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Ökosysteme

Feuer auf Rezept

Was haben Feuer und Pharmazie gemeinsam? Für Professor Dr. Johann Georg Goldammer liegt das auf der Hand: Die Dosis macht das Gift. Im PZ-Interview erklärt der Feuerökologe, warum eine gezielte Behandlung von Natur- und Kulturlandschaften mit Feuer heilsam sein kann und warum wir uns gerade im Pyrozän befinden.
Jennifer Evans
13.03.2023  07:00 Uhr

Wie viele Feuerökologen gibt es eigentlich auf der Welt?

In der Erforschung der Auswirkung von Feuer auf Ökosysteme gibt es eine große Zahl von speziellen Untersuchungen durch Botaniker, Bodenkundler und anderen Vertretern von Umweltwissenschaften. Der Begriff »Feuerökologe« geistert da etwas durch die Landschaft und wird durchaus auch missbraucht. Zunächst: Es gibt weltweit keinen akademischen Ausbildungsgang für Feuerökologie, die das facettenreiche Zusammenspiel zwischen Feuer und der globalen Umwelt interdisziplinär erforscht. Ein Feuerökologe qualifiziert sich als solcher, wenn er sich mit einer großen Bandbreite von ökologischen und gesellschaftlichen Fragestellungen in Forschung und Anwendung befasst hat. Meine Professur für Feuerökologie an der Universität Freiburg erfüllt diese Anforderungen.

Was fasziniert Sie an Ihrem Beruf?

Zum einen, wie das Feuer als Element Ökosysteme formte und wie es seit jeher vom Menschen genutzt wurde. Und zum anderen die Herausforderung, das Wissen rund um das Feuer in politische und wirtschaftliche Entscheidungsprozesse einzubringen.

Ab wann galt das Feuer nicht mehr als Feind der Wälder?

In den vergangenen 200 Jahren hatte das Feuer aus europäischer Sicht keinen Platz im Wald beziehungsweise der Natur. Diese Auffassung wurde dann in die neue Welt übertragen, also nach Nordamerika oder in die ehemaligen Kolonialgebiete des Globalen Südens. Anfang des 20. Jahrhunderts erkannte man jedoch, dass die Feuerausschluss-Politik nicht der richtige Ansatz war. Denn viele Ökosysteme sind durch natürliches Feuer oder die Nutzung des Feuers durch den Menschen geprägt. Beispiel Nordamerika: Die Ureinwohner etwa legten Feuer, um offene Prärieflächen zu erhalten, die ihnen die Jagd auf Bisons ermöglichte und damit letztlich ihr Überleben sicherte. Als man sich später vom Feuer abkehrte, zeigte sich deutlich ein Rückgang der Bison-Populationen. Ihnen fehlte jetzt die Weidegrundlage, da die offenen Flächen wieder von Wald eingenommen wurden.

Gezieltes beziehungsweise kontrolliertes Brennen ist also durchaus wünschenswert …

Ja, neben den natürlichen Blitzschlagfeuern erleichterte das kontrollierte Brennen durch indigene Bevölkerungsgruppen die Jagd auf Wildtiere. Das auf Brandflächen wachsende frische Gras zog die Wildtiere an – und dort konnten sie leicht erlegt werden. Besonders in Australien und Afrika nutzten die Menschen das Feuer, um ihre Lebensräume siedlungsfreundlich und offen zu gestalten. Diese Feuer sorgten aber auch dafür, dass weniger Unterholz im Wald entstand und damit weniger Brennmaterial. Also: Je weniger Feuerlast, desto weniger heftig die Brände.

Wo wird das Brennen auf Rezept denn verordnet?

Man denke an die Baum-, Busch- und Gras-Savannen in Afrika. Der Krüger Nationalpark zum Beispiel muss regelmäßig mit Feuer behandelt werden, damit er nicht zuwächst. Die vielen Wildtierarten würden dort sonst ihren Lebensraum verlieren – und das war schon in der Vergangenheit so. Ganz wie Paracelsus schon sagte: Die Dosis macht das Gift. Das ist auch beim Feuer so.

Welchen Einfluss hatte das Waldbild der Romantik auf unser Verhältnis zum Feuer?

Vor allem das Waldbild der Deutschen war von sehr romantischen Vorstellungen geprägt, wie es sich auf vielen historischen Gemälden erkennen lässt. Damals hatte das Feuer im Wald einfach nichts zu suchen, weil es als zerstörerisch galt. Dieser Gedanke passte aber nicht zur Realität anderer Klimazonen in der neuen Welt. Allerdings muss man bedenken: In Mitteleuropa herrschten bislang Klimabedingungen, die von Natur aus kein Feuer mit sich brachten. Außerdem waren die Menschen immer bestrebt, insbesondere im dichtbesiedelten Deutschland, Feuer zu vermeiden. Bis schließlich angesichts des zunehmenden Klimawandels verstärkt nach Lösungen für die Zukunft gesucht wurde, hatte das Ideal der Feuervermeidung noch bestand.

