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Interview Noventi-CEO Hermann Sommer

»Ich wünsche dem Berufsstand viel Gutes«

Der Noventi-Konzern hat im vergangenen Geschäftsjahr ein dickes Umsatz- und Ertragsplus erwirtschaftet. Doch das Unternehmen hat auch Probleme: Die Bafin war zu einer Sonderprüfung da, das Projekt Genussscheine ist vorerst gestoppt, Direktabrechner drohen dem klassischen Abrechnungsgeschäft und bei der Awinta sollen in einem Riesenprojekt alle Software-Linien zusammengefasst werden. Im Interview mit der PZ gibt Konzernchef Hermann Sommer einen Überblick zum Stand bei diesen Themen.
Benjamin Rohrer
30.06.2022  09:00 Uhr

PZ: Herr Sommer, die Umsatzerlöse des Konzerns mit allen Gesellschaften sind im vergangenen Geschäftsjahr um 16 Prozent (etwa 35 Millionen Euro) im Vergleich zum Vorjahr angestiegen, wie die nun veröffentlichte Jahresbilanz zeigt. Wie erklären Sie sich diese Entwicklung?

Sommer: Wir sind sehr stolz auf dieses Ergebnis – es zeigt uns, dass wir als Team gut gearbeitet haben. Das größte Wachstum konnten wir im vergangenen Jahr im Apothekenbereich verzeichnen. Nach der Insolvenz des Abrechners AvP haben wir schon 2020 deutlich mehr Kunden in die Abrechnung bekommen – die Effekte davon sieht man erst in dieser Bilanz. Bei den sonstigen Leistungserbringern konnten wir in der Abrechnung nach Rückgängen in 2020 auch wieder zulegen. Und das Geschäft mit der Abrechnung von Klinikapotheken hat sich im vergangenen Jahr erst so richtig entwickelt. Hinzu kamen im vergangenen Jahr natürlich die Abrechnungen der zahlreichen Coronavirus-Sonderleistungen in Apotheken. Des Weiteren sind auch der Brutto-Rezeptumsatz und die Gesamtzahl der Verordnungen leicht gestiegen – von beiden Entwicklungen haben wir trotz Deckelung indirekt profitiert.

PZ: Können Sie in Zahlen ausdrücken, wie sehr Noventi von der AvP-Pleite profitiert hat?

Sommer: Wir haben in etwa 1500 Apotheken in die Abrechnung hinzubekommen. Der größte Schwung kam schon 2020 hinzu. Ende 2021 waren rund 8200 Apotheken bei uns in der Abrechnung. In 2021 wurde das Ende 2020 neu gewonnene Kundenfeld der Krankenhausapotheken forciert. Hier stieg die Zahl der Kunden im Vergleich zum Vorjahr von 144 um 42 Häuser auf 186 ( Plus 29,2 Prozent ). Dass wir das mit der bestehenden Personal-Mannschaft geschafft haben, war eine riesige Herausforderung und Leistung.

Wie reagieren die klassischen Abrechner auf die Direktabrechnung?

PZ: Wenn wir beim Abrechnungsgeschäft in die Zukunft blicken, drohen den klassischen, traditionellen Rechenzentren größere Herausforderungen. Mit dem E-Rezept wird den Apotheken immer offensiver die Direktabrechnung angeboten. Warum sollten die Apotheken aus Ihrer Sicht nicht in die Direktabrechnung wechseln?

Sommer: Weil es bei uns ganz einfach eine größere, Kassen-unabhängige Flexibilität gibt. Als Beispiel darf ich Ihnen verraten, dass wir in diesem Jahr auf der Expopharm eine neue Form der Sofort-Abrechnung vorstellen werden, bei der die Apotheken schon vor der eigentlichen Abrechnung mit der Kasse von uns eine Zahlung erhalten. Die Apotheken können in diesem in die Warenwirtschaft integrierten System stets sehen, welche Summen sie sich in diesem Rahmen vorab auszahlen lassen können. Einen solchen »Cash-Button« gibt es bei den Direktabrechnern nicht – das ist eine ganz neue Welt.

PZ: Diesen Service lassen Sie sich sicher extra vergüten…

Sommer: Ja, klar. Wenn die Apotheken den Dienst nutzen, fallen höhere Gebühren an, das ist ja völlig normal. Wir wollen mit dem Angebot noch in diesem Jahr starten.

Sommer: Bis Ende des Jahres sollen Bafin-Findings umgesetzt sein

PZ: Nach dem AvP-Skandal ist das Abrechnungsgeschäft ja insgesamt beäugt worden. Auch die Bafin ist tätig geworden und hat eine Sonderprüfung gestartet – auch bei Ihnen im Haus. Wie ist da der Stand?

Sommer: Grundsätzlich ist es ja so, dass Treuhand-basierte Abrechner befreit sind von Treuhand-Prüfungen. Wir arbeiten auf Basis einer Factoring-Lizenz und sind Revisionen der Bafin schon seit Jahren gewöhnt. Durch die AvP-Insolvenz ist die Behörde dann aber auf die gesamte Branche aufmerksam geworden und hat bei uns eine Sonderprüfung nach Paragraf 44 des Kreditwesengesetzes gestartet. Der Abschlussbericht wurde uns im vergangenen Jahr übermittelt. Darin enthalten sind sogenannte Findings, also verbesserungsbedürftige Feststellungen. Diese sind unterschiedlicher Natur und können teils leicht gelöst werden. Ein Beispiel ist, dass wir die Daten von aus dem Unternehmen ausgeschiedenen Mitarbeitern schneller löschen müssen. Teils gibt es auch anspruchsvollere Findings – im Laufe des laufenden Geschäftsjahres wollen wir aber alle behoben haben.

