Gesundheit durch Know-how |
Die Ausstellung »Gesundheit« ist eine von 19 neuen Präsentationen, die seit Juli 2022 auf circa 20 000 Quadratmetern im Deutschen Museum zu sehen sind. / Foto: Foto: Deutsches Museum, München, R. Krause, H. Czech
»Wir haben für die Ausstellung nicht den medizinhistorischen Ansatz gewählt, um Krankheiten zu beschreiben, sondern zeigen, was möglich ist, um Gesundheit so gut wie möglich zu erhalten oder wiederherzustellen«, erläuterte der Kurator Dr. Florian Breitsameter bei einem Rundgang durch die Schau sein Konzept. Um die Ausstellungsbesucher abwechslungsreich zu informieren, setzen er und sein Team auf einen Mix aus Schautafeln, Filmen, Mitmachstationen sowie alten und neuen Exponaten.
Alles orientiert sich dabei am Menschen, der sich als riesiges, liegendes Modell durch die gesamte 800 Quadratmeter große Ausstellungshalle erstreckt. Ein großer, begehbarer Kopf fesselt gleich beim Betreten die Aufmerksamkeit: Hier kann der Besucher einer zahnchirurgischen Implantation im Film zuschauen, aber auch am Modell erproben, wie viel Kraft nötig ist, um einen Zahn zu ziehen.
Blick in den Körper an der Mitmachstation »Augen« / Foto: Foto: Deutsches Museum, München, R. Krause, H. Czech
Weiter geht es zu den Augen: Hier erfährt man anschaulich, dass jeder Mensch einen blinden Fleck hat, an dem der Sehnerv auf die Netzhaut trifft. Dieser Bereich ist sehr klein und hat keine lichtempfindlichen Rezeptoren. Das Gehirn rechnet die fehlenden Informationen jedoch heraus, sodass wir ein geschlossenes Bild wahrnehmen. Interessierte Besucher können ausloten, wie sich das Sehen bei einem Katarakt oder einem Glaukom verändert, wie bei einer Retinitis pigmentosa das Gesichtsfeld enger wird beziehungsweise die Mitte verschwimmt, wenn man an einer Makuladegeneration erkrankt.
Folgt man dem menschlichen Modell weiter, kann man sich mit der Anatomie des Herzens vertraut machen. Dem Pharmazeuten springen im ersten Schaukasten die vertrauten Packungen von ASS, Atorvastatin, Bisoprolol und Clopidogrel ins Auge, Standardtherapeutika zur Behandlung der Atherosklerose. Auch der »Fingerhut« und das noch heute eingesetzte Digitoxin fehlen nicht in der Geschichte der Herzmedikamente.
Sind die Koronararterien verengt, helfen mit einem Ballonkatheter eingeführte Stents, sie offen zu halten. Dieser Routineeingriff wird inzwischen auch von einer Roboterhand unterstützt, sodass der Chirurg den Eingriff aus einem größeren Abstand zum Operationstisch steuern und so seine Strahlenbelastung senken kann. Besucher können hier selbst Hand anlegen und die Roboterhand steuern.
Einrichtung der Klosterapotheke St. Emmeram in Regensburg, 1925 / Foto: Foto: Deutsches Museum, München, R. Krause, H. Czech
Integriert in die neue Ausstellung »Gesundheit« ist auch eine aus dem Jahr 1925 stammende Einrichtung der Klosterapotheke St. Emmeram in Regensburg. Sie war das Herzstück der bisherigen Ausstellung »Pharmazie«. Wie Arzneimittel heute entwickelt und geprüft werden, erklären Schautafeln und Filme.
Die Geschichte der Menschheit ist durchzogen von Infektionen durch Bakterien, Viren, Pilze und Parasiten. Pest, Pocken und Cholera haben mehr Menschen das Leben gekostet als kriegerische Auseinandersetzungen. Der Siegeszug von Hygiene, Impfungen und Antiinfektiva markieren Meilensteine der Medizin. Ein Highlight unter den klassischen Exponaten ist ein rostiges, aber besonders wertvolles Zeitdokument: der Brutschrank, in dem Robert Koch vor mehr als 100 Jahren Bakterien gezüchtet und so den Erreger der Tuberkulose entdeckt hat.
