Aus eins mach zwei |
05.10.2010 13:38 Uhr |
Von Clarissa Wild / In Deutschland wird jede vierte Tablette geteilt. Die Gründe dafür sind einfach, das Teilen selbst jedoch nicht. Was man teilen darf, was besser nicht, und wie man es richtig macht, erläutert dieser Beitrag.
Ein klarer Vorteil des Tablettenteilens besteht in der Möglichkeit, die Dosierung individuell anzupassen. Das ist zum Beispiel dann wünschenswert, wenn ein- oder ausschleichende Dosierungen erforderlich sind. Weiterhin kann das Teilen von Tabletten für Patienten sowie für Ärzte Kosten senken: Die Ausgaben für Praxisgebühr und Zuzahlungen reduzieren sich für die Patienten, das Budget des Arztes ist weniger schnell ausgeschöpft. Möglich werden die Einsparungen dadurch, dass sich die Preise pro Tablette nicht proportional zum Wirkstoffanteil verhalten. So kostet zum Beispiel eine Tablette mit 320 mg eines Sartans 1,18 Euro. Eine Tablette mit 160 mg des Wirkstoffs hingegen kostet fast ebenso viel, nämlich genau einen Euro. Durch das Teilen der Tabletten erreicht man folglich eine Kostenersparnis von 41 Prozent.
Tabletten teilen: Darf man, oder darf man nicht? Diese Frage stellt sich allzu oft.
Foto: Fotolia/Sanders
Daneben ermöglicht das Tablettenteilen, die Einnahme des nun kleineren Arzneimittels zu erleichtern. Dies nannten 6 Prozent von 580 befragten deutschen Patienten in einer Studie als Grund zum Tablettenteilen. Die überwiegende Mehrheit teilte ihre Tabletten allerdings auf Anordnung des Arztes hin. Einer von zwei Patienten in Deutschland teilt mindestens eine seiner Tabletten (weitere Ergebnisse im Kasten weiter unten).
Studien zum Tablettenteilen
Eine 2006 im European Journal of Clinical Pharmacology veröffentlichte Studie konnte detaillierte Informationen von 905 deutschen Patienten und deren 3158 verschriebenen Medikamenten sammeln. 24,1 Prozent der verordneten festen Arzneimittel (Tabletten und Dragees, n=762) wurden geteilt. 8,7 Prozent davon enthielten keine Bruchkerbe (n=66). Nur in knapp einem Viertel der Beipackzettel der untersuchten Tabletten ohne Bruchkerbe standen Informationen zu ihrer Teilbarkeit. Gravierender ist das Ergebnis, dass 3,8 Prozent (n=29) der geteilten Tabletten gar nicht für diesen Zweck hergestellt waren. Ingesamt wurde damit rund eine von 100 verordneten Tabletten geteilt, obwohl sie dadurch zerstört oder wichtige galenische Eigenschaften verändert wurden. Lediglich ein Drittel der Fachinformationen dieser Arzneimittel enthielt Angaben über deren Nicht-Teilbarkeit. In Einzelfällen verleiteten zudem sogenannte Schmuckkerben, zum Beispiel bei Duranifin® 10 mg retard (Nifedipin), zu der Annahme, die Tabletten seien teilbar.
Risiken beim Tablettenteilen
Die Teilbarkeit von Arzneiformen ist von ihrer Galenik abhängig. So ist die Teilung von Weichgelatine-Kapseln, Dragees sowie, bis auf wenige Ausnahmen, von Tabletten ohne Bruchkerbe nicht möglich. Das Zerkleinern von Manteltabletten zerstört die optimierte Darreichungsform, mit der die Wirkstoffe zeitverzögert freigesetzt werden. Kunden in der Apotheke sind auf solche besondere Arzneiformen hinzuweisen. Patienten können sehr erfinderisch sein, wenn es um das Teilen von scheinbar unteilbaren Tabletten geht.
Feinarbeit Tablettenteilen: Fingerfertigkeit, ein scharfes Auge und ein wacher Geist sind hier gefragt. Und apothekerlicher Rat, denn nicht alles, was sich teilen lässt, ist auch dafür gedacht.
Foto: ABDA
Prinzipiell verboten ist das Teilen von Tabletten, die CMR-Substanzen (canzerogen-mutagen-reproduktionstoxisch) wie Zytostatika oder Retinoide enthalten. Die Versuchung dazu kann groß sein: Der 5α-Reduktasehemmer Finasterid wird in einer Dosierung von 1 mg gegen androgen bedingten Haarausfall eingesetzt (Propecia®, 1,595 Euro/Filmtablette). Gegen benigne Prostatahyperplasie (BHP) sind Tabletten mit 5 mg dieses Wirkstoffs auf dem Markt (Proscar® 0,29 Euro/mg). Das Mittel gegen BHP ist gegenüber dem Lifestyle-Produkt um 82 Prozent günstiger.
