»Gekürzte Vergütung, explodierende Kosten: Die Lunte brennt« |
Melanie Höhn |
10.11.2022 11:30 Uhr |
Trotz aller Herausforderungen und zusätzlicher Aufgaben stehe der AVWL bei der Einführung des E-Rezeptes »nicht auf der Bremse«, sagte Rochell. Dieses enorme Engagement werde den Apotheken nun »mit dem Messerstich Apothekenabschlag« gedankt. Das lasse Apothekerinnen und Apotheker teilweise aufgeben. Nicht verwunderlich sei, dass die Bereitschaft bei jungen Kolleginnen und Kollegen gering sei, einen eigenen Betrieb zu übernehmen oder zu eröffnen. Den Start des E-Rezeptes bezeichnete er jedoch als einen Paradigmenwechsel. »Es war für uns aber überraschend, dass wir Modellregion werden«, sagte er. Die Kassenärztliche Vereinigung Westfalen-Lippe (KVWL) habe mit 60 Praxen gestartet, zuletzt seien 250 Praxen sehr aktiv gewesen, E-Rezepte auszustellen. Mit dem Rückzug der KVWL aus dem E-Rezept-Start ändert sich laut Rochell für die Apotheken in Westfalen-Lippe aber erst einmal nichts: »Wir sind verpflichtet, die E-Rezepte weiter anzunehmen und abzurechnen. Praxen, die bereits in den Rollout involviert sind, können dies weiter tun und werden dies auch tun«, sagte er. Dies biete zugleich die Chance für die beteiligten Apotheken und Praxen, die neuen Abläufe mit einer kleinen Zahl von E-Rezepten zu erproben sowie Probleme im Prozess aufzudecken und Lösungen zu finden.
Rochell lobte die konstruktive Zusammenarbeit mit der KVWL, der Kassenzahnärztlichen Vereinigung Westfalen-Lippe (KZVWL), der Gematik, dem Bundesministerium für Gesundheit (BMG), den Krankenkassen und den Softwarehäusern. Technische Probleme bei der Abwicklung des E-Rezeptes würden über ein Ticketsystem an die Gematik gemeldet. »Die Zahl der Anfragen aus den beteiligten Apotheken ist moderat, pro Tag gehen nur einzelne Anfragen ein«, sagte er. Daraus lasse sich schließen, dass die Apotheken weitgehend gut mit dem E-Rezept zurechtkommen. Bisher seien keine grundlegenden Probleme aufgetreten, zumeist würden jedoch Unsicherheiten im Handling bestehen, wie etwa bei der Änderung eines nicht korrekten Dosierungshinweises. Dabei stehe der Verband in stetem Kontakt mit der Gematik, um durch die Meldung solcher Probleme den Optimierungsprozess zeitnah voranzutreiben. »Das E-Rezept ist eine Chance für den Berufsstand. Es verschlankt auf Dauer unsere Prozesse und schafft damit Kapazitäten, zum Beispiel für pharmazeutische Dienstleistungen«, resümierte Rochell.
In den vergangenen Monaten habe der Verband immer wieder den Kontakt in die Politik gesucht, um klarzumachen, welche Bedeutung die Apotheken vor Ort für die sichere Patientenversorgung haben. Auch habe er gegenüber der Politik immer wieder auf die versteckten Kosten in Apotheken aufmerksam gemacht, die etwa durch Lieferengpässe, Null-Retaxationen oder unnötige Bürokratie entstehen. Mit seinem im September veröffentlichten offenen Brief an Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach hatte sich der Verband zudem über die Sparmaßnahmen beschwert und vor negativen Auswirkungen auf die Versorgung gewarnt. Warum beteiligte sich der Verband dann nicht auch an den Apothekenstreiks? Gemessen an der Zahl der Mitgliedsapotheken habe es nur eine geringe Anzahl an Streikanfragen gegeben, sagte Rochell. Aufgrund früherer Erfahrungen wie etwa beim Streik 2012 sei zudem eine große Skepsis aufgekommen, wie viele Kolleginnen und Kollegen sich auch tatsächlich beteiligen würden. »Ein Streik, an dem sich nur eine Minderheit beteiligt, schadet dem Berufsstand am Ende mehr als kein Streik«, ist er überzeugt. Dennoch deutete er an, dass es das Instrument des Streiks »vielleicht noch dringender in Zukunft« brauche.