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NARZ-Mitgliederversammlung

Graue: E-Rezept-Einführung birgt Retax-Risiken

Datenübertragung, Retax-Gefahren, klamme Kassen: Bei der Mitgliederversammlung des Norddeutschen Apothekenrechenzentrums (NARZ) hat dessen Vorstandsvorsitzender Jörn Graue einen berufspolitischen Rundumschlag geliefert. Er wurde für weitere drei Jahre im Amt bestätigt.
Cornelia Dölger
06.09.2022  15:30 Uhr

Bei der NARZ-Mitgliederversammlung in Hamburg am 3. September holte der Vorstandsvorsitzende Jörn Graue berufspolitisch weit aus – was nicht verwundert, denn auf vielen Themenfeldern gab es in jüngster Zeit Neues für Apotheken. So thematisierte Graue in seinem Bericht zunächst die Leistungen der Apothekerschaft während der Corona-Pandemie und kritisierte zudem das geplante GKV-Finanzstabilisierungsgesetz, wonach den Apotheken bekanntlich ein zeitweise höherer Kassenabschlag ins Haus steht. Dieser Schritt »bedeutet per Saldo nach unseren Berechnungen eine Honorarkürzung von etwa 120 Millionen Euro«, so Graue.

Vor dem Hintergrund des seit Langem anstehenden Inflationsausgleichs »und verweigerter Honorarerhöhungen erscheint es grotesk, dass gerade bei den Apotheken, die nur 1,9 Prozent der Gesamtkosten des Gesundheitswesens verursachen – die Verwaltungsausgaben der Krankenkassen machen über 4 Prozent aus – realiter nicht vorhandene Effizienzreserven gehoben werden sollen«. Auch die seit Kurzem gesetzlich verankerten vergüteten pharmazeutischen Dienstleistungen stellten »kaum ein geeignetes Instrumentarium« dar, um die Erhöhung des Abschlags zu kompensieren, so der NARZ-Vorstandsvorsitzende.

Dass Teile der Ärzteschaft mit drastischen Forderungen und Kommentaren auf die Neuregelung reagiert haben, insbesondere in Hessen und Baden-Württemberg, sei zu erwarten gewesen und hoffentlich als »überzogene Reaktionen mit Ausnahmecharakter« zu bewerten. »Natürlich müssen wir trotz des Überschreitens der ‚roten Linie‘ mit den Ärzten im Gespräch bleiben und ihnen deutlich machen, dass wir seit unendlichen Zeiten unverbrüchliche Partner und nicht etwa Feinde sind«, betonte Graue.

Als klaren Gegner der Apotheken machte der NARZ-Vorstandsvorsitzende die europäischen Versender sowie die wachsende Zahl an Lieferdiensten und weiteren Onlineanbietern und Start-ups aus. Vorerst noch auf den OTC-Bereich beschränkt, werde deren Marketingverhalten auch durch den verzögerten E-Rezept-Start immer aggressiver, so dass es an der Zeit sei, den Gesetzgeber für die Gefahren zu sensibilisieren, die von dem expandierenden Internethandel »für die wirtschaftliche Basis der deutschen Apotheker ausgehen«, so Graue. Er betonte: »Es kann nicht angehen, die europäischen Versender glauben zu lassen, sie seien unantastbar und Deutschland sei für sie ein freier Rechtsraum.«

Zentral in Graues Rede war der Referentenentwurf zum Krankenhauspflege-Entlastungsgesetz (KHPflEG) von Anfang August. In dem darin neu geplanten § 361a will die Bundesregierung unter anderem festlegen, welche Institutionen im Gesundheitswesen die E-Rezept-Codes direkt über den staatlichen Fachdienst empfangen können. Die Apotheken-Plattformen sind nicht dabei (darüber hat die PZ berichtet). Es geht also um sichere Datenübertragung im Zuge des E-Rezepts – die, wie Graue in seiner Rede betonte, in dem Entwurf in entscheidenden Punkten geregelt werde, zudem werde die unabhängige Rolle der Apotheken berücksichtigt. Allerdings blieben hierzu Fragen offen – »insbesondere im Hinblick auf den Zugangsschlüssel zum elektronischem Rezept und auf die Verarbeitung der Dispensierinformationen, die einer grundsätzlichen Überarbeitung und Systematisierung bedürfen«, so Graue. Es gelte deshalb, entsprechende Passagen in dem geplanten Omnibusgesetz unterzubringen.