Zerstoßene Finasterid-Tabletten bergen jedoch ein teratogenes Risiko für Frauen. Die Tabletten besitzen daher einen speziellen Filmüberzug, der den Kontakt mit dem Wirkstoff verhindert, solange die Tablette nicht zerbrochen wird.
Risiken, die durch Zerstörung der Galenik auftreten, reichen von Unwirksamkeit bis Exitus. Omeprazol ist säureempfindlich und wird in magensaftresistenter Form verabreicht, um im Dünndarm resorbiert zu werden. Wird eine Omeprazol-Tablette zermörsert, um sie zum Beispiel über eine Magensonde zu verabreichen, kann sie nicht wirken, da die Magensäure den Wirkstoff zerstören würde. Ist der Säureschutz allerdings nicht als magensaftresistenter Überzug, sondern in Form verpresster magensaftresistenter Pellets hergestellt (zum Beipsiel Antra® MUPS), bleibt bei einem einfachen Teilen der Tablette der Magen-Schutz intakt. Anders bei überzogenen Tabletten: In einem Fallbericht aus Toronto zerbrach eine 70-jährige Patientin die ihr neu verordnete Oxycodon-retard-Tablette aufgrund von Schluckproblemen. Diese Retard-Formulierung war für eine Wirkstofffreisetzung über 12 Stunden optimiert. Im Falle dieser Patientin kam es zu einem sogenannten Dose-Dumping. Die gesamte Wirkstoffmenge gelangte auf einmal in den Blutkreislauf und führte zu einer Sedierung und zu einer Atemdepression.
16 Prozent sind unsicher, ob die eigenen Tabletten teilbar sind
46 Prozent wurden vom Arzt über das Tablettenteilen instruiert, wenn sie ihre Tabletten teilen mussten.
64 Prozent halten Tablettenteilen für sinnvoll zur Kostenreduktion
73 Prozent empfinden Teilen als schwierig, auch wenn Bruchkerben vorhanden sind
83 Prozent denken, dass es im Beipackzettel stünde, wenn eine Tablette nicht teilbar ist
Andererseits kann es in einigen Fällen auch zu schwerwiegenden Problemen kommen, wenn das Teilen von Tabletten unterbleibt. So können ACE-Hemmer mit kaliumsparenden Diuretika wie Spironolacton interagieren. Die übliche therapeutische Dosis von Spironolacton für die Behandlung einer Herzinsuffizienz beträgt 25 mg. Außer von zwei Herstellern (Verospiron® T, Hormosan Pharma GmbH; Aldactone®, Riemser Arzneimittel AG) befinden sich jedoch nur Tabletten mit 50 und 100 mg Spirololacton auf dem deutschen Markt. Unterbleibt das verordnete Teilen der Tabletten, so kann dies in Kombination mit einem ACE-Hemmer auf Dauer zu einer lebensbedrohlichen Hyperkaliämie führen.
Voraussetzungen und Techniken
Für das erfolgreiche Tablettenteilen muss der Patient bestimmte Voraussetzungen mitbringen. Vor allem bei älteren Patienten spielen Faktoren wie Fingerfertigkeit, Sehschärfe und intellektuelle Kompetenz eine wichtige Rolle. Trihexiphenidyl-Tabletten zur Parkinsonbehandlung gibt es als 2-mg-Tabletten. Die Startdosis der Behandlung liegt jedoch häufig bei 1 mg. Das Teilen einer solchen 2-mg-Tablette mit einem Durchmesser von 5,1 mm kann bereits einem jungen Menschen schwerfallen. Außerdem sollte der Patient bereit und in der Lage sein, ein komplexes Therapieschema zu verstehen und anzuwenden. Patienten berichten über Probleme wie Bröselbildung (19 Prozent), ungleiche Hälften (28 Prozent), Schwierigkeit beim Teilen (15 Prozent) und dem Wegwerfen von zwei bis zehn Tabletten pro Monat (9 Prozent).
Wirksamkeit und Sicherheit
Die entstandenen Bruchstücke sollen laut Pharmakopöe 85 bis 115 Prozent des Sollgehalts enthalten. In Abhängigkeit von der Form der Bruchkerbe finden drei sehr unterschiedliche Techniken beim Tablettenteilen Anwendung (siehe Grafik), die den Patienten bei der Verordnung oder Abgabe des Arzneimittels erklärt werden sollten. Darüber hinaus eignen sich Tablettenteiler zum Teilen von runden Tabletten und sollten in diesem Falle Methode der Wahl sein, da die geteilten Tabletten in nur durchschnittlich 16 Prozent der Fälle vom Zielgewicht abweichen. Wichtig ist, dass Tablettenteiler nur mit entsprechender Schulung richtig genutzt werden können. Beim manuellen Teilen entstehen in bis zu 23,5 Prozent der Fälle Abweichungen vom Sollgewicht, die 15 und sogar 20 Prozent überschreiten. Teilen mit dem Küchenmesser sollte grundsätzlich vermieden werden, da es hierbei in 58 Prozent der Fälle zu unakzeptablen Abweichungen kommt.
