen?
Bei Verletzungen müssen Hämophilie-Patienten genau beobachtet und gezielt behandelt werden. Die lokale Blutstillung ist von hoher Bedeutung. Bei einer äußeren Blutung als Folge einer kleinen Schnitt- oder Schürfwunde genügt meist ein Pflaster. Manchmal ist ein Druckverband erforderlich, nur selten eine Faktorgabe. Bildet sich ein Hämatom, ist meist nur Kühlung erforderlich und eine Faktorgabe nicht notwendig.
Nimmt der Patient hingegen eine Schonhaltung ein und vermeidet Bewegungen, sind dies Alarmzeichen – mit hoher Wahrscheinlichkeit ist es zu einer Gelenk- oder Muskelblutung gekommen. Auch ohne sichtbaren Erguss ist eine sofortige Faktorgabe notwendig. Der Patient sollte sich schonen, die schmerzhafte Stelle kühlen und Kontakt mit einem Hämophiliezentrum aufnehmen. Auch Schmerzen beim Sitzen deuten auf eine Muskelblutung hin. Eine sofortige Faktorgabe und die Kontaktaufnahme zu einem Hämophiliezentrum sind notwendig.
Bei Nasenbluten sollte die Nase zehn Minuten lang mit den Fingern zugedrückt werden. Der Patient muss den Kopf gerade halten und Nase oder Nacken kühlen. Blutstillende Watte besteht in der Regel aus Calciumalginatfasern. Sie fördert die Blutgerinnung und geliert mit Flüssigkeit. Kommt die Blutung dennoch nicht zum Stillstand, kann der Fibrinolysehemmer Tranexamsäure eingesetzt werden. Blutet es weiter, ist eine Faktorgabe notwendig (4).
Vor einer Zahnextraktion oder einem zahnchirurgischen Eingriff sollte der Zahnarzt dem Patienten lokal blutstillende Medikamente wie das vasokonstriktorisch wirksame Adrenalin spritzen. Auch die Faktorgabe über einen Zeitraum von fünf bis sieben Tagen vor der OP, die Gabe von Desmopressin (1-Desamino-8-D-Arginin-Vasopressin; DDAVP) oder Tranexamsäure werden empfohlen. Antibiotika sind bei komplizierten Eingriffen indiziert (10).
Kindergarten, Schule, Sport
Bei konsequenter Behandlung – am besten als Selbsttherapie daheim – können die meisten Kinder an fast allen alltäglichen Aktivitäten teilnehmen und einen normalen Kindergarten und eine normale Schule besuchen. Hierbei sollten Erzieher, Lehrer und Mitschüler wissen, dass das Kind an Hämophilie leidet und wie sie im Notfall reagieren müssen. Manchmal ist eine zusätzliche Integrationskraft hilfreich, die das Kind begleitet, um Schwierigkeiten schnell zu erkennen (4).
Auch wenn die Eltern oft zögern: Die Kinder sollten nicht grundsätzlich vom Sportunterricht befreit werden. Bewegung ist wichtig für die kleinen Patienten, steigert das Selbstbewusstsein und die Verbundenheit mit anderen Kindern (4).
Auch für erwachsene Hämophilie-Patienten gilt: Beweglichkeit, Ausdauer und Balancevermögen können das Verletzungsrisiko reduzieren. Die gewünschte Sportart sollte nach individueller Neigung und Fähigkeit ausgewählt werden, unter Berücksichtigung des Schweregrads der Hämophilie und des Gelenkstatus (Tabelle 2).
Reisen gut planen
Dem Verreisen sind mittlerweile kaum Grenzen gesetzt, insbesondere dann, wenn die Substitution in Selbstbehandlung ohne Probleme klappt. Das Wichtigste ist eine gute Planung. Dazu gehören Informationen über Hämophiliebehandlungszentren am Zielort, die Sicherstellung der Versorgung und Lagerung der Medikamente und eine gut ausgestattete Reiseapotheke.
