Gefahr fürs weibliche Herz |
Clara Wildenrath |
10.12.2023 08:00 Uhr |
Trotz dieser Erkenntnisse erhalten Männer und Frauen mit einer koronaren Herzerkrankung die gleiche Arzneimittelbehandlung, kritisieren Gender-Medizinerinnen. Denn in den Dosierungsempfehlungen der Leitlinien habe sich das relativ neue Wissen über die geschlechtsspezifische Wirkung bisher nicht niedergeschlagen. Sie orientieren sich überwiegend an Männern.
Am 2. Februar 2024 findet der zweite #GoRed-Day in Deutschland statt. Hier steht die Herzgesundheit von Frauen im Fokus. Unter dem Motto »Frauenherzen schlagen anders« planen der Verein Healthcare Frauen und die Herz-Hirn-Allianz eine große Awareness-Kampagne. Sichtbares Zeichen soll ein rotes Kleidungsstück oder Accessoire sein (Infos und Link siehe unten Kasten Literatur). / Foto: Adobe Stock/Vera
Zwar müssen Arzneimittelhersteller in ihren klinischen Studien in der EU seit Anfang 2022 für eine repräsentative Geschlechter- und Altersverteilung sorgen. Der weitaus überwiegende Teil der Daten beruht aber auf Studien, an denen fast ausschließlich Männer teilgenommen haben. Nach wie vor werden zudem Wirkungen und Nebenwirkungen nur in sehr wenigen Zulassungsstudien nach Geschlecht getrennt ausgewertet. Und in pharmakologischen Phase-1-Studien ist die Frauenquote bis heute verschwindend gering. Auch in der präklinischen Forschung kommen fast ausschließlich männliche Tiere zum Einsatz, weil sie keinen Hormonschwankungen unterliegen.
Eine gendergerechte Arzneimitteltherapie würde mutmaßlich nicht nur dazu beitragen, dass weniger Frauen an einem Reinfarkt sterben. Auch die Primärprävention ließe sich möglicherweise verbessern. Erste Studienergebnisse deuten darauf hin, dass eine Atherosklerose bei Frauen nach der Menopause eventuell intensiver als bei Männern therapiert werden müsste, um Herzinfarkte zu verhindern. Eine strengere Einstellung von erhöhtem Blutdruck, LDL-Cholesterol und Blutzucker könnte das Risiko unter Umständen ebenfalls senken. Um diese Erkenntnisse zu bestätigen, sind allerdings noch viele große und langfristig konzipierte Studien notwendig.
Nachweislich bei beiden Geschlechtern wirksam sind die bekannten Lebensstilveränderungen: nicht rauchen, Übergewicht reduzieren, regelmäßig Sport treiben und sich gesund ernähren. Um ihr individuelles Herzinfarktrisiko im Blick zu behalten, sollte zudem jede Frau spätestens ab 40 außerdem jährlich Blutdruck, Blutzucker und Cholesterol überprüfen lassen. Ab der Menopause empfehlen Herzexperten halbjährliche Kontrollen.
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Healthcare Frauen e.V.: www.healthcare-frauen.de/kontakt
Clara Wildenrath ist Diplom-Biologin, Wissenschaftsjournalistin und Buchautorin. Sie berichtet sowohl für Fachkreise als auch für Laien über Grundlagen und Neuerungen in der Medizin. Zu ihren Schwerpunktthemen gehören unter anderem die Gynäkologie, Immunologie und Biochemie.