Insgesamt bestehe in puncto sichere Datenübertragung noch Nachholbedarf – so sei es in Schleswig-Holstein noch bis vor Kurzem unter einigen Ärzten üblich gewesen, die QR-Codes des E-Rezepts per E-Mail zu übermitteln. Erst nach Einschreiten der Landesdatenschützerin sei »diesem Treiben, das durchaus auch eine Umgehung des Makelverbotes ermöglichen kann, ein unrühmliches Ende« gesetzt worden, so Graue. »Wohlmeinende Warnungen wurden bewusst in den Wind geschlagen.« Über den Vorgang sowie den Rückzug Schleswig-Holsteins aus der E-Rezept-Testphase hat die PZ ausführlich berichtet.

Verlust weiterer wirtschaftlicher Ressourcen »nicht hinnehmbar«

Laut SPD-Bundesgesundheitsminister Professor Karl Lauterbach sei die Übermittlung per SMS und E-Mail bis zur Einführung der NFC-fähigen EGK aber durchaus weiterhin geplant, zumindest gebe es entsprechende Medienberichte, so Graue weiter. Lauterbach sei dazu mit Datenschützern im Gespräch – allerdings vergesse er dabei offenbar, dass die europäische Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) »sich auch subsidiär nicht so leicht aushebeln lässt, denn diese räumt nationalen Gesetzgebern lediglich weitere Beschränkungen, aber keine Erweiterungen ein«. Für das nicht-öffentliche Recht seien die Unabhängigen Landesdatenschützer zuständig »und diese werden keinen weiteren Rechtsbruch zulassen«, betonte Graue und wandte sich direkt an Lauterbach: »Lassen Sie daher der Bärendienste genug sein, Herr Minister!«

In den Zusammenhang mit dem E-Rezept stellte Graue in seiner Rede auch die Verhinderung von Retaxierungen, denn bei der Einführung der digitalen Verordnung drohten »vielfältige Retax-Gefahren«, was oft unterschätzt werde. Begonnen bei der Frage der europarechtlichen Gültigkeit der Quittungssignatur, setze sich die Reihe fort »bei dem versehentlichen Auseinanderfallen von verordnendem und signierendem Arzt, der falschen Schreibweise des Kostenträgers, der Abweichung vom Artikelstamm und der möglichen Änderung des Zuzahlungsstatus‘ des Patienten zwischen Ausstellung und Einlösung des Rezeptes«. Diese Aufzählung sei »noch nicht einmal vollständig«. Gingen hierbei durch eine drohende Retax-Welle weitere wirtschaftliche Ressourcen verloren, sei dies »nicht mehr hinzunehmen«.

Rechenzentren sind »verlässlicher Baustein«

Als »unentbehrliche Schnittstelle unseres Gesundheitswesens« bezeichnete der NARZ-Vorstandsvorsitzende in diesem Zusammenhang die Rechenzentren. Sie seien »ein verlässlicher Basisbaustein funktionierender Arzneimittelversorgung« und könnten niemals durch eine Direktabrechnung ersetzt werden. Dass durch die AvP-Pleite das Vertrauen in die Zentren »kurzzeitig erschüttert« wurde, habe die Politik auf den Plan gerufen und zu der verbindlichen Anordnung geführt, gesonderte Treuhandkonten einzurichten – übrigens »ein System, das wir im NARZ schon seit Jahrzehnten umsetzen, um unsere Mitglieder vor allen insoweit drohenden Gefahren zu schützen«, betonte Graue.

Grundlegend hierfür sei eine »solide Finanzpolitik«, wie sie im mitgliedergetragenen Vereinskonstrukt des NARZ vorhanden sei. Es gelte, Rücklagen dort einzusetzen, »wo sie für das einzelne Mitglied Wirkung entfalten«, anstatt zum Beispiel zu versuchen, per Auslobung von Genussscheinen Kapital zu beschaffen, wie es unlängst »ein großes Rechenzentrum« – gemeint ist Noventi – erfolglos vorgeführt habe. »Wir betreiben eben keine auf Gewinnmaximierung oder Befriedigung von Renditeinteressen ausgerichtete Expansionspolitik«, so Graue.

Der langjährige NARZ-Vorstandsvorsitzende bezeichnete seine Aufgabe als »Herzensangelegenheit« und bewarb sich bei der Mitgliederversammlung am vergangenen Samstag erneut für das Amt. Graue als Vorstandsvorsitzender sowie die Beisitzer Andreas Haese, Birger Peters und Ulf Siuts wurden jeweils einstimmig für weitere drei Jahre gewählt.

 

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