Welche Lebewesen profitieren vom Feuer?

Ein hiesiges Beispiel sind unsere Heidelandschaften. Die Zwergstrauchheiden bieten vielen Offenland-Arten einen Lebensraum, den sie im Wald nicht finden. Verholzten die Sträucher zu stark und waren sie damit für die Heidschnucken als Nahrung zu hart, nutzte man früher die holzigen Bestandsteile und die torfigen Rohhumusauflagen zum Heizen oder zum Abdecken der Reetdachgiebel. Historische Quellen belegen aber auch: Die Viehhirten zündeten die Heide an. Wie vital die Heide nach einem solch kontrollierten Brand wieder aufkeimt, lässt sich heute beim Nachahmen dieser traditionellen Brandtechniken beobachten. Es zeigt sich auch, wie eingedrungene Baumarten sich durch kontrolliertes Abbrennen wieder zurückdrängen lassen. Inzwischen legt man auf vielen Heideflächen in Deutschland gezielt Feuer, um die Biodiversität in den alten Kulturlandschaften zu erhalten.

Welche Tiere brauchen die offenen Flächen?

Besonders Reptilien wie Eidechsen oder Nattern. Denn dort finden sie warme Plätze zwischen den Heidepflanzen. Nach dem Orkan »Lothar« im Jahr 1999 tauchte im Schwarzwald in durch Windwurf und Windbruch gestörten Gebieten wieder das Auerwild auf. Auerwild benötigt solche Störungsflächen, tote Baumstümpfe zum Aufsitzen sowie Sandflächen, um den Nachwuchs auf dem Boden großzuziehen. Nachdem die Flächen wieder zugewachsen waren, verschwand auch das Auerwild wieder. Seitdem versuchen wir im Raum Freiburg, einige der Flächen mit kontrollierten Bränden freizuhalten.

Sie sprechen oft vom Zeitalter des Feuers. Was ist damit gemeint?

Ursprünglich hat der Feuerhistoriker Stephan Pyne den Begriff Pyrozän in den Ring geworfen. Ihm zufolge ist die Entwicklung der Menschheit vom Feuer bestimmt. Ich teile den Gedanken, unterscheide aber zwischen zwei Phasen. Die erste beginnt mit der industriellen Revolution. Seinerzeit haben wir erstmals die unter der Erdkruste eingelagerte pflanzliche Biomasse – mittlerweile umgewandelt in Kohle, Gas und Öl – an die Oberfläche gefördert und zur Energiegewinnung verbrannt. Diese Verbrennungsprodukte lagerten sich in der Atmosphäre ab und transportierten so – zumindest symbolisch – unsere geologische Vergangenheit in die Zukunft. Dadurch veränderte sich allmählich die Atmosphäre und beeinflusste das Klima. In der zweiten Phase schlägt das Klima nun zurück und versetzt die Erde in einen Zustand von Brennbarkeit, wie wir ihn noch nie erlebt haben. Gebiete, die früher von Flammen unberührt waren, sind heute vom Feuer betroffen – wie Teile der subarktischen Tundra Sibiriens.

Auch in Deutschland sind die Wälder anfälliger, weil sie durch die Trockenheit in eine höhere Brennbereitschaft geraten sind. Das Problem: Die Feuer dringen durch die veränderten Klimabedingungen tiefer in den Boden ein und schädigen beziehungsweise zerstören viele Ökosysteme sehr viel stärker als früher. Das wiederum verhindert die Regeneration des Waldes. Oder anders: Die Vegetation wird nicht mehr zur selben zurückkehren wie vorher. Grasland und Steppen, wie sie unter anderem in der Mongolei und in Sibirien entstanden sind, bezeichnen wir dann als »grüne Wüsten«. Dasselbe passiert in den Tropen, wenn der Regenwald nicht mehr nachwächst.

Halten Sie das Feuer für das mächtigste der vier Elemente?

Grundsätzlich sind sie alle sehr mächtig. Das Feuer lässt sich aber im Gegensatz zu den anderen Elementen durch den Menschen beherrschen. Statistisch gesehen verursacht nämlich der Mensch 95 bis 99 Prozent der Brände in Europa – und nicht die Natur. Mit entsprechenden Regeln lässt sich an dieser Stellschraube drehen. Außerdem können wir die Vegetation in unseren Kulturlandschaften so managen, dass feuerresiliente Wald- und Offenlandschaften geschaffen werden. Feuerprävention ist eine Form des Beherrschens.

Wann haben Sie Ihren ersten Brand gelegt?

Lassen wir die Experimente aus meiner Kindheit mal raus. Mein erstes kontrolliertes Feuer habe ich 1977 noch während meines Studiums der Forstwissenschaften gelegt. Ich wollte damals mein Wissen aus meiner Lehrzeit in Nordamerika anwenden und das Feuer dort in hiesige Ökosysteme integrieren, wo es auch bei uns zielführend sein kann. Die Ergebnisse dieses kontrollierten Brandes flossen dann in meine erste wissenschaftliche Publikation ein.

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