Fluvoxamin punktet in Covid-19-Studie |
| Sven Siebenand |
| 29.10.2021 17:00 Uhr |
Oral bioverfügbare Covid-19-Medikamente werden dringend benötigt. Das Antidepressivum Fluvoxamin hat in Studien auf sich aufmerksam gemacht. Da es recht günstig ist, wäre das auch ein Wirkstoff, den sich ärmere Länder leisten könnten. / Foto: Adobe Stock/skadhi_art
Im Fachjournal »The Lancet« berichtet ein Team um Dr. Gilmar Reis von der Pontificia Universidade Católica de Minas Gerais in der brasilianischen Stadt Belo Horizonte aktuell über positive Ergebnisse, die der Einsatz des Antidepressivums Fluvoxamin in einer randomisierten Studie bei symptomatischen Risikopatienten mit Covid-19 gezeigt hat.
In der Studie hatten früh diagnostizierte Patienten entweder für zehn Tage zweimal täglich 100 mg Fluvoxamin (n=741) erhalten oder Placebotabletten (n=756). Primärer Endpunkt der Studie war die Einweisung ins Krankenhaus während eines 28-Tage-Zeitraums. Das Ergebnis: Während in der Verumgruppe 11 Prozent der Patienten (n=79) hospitalisiert wurden, waren es in der Placebogruppe 16 Prozent (n=119).
Die Studie war nicht darauf ausgelegt, die Mortalitätsrate zu untersuchen. Dennoch stellen die Forscher in ihrer Publikation fest, dass es in der Fluvoxamin-Gruppe nur zu einem Todesfall kam, während in der Placebogruppe zwölf Menschen starben.
Es ist nicht das erste Mal, dass Fluvoxamin bei Covid-19 auf sich aufmerksam macht. Vor etwa einem Jahr war zum Beispiel im Fachmagazin »JAMA« darüber berichtet worden, dass die Wahrscheinlichkeit einer klinischen Verschlechterung unter dem Antidepressivum in einer kleineren Studie geringer ausfiel als in der Placebogruppe. Die nun vorgestellten Daten entstammen der bisher größten Covid-19-Studie mit Fluvoxamin.
Wie lässt sich die Wirkung von Fluvoxamin bei Covid-19 erklären? Eine genaue Antwort auf diese Frage steht noch aus und es gibt unterschiedliche Hypothesen. Die Substanz wirkt offenbar nicht nur als selektiver Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI), sondern auch immunmodulierend über seine agonistische Aktivität am σ-1-Rezeptor. Dieser Rezeptor am endoplasmatischen Retikulum spielt unter anderem bei der Regulation der Zytokin-Produktion eine Rolle. Das heißt, der Wirkstoff könnte dazu beitragen, dass die Produktion proinflammatorischer Botenstoffe bei einer SARS-CoV-2-Infektion gedrosselt wird.
Ein anderer Erklärungsansatz könnte die Fähigkeit von Fluvoxamin sein, die Plättchenhemmung zu beeinflussen. Die inhibitorische Wirkung könnte helfen, Thrombosen im Zusammenhang mit schwerem Covid-19 zu verhindern. Die Lancet-Studienautoren bringen zudem die Möglichkeit ins Spiel, dass Fluvoxamin durch die Erhöhung der Plasmaspiegel von Melatonin einen Nutzen bringen könnte.
»Fluvoxamin ist bisher die einzige Behandlung, die bei frühzeitiger Verabreichung verhindern kann, dass Covid-19 zu einer lebensbedrohlichen Krankheit wird. Es könnte eine unserer stärksten Waffen gegen das Virus sein und seine Wirksamkeit ist eine der wichtigsten Entdeckungen, die wir seit Beginn der Pandemie gemacht haben«, so das überaus euphorische Fazit des Seniorautors, Professor Dr. Edward J. Mills von der McMaster University Hamilton, Kanada, in einer Pressemitteilung der Hochschule. Das kostengünstige Fluvoxamin könnte für ärmere Länder mit niedrigen Impfraten und fehlendem Zugang zu anderen Covid-19-Therapeutika ein Game-Changer sein, so Mills weiter.
Noch heißt es aber Abwarten. Fluvoxamin wird sich weiteren Untersuchungen bei Covid-19 stellen müssen. In einem begleitenden Kommentar in »The Lancet« weist Professor Dr. Otavio Berwanger vom Hospital Israelita Albert Einstein in São Paulo, Brasilien, darauf hin, dass noch einige Fragen zur Wirksamkeit und Sicherheit von Fluvoxamin bei Covid-19 offen sind. Die endgültige Antwort in Bezug auf die Auswirkungen von Fluvoxamin auf Endpunkte wie Mortalität und Krankenhauseinweisungen müsse noch gefunden werden.
Es sei auch noch abzuklären, ob Fluvoxamin einen additiven Effekt zu anderen Therapien wie monoklonalen Antikörpern hat und welches das optimale Fluvoxamin-Therapieschema ist. Schließlich sei noch unklar, ob sich die Ergebnisse der Studie auf andere ambulante Populationen mit Covid-19 ausweiten lassen, etwa Personen ohne Risikofaktoren für das Fortschreiten der Krankheit, vollständig geimpfte Menschen und Personen, die mit der Delta-Variante oder anderen neueren Variante des Coronavirus infiziert sind.
Das Virus SARS-CoV-2 hat unsere Welt verändert. Seit Ende 2019 verbreitet sich der Erreger von Covid-19 und stellt die Wissenschaft vor enorme Herausforderungen. Sie hat sie angenommen und rasch Tests und Impfungen, auch für Kinder, entwickelt. Eine Übersicht über unsere Berichterstattung finden Sie auf der Themenseite Coronavirus.