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Sinusvenenthrombosen

Impf-Nebenwirkung aufgeklärt – und jetzt?

Nach wie vor sind viele verunsichert und besorgt, was seltene, aber schwere thrombotische Nebenwirkungen einer Covid-19-Impfung mit der Astra-Zeneca-Vakzine betrifft. Während neue wissenschaftliche Erkenntnisse zur Ursache und wie man sie behandelt frisch publiziert wurden, stellt sich die Frage, wie es nun mit den Impfungen weitergehen soll. Die gute Nachricht: Es gibt eine Therapiemöglichkeit, kommt es zur sogenannten VIPIT.
Theo Dingermann
30.03.2021  07:00 Uhr

In einem lesenswerten Beitrag schildern die beiden deutschen Korrespondenten für das Wissenschaftsjournal »Science«, Kai Kupferschmidt und Gretchen Vogel, wie derzeit mit dem Problem der Sinusvenenthrombosen nach einer Impfung mit der Astra-Zeneca-Vakzine umgegangen wird.

Noch ist längst nicht abschließend geklärt, was dieses sehr seltene Ereignis in Form einer Thrombose assoziiert mit einer Thrombozytopenie tatsächlich verursacht. Denn es geht nicht um irgendeinen Typ von Thrombosen. Vielmehr handelt es sich um einen äußerst seltenen Subtyp, bei dem ein Gefäßverschluss mit einer Verarmung an Blutplättchen einhergeht. Untypischer Weise kommt es bei diesem Ereignis eines Gefäßverschlusses auch zu Blutungen, die dann beispielsweise in Form kleiner roter oder blauer Punkte unter der Haut beobachtet werden. Dieses viel diskutierte Syndrom wird jetzt auch Impfstoff-induzierte prothrombotische Immunthrombozytopenie (VIPIT) genannt.

Einen ersten überzeugenden Ansatz zum Verständnis dieses Syndroms haben vergangene Woche die Wissenschaftler um Professor Dr. Andreas Greinacher von der Universität Greifswald geliefert. Sie haben eben ihre bedeutenden Ergebnisse am 28. März auf einem Preprint-Server publiziert. Diese Arbeiten haben in der Fachöffentlichkeit bereits für soviel Furore gesorgt, dass die Prinzipien der Entdeckung vielen bereits gut bekannt sind.

Ihre Ergebnisse stützen sich auf die intensive Analyse der Blutproben von neun Patienten (acht weiblich; medianes Alter 36 Jahre), bei denen vier bis 16 Tage nach der Impfung mit dem Astra-Zeneca-Impfstoff AZD1222 Thrombosen diagnostiziert wurden. Sieben dieser Patientinnen hatten eine zerebrale Venenthrombose (CVT), eine Patientin eine Lungenembolie und bei einem Patienten wurde eine splanchnische Venenthrombose und eine CVT diagnostiziert. Vier Patientinnen sind verstorben.

Keine dieser Patientinnen war vor dem Auftreten der Symptome mit Heparin behandelt worden. Bei allen vier Verstorbenen wurden im Immunoassay hohe Konzentrationen an Anti-PF4/Heparin-Antikörpern detektiert . Zudem war bei der Thrombozyten-Aktivierungs-Assay in Gegenwart von PF4 unabhängig von Heparin stark positiv. Die Thrombozyten-Aktivierung konnte durch hohe Konzentrationen von Heparin, Fc-Rezeptor-blockierenden monoklonalen Antikörpern und intravenösem Immunglobulin gehemmt werden.

Damit bildet der Nachweis einer frappierenden Ähnlichkeit des Syndroms mit einer Heparin-induzierten Thrombozytopenie (HIT) den Kernpunkt der Entdeckungen der Greinacher-Gruppe. Bei einer HIT – einer ernsten Nebenwirkung einer Heparin-Therapie – werden Antikörper gegen einen Komplex aus Heparin mit dem Plättchenfaktor 4 (PF4) gebildet. PF4 ist ein für die Blutgerinnung wichtiges Protein der Blutplättchen. Der resultierende Antigen-Antikörper-Komplex führt zu Thrombosen, da die Thrombozyten über den konstanten Teil der komplexierten Antikörper quervernetzt und aktiviert werden.

