Heilsversprechen und Realität |
Kirsten Kappert-Gonther (Grüne) ist skeptisch, was Bezahlmodelle wie Pay-for-Performance bei neuen Therapien betrifft. / Foto: André Wagenzik
PZ: Beginnt mit den neuen Behandlungen wie der CAR-T-Zelltherapie auch für die Medizin im Ganzen ein neues Zeitalter?
Kappert-Gonther: Das Verfahren ist durchaus vielversprechend. Gleichzeitig muss man aber sehr genau beobachten, ob sich die damit verbundenen Erwartungen auch erfüllen. Aus meiner langjährigen ärztlichen Arbeit weiß ich, wie wichtig es ist, zwischen Heilsversprechen und Realität in der klinischen Anwendung zu unterscheiden. Ich warne davor, die neuen Gentherapien unkritisch anzupreisen, nur weil sie so modern daherkommen. Trotz aller Euphorie sollten wir realistisch bleiben und die Entwicklungen in diesem Bereich mit einer gesunden Portion Skepsis begleiten.
PZ: Beim sogenannten Pay-for-performance-Modell zahlen die Krankenkassen nur im Erfolgsfall. Wie bewerten Sie dieses Konstrukt?
Kappert-Gonther: Das ist etwas, das wir so in der Medizin noch nie erlebt haben. Das Modell macht mir insofern ein wenig Bauchschmerzen, als dass man zunächst abstecken muss, was genau Erfolg bedeutet. In der Krebstherapie lässt sich eine Vollremission natürlich als Erfolg werten. Zwischen krank und gesund gibt es aber sehr viele Graustufen, die sich nicht ohne Weiteres kategorisieren und abbilden lassen. Auf mich wirkt es eher wie ein Lockangebot, mit dem versucht wird, Behandler und Behandelte zu beeinflussen und die enorm hohen Preise zu rechtfertigen.
PZ: Wie kann die Politik die neuen Therapien bezahlbar halten?
Kappert-Gonther: Das ist eine sehr komplexe Angelegenheit. Es ist klar, dass innovative Medikamente, in denen ein enormer Forschungsaufwand steckt, teurer sind als andere. Wenn wir den Forschungsstandort Deutschland erhalten wollen, dann ist es wichtig, Innovationen zu refinanzieren, die wirklich einen substanziellen Zugewinn für die Patienten bedeuten. Klar unterscheiden sollten wir aber zwischen echten Fortschritten und Scheininnovationen.Nur weil etwas neu ist und Modernität verspricht, rechtfertigt das nicht automatisch einen hohen Preis.
PZ: Ist der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) die richtige Instanz, um diesen Zusatznutzen für die neuen Therapien zu bewerten, die sich doch massiv von klassischen Behandlungsmethoden unterscheiden?
Kappert-Gonther: Ich stehe grundsätzlich hinter dem Konzept des G-BA. Im Zuge der neuen Therapien tauchen jedoch Fragen auf, die sich vorher so nicht gestellt haben, insbesondere was ethische Aspekte betrifft. Ein aktuelles Beispiel ist die Pränataldiagnostik: Bisher darf der G-BA nur bewerten, ob ein Verfahren seinen Zweck erfüllt. Mit Blick auf den neuen Test auf Trisomie 21 ist klar, dass der Test das tut, was er verspricht zu tun, nämlich zu messen, ob ein ungeborenes Kind eine genetische Abweichung aufweisen wird. Die entscheidende ethische Komponente, die eine hohe Relevanz hat dafür, ob dieser Test für alle Frauen von der Gesetzlichen Krankenversicherung bezahlt werden sollte, darf bisher vom G-BA als Kriterium nicht angelegt werden.
PZ: Wie hat das Gremium auf dieses Dilemma reagiert?
Kappert-Gonther: Der G-BA hat sich dazu in sehr bemerkenswerter Weise verhalten: Er hat einen Brief an die Mitglieder des Gesundheitsausschusses im Bundestag geschrieben und darum gebeten, eine gesellschaftliche Debatte anzustoßen, wie wir als Gemeinschaft mit Behinderungen umgehen wollen. Das ist ein hochrelevanter Aspekt, wenn es darum geht zu entscheiden, ob dieser Pränataltest zukünftig als Regelleistung durch die Krankenkassen bezahlt wird und somit die Gefahr besteht, dass er zu einer Screening-Methode wird. Es gibt Bereiche in der Medizin, die man nicht allein anhand der Studienlage beurteilen kann, sondern bei denen die ethische Dimension zwingend mitgedacht werden muss. Das sehe ich auch bei gentechnisch veränderten Arzneimitteln so. Man muss dem G-BA die Möglichkeit geben, diesen Blickwinkel in seine Entscheidungsfindung einzubeziehen.
