Horten von Covid-19-Impfstoffen mit tödlichen Folgen |
Theo Dingermann |
07.11.2022 18:00 Uhr |
Foto: Adobe Stock/Confidence
Ganz offensichtlich sind die verfügbaren Covid-19 Impfstoffe weltweit nicht fair verteilt worden. Das war von Beginn der Pandemie an absehbar, und darauf wurde auch immer wieder hingewiesen. Nicht zuletzt aus diesem Grund hatte die Weltgesundheitsorganisation (WHO) sehr früh auch die COVAX-Initiative ins Leben gerufen, um Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen mit Impfstoffen zu versorgen, die von Spenden aus wohlhabenderen Ländern stammten. Allerdings ließ sich der Bedarf auf diese Weise nicht decken. Bis Ende 2021 war zwar die Hälfte der Weltbevölkerung geimpft, jedoch mit starken Unterschieden zwischen verschiedenen Regionen: Während 75 Prozent der Bevölkerung in Industrieländern einen Covid-19-Schutz erhalten hatten, betrug in manchen armen Ländern die Impfquote nur 2 Prozent.
Was dies für Auswirkungen für die Weltgesundheit hatte, war bisher nicht bekannt. Eine Abschätzung der Folgen dieses unsolidarischen Verhaltens haben jetzt Wissenschaftler um Dr. Sam Moore von der University of Warwick in Coventry, Großbritannien, modelliert. Dazu verwendeten sie altersstrukturierte Daten zur Übersterblichkeit und zur Verfügbarkeit von Coronaimpfstoffen aus 152 Ländern im Jahr 2021. Nach ihrem Modell, das sie kürzlich im Fachjournal »Nature Medicine« publizierten, hätte ein vollständiges Impfstoff-Sharing-Szenario ohne Maßnahmen zur Einschränkung physischer Kontakte bis Ende 2021 weltweit 295,8 Millionen Infektionen und 1,3 Millionen Covid-19-Todesfälle verhindert. Mehr als doppelt so viele Todesfälle wären vermieden worden, wenn Länder mit höherem Einkommen auch an anderen Maßnahmen zur Reduzierung der Übertragung festgehalten hätten.
Wie in einem Artikel auf der Nachrichtenseite von »Nature« zu dieser Studie unterstrichen wird, stimmen diese Ergebnisse gut mit denen einer früheren Studie überein, die von Dr. Oliver Watson und Kollegen vom MRC Centre for Global Infectious Disease Analysis am Imperial College London in London im Journal »The Lancet Infectious diseases« im September 2022 publiziert wurde . Diese Studie ergab, dass etwa 45 Prozent der Covid-19-Todesfälle in Ländern mit niedrigem Einkommen hätten verhindert werden können, wenn in diesen Ländern bis Ende 2021 eine Impfquote von 20 Prozent erreicht worden wäre, ein Ziel, das von der globalen Impfstoff-Sharing-Kampagne COVAX 2 festgelegt worden war.
Zudem hätte eine gerechtere Verteilung von Impfstoffen und ein daraus resultierender Rückgang der Infektionen möglicherweise auch das Aufkommen neuer SARS-CoV-2-Varianten verlangsamt, spekuliert Moore gegenüber Nature.
Zwar sei es wohl nicht realistisch, von Ländern zu erwarten, dass sie Impfstoffvorräte verschenken, bevor der Bedarf im eigenen Land gedeckt ist. Allerdings könnten die Regierungen möglicherweise einen Mittelweg finden, schlägt Moore vor. »Erste-Welt-Länder könnten beispielsweise alle Personen über 60 Jahre impfen, um die am stärksten gefährdete Bevölkerung zu schützen, bevor sie anderen Nationen helfen«, sagt er in dem Artikel.
Das Virus SARS-CoV-2 hat unsere Welt verändert. Seit Ende 2019 verbreitet sich der Erreger von Covid-19 und stellt die Wissenschaft vor enorme Herausforderungen. Sie hat sie angenommen und rasch Tests und Impfungen, auch für Kinder, entwickelt. Eine Übersicht über unsere Berichterstattung finden Sie auf der Themenseite Coronavirus.