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Todesfall in Bielefelder Klinik

Falsches Medikament war offenbar Methadon

Im Klinikum Bielefeld hat ein 26-jähriger Patient aus Versehen das Medikament seines krebskranken Bettnachbarn erhalten – und ist verstorben. Aktuellen Informationen zufolge handelte es sich wohl um Methadon.
dpa
PZ
27.08.2020  16:00 Uhr

Ein Patient des Klinikums Bielefeld ist nach Verabreichung eines falschen Medikaments verstorben. Das Mittel sei gar nicht für den 26 Jahre alten Mann gedacht gewesen, sondern für seinen Zimmernachbarn, einen Krebspatienten, sagte ein Krankenhaussprecher am Mittwoch auf dpa-Anfrage. Wie genau es zu dem tragischen Todesfall in der vergangenen Woche kommen konnte, sei noch unklar und werde von der Klinik derzeit intensiv untersucht. Fest stehe bisher, dass es sich bei dem fälschlicherweise verabreichten Mittel nicht um ein Krebsmedikament gehandelt habe, hieß es am Mittwoch.

Heute berichtet dpa, dass es sich um Methadon gehandelt haben soll. Die gerichtsmedizinische Untersuchung sei noch nicht abgeschlossen und die Todesursache bisher nicht abschließend geklärt, sagte ein Sprecher der Bielefelder Staatsanwaltschaft am Donnerstag. «Aber wir gehen nach bisherigem Stand davon aus, dass er Methadon erhalten hat.» Man ermittle wegen fahrlässiger Tötung, sagte der Sprecher der Staatsanwaltschaft. Das richte sich zunächst gegen Unbekannt, da man noch nicht wisse, wer für die Verwechslung verantwortlich sei. Methadon ist ein synthetisch hergestelltes Opioid, das eingesetzt wird, um Heroin zu ersetzen oder auch, um starke Schmerzen zu behandeln. Darüber hinaus wird unter Wissenschaftlern seit Längerem kontrovers diskutiert, ob es auch eine antitumorale Wirkung hat, was in den vergangenen Jahren für einen Hype um Methadon in der Krebstherapie gesorgt hatte. Aussagekräftige Studien fehlen jedoch noch.

Nachdem Nebenwirkungen bei dem Patienten aufgetreten seien, habe man den 26-Jährigen zunächst auf die Intensivstation verlegt, schilderte der Kliniksprecher am Mittwoch. Danach habe man ihn in die Neurologische Fachabteilung der Evangelischen Klinik in Bielefeld gebracht. Dort sei er am vergangenen Donnerstag verstorben. Zu den Einzelheiten dürfe man aus datenschutzrechtlichen Gründen und wegen der laufenden Ermittlungen derzeit keine weiteren Angaben machen.

Einem Bericht des WDR zufolge war der Mann in der kommunalen Klinik erfolgreich operiert worden. Nach dem Routine-Eingriff habe man ihn bald entlassen wollen. Dann sei es zu der Medikamenten-Verwechslung gekommen. Das Krankenhaus wolle nun «mit allen uns zur Verfügung stehenden Möglichkeiten» für Aufklärung sorgen.

Patientenschützer fordern digitale Anwendungskontrollen

In den vergangenen 20 Jahren hatten einige wenige Todesfälle nach falscher Medikamentengabe vereinzelt Schlagzeilen gemacht. 2019 war unter anderem eine Pflegerin in Niederbayern zu einer Bewährungsstrafe verurteilt worden – sie hatte versehentlich ein falsches Medikament verabreicht, ein Heimbewohner starb. 2018 war es in einer Klinik in Göppingen nach mutmaßlich verwechselten Infusionslösungen zu zwei Todesfällen gekommen. 2003 erhielt eine Krankenschwester in Frankfurt am Main eine Bewährungsstrafe – sie hatte Spritzen verwechselt und einem später verstorbenen Kind die falsche Injektion verabreicht. 2001 gab es Ermittlungen in Kiel nach dem Tod eines Leukämie-Patienten.

In Krankenhäusern sei die Verwechslung von Medikamenten nicht selten, meinte Eugen Brysch von der Stiftung Patientenschutz. Meistens handele es sich um Tabletten, die der Patient schlucke. Brysch plädierte für eine digitale Kontrolle. Entnahme und Zusammensetzung der Medikamente auf der Station und die Zuteilung an den Patienten solle digital und lückenlos erfasst und überprüft werden. «Etwa mithilfe eines Barcodes kann festgestellt werden, ob das richtige Medikament beim richtigen Patienten landet», sagte der Stiftungsvorstand. «Geschieht ein Fehler, schlägt das System sofort Alarm.» Vergleichbare Scanner-Systeme gebe es an jeder Supermarktkasse. Das ersetze das Vier-Augen-Prinzip bei der Zusammenstellung der Präparate nicht, könne es aber ergänzen. 

Bislang haben bundesweit erst rund 5 Prozent aller Krankenhäusersogenannte Closed-Loop-Systeme für die digitale und möglichst automatisierten Medikationsprozess von der Verordnung über das Stellen bis zur Applikation etabliert. Die ADKA, der Bundesverband Deutscher Krankenhausapotheker hat sich das Thema auf die Fahnen geschrieben und strebt eine deutliche Zuwachsrate an, um Medikationsfehler im Krankenhaus zu minimieren.

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