PZ: Kürzlich sorgte ein chinesischer Forscher für Schlagzeilen, als er bekannt gab, dass zwei Kinder geboren wurden, deren Erbgut er zuvor manipuliert hatte, um eine Ansteckung mit HIV zu verhindern. Brauchen wir in Zukunft gar keine Medizin mehr, weil wir Krankheiten schon vor der Entstehung eines neuen Lebens ausbremsen können?
Kappert-Gonther: Das halte ich für ausgeschlossen. Die wenigsten Erkrankungen sind monogenetisch bedingt, und nur für solche wäre die Methode theoretisch anwendbar. Eingriffe in die Keimbahn – das heißt, eine Manipulation des Erbguts bei einem ungeborenen Wesen – sind in Deutschland verboten und sollten es auch bleiben. Gentherapien sind etwas völlig anderes. Dabei geht es darum, einen Menschen, der geboren und erkrankt ist, zu heilen. Die genetischen Veränderungen, mit denen diese neuen Therapien einhergehen, sind auch nicht vererbbar. Das sind ganz wesentliche Unterschiede zwischen Gentherapien und Keimbahn-Eingriffen.
PZ: Warum sind Keimbahn-Eingriffe so problematisch?
Kappert-Gonther: Derzeit vertreten alle seriösen Wissenschaftler den Standpunkt, dass solche Verfahren ethisch nicht zu rechtfertigen sind, unter anderem da die Nebenwirkungen, also die sogenannten Off-Target-Effekte, überhaupt nicht überschaubar sind. Eingriffe in die Keimbahn sind zudem nicht nur mit enormen Risiken verknüpft, sondern auch mit heiklen ethischen Grundsatzfragen. Wie blicken wir auf Menschen mit chronischen Erkrankungen oder Behinderungen? Sind wir der Meinung, dass jedes von der Norm abweichende Leben automatisch etwas zu Veränderndes ist? Natürlich können chronische Erkrankungen und schwerwiegende Behinderungen großes Leid mit sich bringen. Prinzipiell sollten wir den Menschen in seiner Vielfältigkeit annehmen und schätzen. Und nicht jede Form von Diversität bedeutet Leid: Menschen mit Behinderung und ihre Familien sind genauso glücklich oder unglücklich wie andere Menschen. Lebensglück entscheidet sich nicht an der genetischen Determination eines Menschen.
PZ: Welche gesetzlichen Regelungen sind jetzt nötig, um für Eingriffe ins Erbgut die erforderlichen Leitplanken zu setzen?
Kappert-Gonther: Bevor wir das definieren können, brauchen wir eine breit angelegte gesellschaftliche Debatte darüber, wie wir uns zu solchen Neuerungen verhalten wollen. Die Gesellschaft muss sich zunächst damit auseinandersetzen, dass es inzwischen medizinische Möglichkeiten gibt, von denen wir vor zehn Jahren noch keine Ahnung hatten, die aber auch risikobehaftet sind. Diese Debatte gilt es jetzt möglichst rasch in Gang zu bringen, denn die Innovationen sind bereits da. Um ein Gesetz zu beschließen, müssen wir erstmal wissen, was wir damit genau regeln wollen und auf welche Art.
PZ: Wo sehen Sie die Medizin in zehn Jahren?
Kappert-Gonther: Ich hoffe, dass neben möglichen technischen Neuerungen künftig der Mensch im Mittelpunkt stehen wird, mehr als heute. Diese Forderung darf keine leere Floskel bleiben. Die großen Versorgungsaufgaben, etwa ob es genügend Kinderärzte gibt, ich meine Hausärztin gut und schnell erreiche, ob ich bei Schwangerschaft und Geburt einfühlsam und kompetent begleitet werde und ich die Pflege bekomme, die ich benötige, müssen im Zentrum der gesundheitspolitischen Aktivitäten stehen. Zudem werden Digitalisierung und künstliche Intelligenz für Veränderungen sorgen. Auch bei den neuen Therapien erwarte ich Fortschritte. Davon wird jedoch letztlich nur ein kleiner Teil der Patienten profitieren. Entscheidend ist es, den Bereich der Prävention und Gesundheitsförderung zu stärken, der alle Menschen betrifft. Für die Apotheker sehe ich in der Reduktion und kritischen Begleitung von Polypharmazie ein riesiges Potenzial. Von Wechselwirkungen verstehen Pharmazeuten am meisten. Auch hier sollten wir die Qualifikationen der Apotheker mehr anerkennen und sehr viel mehr nutzen als bisher. Die Arzneimittelinitiative in Sachsen und Thüringen ist ein herausragendes Beispiel dafür, was wir für unsere Patienten erreichen können, wenn wir kooperieren.