Brutschrank, in dem Robert Koch vor mehr als 100 Jahren Bakterien gezüchtet und so den Erreger der Tuberkulose entdeckt hat. / Foto: Foto: Deutsches Museum, München, R. Krause, H. Czech
Besonders stolz ist Kurator Breitsameter jedoch auf die Originalampullen mit dem Präparat 606, das 1909 von Paul Ehrlich entwickelt worden war. Zwar hatte der französische Apotheker und Pharmakologe Antoine Béchamp schon 1863 eine Arsenverbindung gegen Trypanosomen, den Erreger der Schlafkrankheit, hergestellt. Die Substanz hatte sich jedoch als hoch toxisch herausgestellt und unter anderem den Sehnerv attackiert. Ehrlich begann daraufhin, das Molekül systematisch zu verändern, um eine weniger toxische Substanz zu gewinnen. Das gelang ihm und seinen Mitarbeitenden mit der Verbindung 606, die schließlich als Salvarsan zur Behandlung der Syphilis eingesetzt wurde. Die Geschichte von Salvarsan markiere eine Zäsur in der Arzneimittelgeschichte, hob Breitsameter hervor. Davor seien Arzneimittel gefunden worden, jetzt sei erstmals eine Substanz gezielt entwickelt und systematisch am Patienten geprüft worden.
Die nächsten Stationen bei den Antiinfektiva stellen die Sulfonamide und schließlich die Antibiotika dar, beginnend mit Penicillin und Alexander Fleming. Auch die Problematik der Antibiotikaresistenz und der fehlenden Innovationen, die bereits jetzt die Gesundheit weltweit bedrohen, werden deutlich veranschaulicht.
Was Apotheker besonders freuen wird: Wie wichtig gerade bei Antibiotika eine korrekte Einnahme ist, betont eine Schautafel, die auf die individuelle Beratung in der Apotheke verweist.
Inwieweit die Pandemie das Konzept der Ausstellung beeinflusst habe? Kaum, entgegnete der Kurator, der bereits 2013 begonnen hat, mit seinem Team die Ausstellung zu entwickeln. Infektionen durch Bakterien, Viren, Pilze oder Parasiten hätten schon in den ersten Planungen breiten Raum eingenommen, ebenso wie die Möglichkeiten der Prävention durch Hygienemaßnahmen und Impfungen.
Bei der Impfstoffentwicklung sei schon seit Jahren klar, dass mRNA-Vakzinen einen wesentlichen Fortschritt darstellten, erklärte Breitsameter. Nun sei alles viel schneller gegangen. Durch die Covid-19-Pandemie hat diese Technologie in kurzer Zeit Marktreife erzielt. Zu den neuesten Exponaten der Ausstellung gehört auch ein Fläschchen mit dem mRNA-Impfstoff.
Begonnen hat die Erfolgsgeschichte des Impfens mit der genialen Idee des britischen Landarztes Edward Jenner, der mit dem Sekret von eher harmlosen Kuhpocken einen kleinen Jungen vor einer lebensbedrohlichen Infektion mit den »echten« Pocken schützen konnte.
»Wir möchten mit unserer Ausstellung so aktuell wie möglich bleiben«, betonte Breitsameter. Viele technischen Exponate seien Leihgaben und könnten rasch ausgetauscht werden, wenn die Entwicklung voranschreite oder neue Diagnostik- oder Therapieempfehlungen vorlägen.
Was ist ein Ohrwurm? Warum blutet meine Wunde? Wie schnell schlägt mein Herz? Anschauliche Informationen und Mitmachstationen ziehen sich speziell auch für die kleinen Besucher durch die gesamte Ausstellung. »Unser Ziel war es, nicht einfach die für Erwachsene konzipierten Inhalte thematisch und sprachlich herunterzubrechen, sondern Kindern eigene Themen zu präsentieren und auf ihre Erfahrungswelt einzugehen«, fasst der Kurator das gelungene Ausstellungskonzept zusammen.
Deutsches Museum
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