Gewölbte Tabletten mit großen Bruchkerben lassen sich teilen, indem man sie mit der Kerbe nach oben auf eine harte Fläche drückt (a). Nicht zu dicke Tabletten (b und c) lassen sich häufig unter Zuhilfenahme von Daumen und Zeigefinder beider Hände brechen. Eine große Bruchkerbe und ein flacher Boden: Diese Tabletten lassen sich häufig mit der Bruckherbe nach unten gegen einen harten Untergrund teilen (d). Eine Methode fehlt in der Aufstellung aus gutem Grund: Teilt man Tabletten mit einem Küchenmesser, ist nur selten mit einer ausreichenden Dorsiergenauigkeit zu rechnen.
Ebenso wenig dürfen mögliche physikalische Folgen des Tablettenteilens vernachlässigt werden. Allein durch den Teilungsvorgang kann es zu 0,2 bis 6 Prozent Wirkstoffverlust kommen. Das Lagern der Hälften kann sich ebenfalls negativ auf den Wirkstoffgehalt auswirken. So kommt es zum Beispiel beim Lagern von Spironolacton-Hälften über 30 Tage zu 18 Prozent Wirkstoffverlust, bei Digitoxin sogar zu 32 Prozent. Doch welche Auswirkungen haben mangelhaftes Teilen und potenzieller Wirkstoffverlust in der Praxis?
Bisher haben nur wenige Studien die Auswirkung des Tablettenteilens auf die Wirksamkeit untersucht. Eine retrospektive Studie mit Simvastatin evaluierte den LDL-Cholesterin-Blutwert von 1089 Patienten, die eine ganze und 1098 Patienten, die eine zu teilende Tablette einnahmen. Hier konnte erfreulicherweise kein Unterschied im LDL-Wert zwischen den beiden Gruppen festgestellt werden (111 ± 30mg/dL versus 112 ± 32mg/dL).
Rabattvertrags-Folgen
Rabattverträge fordern in der Apotheke ein hohes Maß an Geduld und Kompetenz. Dass ein Rabattarzneimittel nicht einem anderen gleicht, ist bekannt. Um die Fragestellung zu bearbeiten, welche Rolle das Tablettenteilen in diesem Kontext spielt, wurde in einer Studie 2008 eine gesetzeskonforme Umstellung der Medikation von 425 ambulanten Polymedikationspatienten analysiert. Gemäß AOK-Rabattvertrag war die Umstellung von 54 Prozent der geteilten Tabletten (182 von 335) notwendig. Bei 10 Prozent dieser Arzneimittel war die Teilbarkeit des Ersatzpräparates nicht gewährleistet (Kapsel oder Tablette ohne Bruchkerbe).
Tablettenteilen ist alles andere als einfach. Es erfordert technisches Geschick und wird häufig falsch gemacht. Geteilte Tabletten sollten daher nicht das Mittel der Wahl sein, zumal sie in der Langzeittherapie keinerlei medizinischen Vorteil mit sich bringen.
Das Teilen von Tabletten kann bereits durch einfache Maßnahmen sicherer gestaltet werden. So sollte auf Schmuckkerben gänzlich verzichtet werden. Bruchkerben sollten zudem immer beidseitig eingearbeitet sein. Elektronische Verordnungshilfen haben sich bereits als sehr wirksam erwiesen. Sie warnen bei der Verordnung von Teilungen unteilbarer Darreichungsformen. Eine größere Auswahl unterschiedlicher Dosierungen könnte zudem manches Teilen von Tabletten überflüssig machen. Einen ähnlichen Effekt hätte es, wenn Arzneimittelpreise pro Milligramm Arzneistoff und nicht nach anderen Gesichtspunkten kalkuliert würden. /
Ist das Präparat geeignet? | Bruchkerbe, Retardierung, Beschichtung, Stabilität, CMR… → falls keine Information in Beipackzettel oder Fachinformation, beim Hersteller nachfragen! |
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Ist Teilen für den Patienten mental und physisch machbar? | MMS, Fingerfertigkeit, Visus, Komplexität des übrigen Therapieschemas, Bereitschaft des Patienten |
Sind Hilfsmittel/Schulung notwendig? | praktische Schulung, Technik des Teilens, Anwendung von Tablettenteilern |
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