Unbekannt bei den Vorfällen nach den Impfungen ist bisher der Partner für PF4 bei der Komplexbildung, denn Heparin kann man ausschließen. Klar ist jedoch bereits, dass viele der Betroffenen Autoantikörper gegen PF4 aufweisen. Daraus lässt sich die Therapieoption ableiten, die Transfusionsmediziner Greinacher und Kollegen empfehlen: hochdosiertes, intravenös appliziertes Immunglobulin, das den Plättchenfaktor aus dem Immunkomplex verdrängt, von dem bisher nur bekannt ist, dass er kein Heparin enthält.

Wie gehen verschiedene Länder mit dem Problem um?

Teil der Recherche der »Science«-Korrespondenten Kupferschmidt und Vogel war es, mehr darüber zu erfahren, wie verschiedene Länder mit dem Problem umgehen. In Norwegen, wo bisher 130.000 Menschen mit dem Astra-Zeneca-Impfstoff geimpft wurden, wurden fünf Fälle einer Impfstoff-induzierten prothrombotischen Immunthrombozytopenie (VIPIT) gemeldet. Drei der betroffenen Frauen verstarben. Das entspricht etwa ein Fall auf 25.000 Geimpfte. Das ist eine hohe Zahl mit einem sehr kritischen Ausgang bei zuvor gesunden, jungen Menschen, sagte Sara Watle vom Norwegischen Institut für öffentliche Gesundheit auf Nachfrage der Journalisten.

In Deutschland haben bisher rund 2,1 Millionen Menschen den Astra-Zeneca-Impfstoff erhalten. Bis letzten Donnerstag waren 21 zerebrale Venenthrombosen gemeldet worden. Sieben der Betroffenen waren verstorben. Obwohl unklar ist, ob diese Zahlen nicht durch einen starken Bias der Gruppen, die bisher geimpft wurden, verfälscht sind, haben manche Länder aus diesen Zahlen Konsequenzen gezogen. So werden in Frankreich nur noch 55-Jährige oder älter, in Schweden und Finnland 65-Jährige oder älter und in Island 70-Jährige oder älter mit dem Astra-Zeneca-Impfstoff gegen Covid-19 geimpft.

Ähnlich hätte man auch in Deutschland verfahren können, meint Professor Dr. Sandra Ciesek, Direktorin des Instituts für Medizinische Virologie am Universitätsklinikum Frankfurt. Die Virologin betont, dass der Astra-Zeneca-Impfstoff ja nicht der einzige Impfstoff zum Schutz vor Covid-19 ist.

Tatsächlich sind aber die Untersuchungen des Pharmakovigilanzausschusses (PRAC) der Europäischen Arzneimittelagentur EMA noch nicht abgeschlossen. Die Expertengruppe wird sich vom 6. bis 9. April wieder treffen. Dann wird auch ein Update zu der Impfstoffproblematik erwartet. Man kann nur hoffen, dass bis dahin das Risiko für das Auftreten einer VIPIT deutlicher wird, indem genauere Zahlen hinsichtlich Alter oder Geschlecht der bislang Betroffenen bekannt gegeben werden.

Denn die Welt braucht den Impfstoff von Astra-Zeneca, meint Professor Dr. Saskia Middeldorp, eine Spezialistin für Gefäßkrankheiten am Radboud University Medical Center in den Niederlanden. Sie hatte kürzlich gegen einen vorübergehenden Stopp des Impfens mit dem Astra-Zeneca-Impfstoff votiert, weil, wie sie sagt, die Vorteile eindeutig die Risiken überwiegen. Eine Risiko-Stratifizierung wie sie Frankreich, Schweden, Finnland und Island, nicht jedoch Deutschland beschlossen haben, würde mit dieser Einschätzung allerdings nicht kollidieren.

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