Bei Flugreisen gehören die Faktorkonzentrate ins Handgepäck. Es ist empfehlenswert, die Fluggesellschaft vorher zu informieren. Wichtige Dokumente sind ein internationaler Notfallausweis in englischer Sprache und eine Zollerklärung, in der ärztlich bestätigt wird, dass die Mitnahme von Faktorkonzentraten (in ausreichender Menge) und Spritzbesteck notwendig ist. Der Patient sollte Notfallnummern zu Hause und unterwegs mit sich führen (4).
Ein Hämophilie-Patient sollte verschiedene Arzneistoffe nicht einnehmen. Neben Acetylsalicylsäure dürfen auch andere Arzneistoffe, die die Plättchenfunktion behindern, nicht oder nur nach Anweisung eines Hämophilie-erfahrenen Arztes gegeben werden. Dazu gehören zum Bei- spiel nicht-steroidale Antirheumatika, Antikoagulanzien wie Vitamin-K-Antagonisten, Hirudin, Heparine und Heparinoide sowie Thrombozytenaggregationshemmer wie GPIIb/IIIa-Antagonisten (2).
Ohne bedeutenden Einfluss auf die Blutgerinnung sind hingegen Analgetika wie Paracetamol, Metamizol, Propyphenazon, Tilidin, Tramadol oder Etoricoxib. Auch das Antitussivum Codein kann eingenommen werden (4).
Bei der Wahl des Reiseziels ist zu beachten, dass einige Erkrankungen wie die Malaria mit Thrombozytopenie einhergehen und das Blutungsrisiko steigern können. Von Reisen mit hohem Verletzungsrisiko, zum Beispiel Klettertouren, ist abzuraten. In warmen Regionen können Verletzungen stärker bluten. Vorsicht ist geboten vor Medikamenten mit unbekannten Inhaltsstoffen, zum Beispiel Schmerzmitteln.
Zu den notwendigen Impfungen und deren Applikation muss ein Arzt den Hämophilen beraten. Wenn möglich, sollten Schluckimpfungen sowie sub- oder intrakutan injizierbare Vakzine zum Einsatz kommen (7). Intramuskuläre Injektionen sind zu vermeiden.
Auf jeden Fall müssen individuelle Belange berücksichtigt werden. Beispielsweise benötigen Patienten mit schwerer Hämophilie eventuell zusätzliche Faktorensubstitutionen vor Anstrengungen. Wenn sie die Injektionen nicht selbst vornehmen können, müssen Kontakte vor Ort, zum Beispiel mit Hämophiliezentren, geklärt werden. Empfehlenswert ist es, wenn man bei Bedarf mit dem heimischen Hämophiliezentrum in Kontakt treten kann. Je selbstständiger der Patient im Umgang mit seiner Krankheit ist, desto eher kann er kritische Regionen bereisen.
Die individuelle Zusammenstellung der Reiseapotheke sollte der Patient mit dem Hausarzt oder Hämophilie-Behandler detailliert abstimmen. Besonders zu beachten: die Lagerfähigkeit des Gerinnungsfaktorprodukts bei erhöhten Temperaturen und ein platzsparendes Volumen der Durchstechflasche (7). Bei den meisten Präparaten ist eine Kühllagerung erforderlich, wobei der optimale Bereich zwischen 2 und 8 °C liegt. Größere Temperaturdifferenzen sind unbedingt zu vermeiden. Gerinnungsfaktoren dürfen niemals eingefroren oder starker Hitze ausgesetzt werden. Der Transport sollte immer in einer Isoliertasche erfolgen.
Ausblick
Faktorenkonzentrate ermöglichen heute eine fast normale Lebensführung und -erwartung. Neben rekombinanten Präparaten, die mit dem natürlichen Protein nahezu identisch sind, wurden mittlerweile auch Medikamente mit einer längeren Halbwertszeit hergestellt, die längere Substitutionsintervalle ermöglichen.