PZ: Ein Geschäftsbereich, in dem es in der jüngeren Vergangenheit Probleme gab, ist das Software-Geschäft. Ursprünglich war ja geplant, alle fünf Software-Linien in das Produkt »Awinta One« zu überführen. Die Apotheker wollten das aber nicht, sie stoppten das Projekt dann vorerst. Wie geht es damit weiter?

Sommer: Zunächst einmal möchte ich erwähnen, dass wir auch sehr stolz auf unsere Software-Produkte sind. Als einer der ersten Wawi-Anbieter waren wir schon sehr früh E-Rezept-ready. Wir sind aber nach wie vor davon überzeugt, dass wir die Produktlinien vereinfachen bzw. die Kundenbedürfnisse besser abdecken müssen. Dass wir das bei den Apothekern aber mit einer Zwangsumsiedlung auf nur eine Warenwirtschaft schaffen, war ein absoluter Irrglaube unsererseits, den wir korrigieren mussten. Wir bauen und entwickeln trotzdem weiter. Denn klar ist: In der Zukunft wird eine ganz andere Warenwirtschaft in den Apotheken benötigt.

Wie sieht die Apotheken-Software der Zukunft aus?

PZ: Wie meinen Sie das?

Sommer: Zunächst einmal wird die Datenbehandlung in Clouds eine immer wichtigere Rolle spielen. Außerdem müssen wir die Software auch an die neuen Patientenbedürfnisse und Marktangebote vorbereiten. Es wird immer häufiger vorkommen, dass Patientenanfragen aus dem Internet direkt bei den Apotheken in der Wawi landen. Darin enthalten sind dann nicht nur Informationen zum gekauften Präparat, sondern auch Wünsche zur Lieferart oder zum Lieferzeitpunkt. Wir müssen sicherstellen, dass diese neue Art des Kundenkontakts in den Apothekenalltag integriert werden kann, sonst verlieren die Apotheken einen wesentlichen Anteil des Gesamtumsatzes. Dass nun Versandhändler und Lieferdienste erste Kooperationen vereinbaren, verdeutlicht die Gefahr.

Projekt Genussscheine wird neu aufgelegt

PZ: Kommen wir zur grundsätzlichen Struktur des Noventi-Konzerns. Sie hatten vor, Ihre einzigen Eigentümer, den Apotheker-Verein FSA, über Genussscheine am Unternehmenserfolg teilhaben zu lassen. Man hört aus der Branche, dass die Apotheker sich beim Zeichnen zurückhielten. Hinzu kommt die Frage, ob Sie das 4-Prozent-Versprechen mit Blick auf die derzeitige Lage an den Weltmärkten einhalten können?

Sommer: Die Genussscheine sind ein Versuch, den Baufehler in unserer Konzernstruktur auszugleichen. Denn es darf nicht länger sein, dass die Eigentümer keine Dividende erhalten. Wir haben alle Möglichkeiten geprüft und dann die mit 4 Prozent verzinsten Genussscheine herausgegeben. In der ersten Tranche durften ausschließlich FSA-Apothekerinnen und -Apotheker zeichnen – das ist aber leider kaum passiert. Hinzu kommt, dass wir in den 4 Prozent die Inflation und auch den Ukraine-Krieg nicht mit eingerechnet haben. Wir haben die 2. und 3. Tranche daher nun gestoppt und wollen mit einer Neuauflage der Genussscheine die unsichere Lage auf den Märkten besser abbilden. Klar ist: Die Noventi braucht das Geld nicht. Das einzige Ziel ist es, unsere Eigentümer, also die Apothekerinnen und Apotheker, an unserem Erfolg teilhaben zu lassen.

»Für gesund.de müssen wir noch sehr viel werben«

PZ: Viel Geld haben Sie im vergangenen Jahr in das Projekt gesund.de investiert. Laut Jahresbilanz geht es um Abschreibungen in Höhe von rund 10 Millionen Euro, dafür sind sie zu 39 Prozent beteiligt an der Gesellschaft. Noch wird die App nicht von vielen Apothekenkunden genutzt. Zeigen die Abschreibungen, dass das Investment zu früh kam?

Sommer: Richtig ist, dass sich durch die verspätete Einführung des E-Rezeptes die Zeitabfolge verändert hat – auch für uns bei gesund.de. Wir sind aber nach wie vor überzeugt davon, dass wir die richtige Lösung für die neuen Anforderungen im Apothekenmarkt haben – auch um die Kunden nicht an den Versandhandel zu verlieren. Wir haben aber so noch mehr Zeit, um die App noch besser zu machen. Mit unseren Partnern in dem Projekt sind wir uns aber einig, dass wir noch sehr viel Werbung für unsere Lösung machen müssen.

»Der Berufsstand sollte dieses Verfahren nicht gewinnen«

PZ: Dem Berufsstand scheinen die Lösungen von gesund.de nicht nur zu gefallen. Die Apothekerkammer Nordrhein hat Sie verklagt, es geht unter anderem um die Transaktionsgebühren, die Sie verlangen, und die Weiterleitung von Rezepten von Online-Arztpraxen…

Sommer: Ich wünsche dem Berufsstand viel Gutes, aber ich wünsche ihm nicht, dass er dieses Verfahren gewinnt. Denn wenn in dieser Sache das letzte Wort gegen gesund.de gesprochen ist, werden solche und ähnliche Geschäftsmodelle in Deutschland grundsätzlich nicht mehr möglich sein. Als Konsequenz wird sich das gesamte Geschäft ins Ausland in niederländische Versandapotheken verlagern.

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