Eignung | Sportart (Beispiele) |
---|---|
für die meisten Patienten geeignet | Schwimmen/Tauchen, Rudern, Kajak (kein Wildwasser), Segeln, Surfen Laufen (Joggen, Ausdauer, Langstrecke), Radfahren, Tischtennis, Golf/Minigolf, Skilanglauf Asiatische Kampfsportarten ohne Körperkontakt Kontrolliertes Krafttraining Kegeln, Angeln, Curling |
bedingt geeignet | Weit- und Hochsprung, Klettern Tennis, Badminton, Volleyball Reiten (kein Springreiten) Alpinskifahren (Helm) Inlineskaten, Schlittschuhlaufen mit Schutzmaßnahmen Mountainbike (Helm, Schutzkleidung) |
problematisch | Fußball (vor allem Wettkampf), Handball Eishockey, Hockey Kampfsport, Boxen, Judo Snowboardfahren Fechten, Gewichtheben Leichtathletik (Wurfdisziplinen, Hürdenlauf) Squash, Wasserball |
Mit Turoctocog alfa kam im Januar 2014 ein neuer rekombinanter humaner Blutgerinnungsfaktor VIII auf den Markt (11). Er ist zugelassen zur Behandlung und Prophylaxe von Blutungen bei Patienten mit Hämophilie A. Turoctocog alfa ist ein gereinigtes Protein mit 1445 Aminosäuren.
Im März 2014 genehmigte die US-amerikanische Food and Drug Administration (FDA) Alprolix – das erste lang wirksame Konzentrat an rekombinantem Gerinnungsfaktor IX bei Patienten mit Hämophilie B (12). Durch Kopplung an das Fc-Fragment eines Antikörpers verbleibt das Protein länger im Blutkreislauf, sodass die Wirkdauer deutlich verlängert wird. Eine Injektion ist nur alle ein bis zwei Wochen erforderlich. Im Juni 2014 erhielt ein rekombinanter Gerinnungsfaktor IX (Eloctate), der ebenfalls an das Fc-Fragment eines Antikörpers gebunden ist, von der FDA die Zulassung.
Die somatische Gentherapie verfolgt das Ziel, das für das Protein kodierende intakte Gen in das Genom der Zielzellen dauerhaft einzubringen, um eine Heilung zu erreichen. Die meisten Ansätze zur Gentherapie der Hämophilie platzieren die korrekte Kopie des defekten Gens in der Leber, dem Produktionsort der Gerinnungsfaktoren. Dies wurde bereits bei Hämophilie B klinisch erprobt. Die Patienten erreichten nach der Gentherapie allerdings nur 3 bis 11 Prozent der physiologischen Faktor-IX-Konzentration (3).
Inzwischen ist es gelungen, den Faktor VIII in Megakaryozyten zu integrieren und dort in den Alpha-Granula zu speichern. Diese Granula sind in den Thrombozyten enthalten, die sich im Knochenmark aus den Megakaryozyten bilden. Im peripheren Blut setzen die Thrombozyten bei einer Gefäßverletzung den Inhalt der Alpha-Granula dann genau dort frei, wo eine Blutgerinnung erforderlich ist. Erste Tierversuche verliefen Erfolg versprechend (3). /
Claudia Borchard-Tuch studierte Medizin an der Universität Düsseldorf, erhielt 1982 die Approbation und schloss ein Jahr später ihre Promotion ab. Nach einer Tätigkeit als Assistenzärztin studierte sie Informatik an der Fernuniversität Hagen und schloss mit dem Diplom ab. Seit 1983 ist Borchard-Tuch freiberuflich als Autorin und Wissenschaftsjournalistin für medizinische Fachzeitschriften tätig.
Dr. med. Claudia Borchard-Tuch, Forsthofweg 9, 6441 Zusmarshausen claudia.borchardtuch(at)gmail.com