Expertenrat schweigt zu dispensierenden Ärzten |
Der Corona-Expertenrat fordert die Hersteller von antiviral wirkenden Medikamenten wie etwa Paxlovid auf, Daten zum Einfluss der Medikamente auf das Long-/Post-Covid-Risiko vorzulegen. / Foto: IMAGO/ZUMA Wire
Um den Einsatz von hochwirksamen Medikamenten in der Frühphase der Covid-19-Erkrankung in Deutschland in den kommenden Monaten weiter zu verbessern, hat der Corona-Expertenrat der Bundesregierung Maßnahmen zur vereinfachten Applikation sowie zur besseren Information der Bevölkerung und der Ärzteschaft in einer Stellungnahme empfohlen.
Der effektive Einsatz antiviraler Therapien habe »einen hohen Stellenwert, die Krankheitslast durch Covid-19 zu begrenzen und schwere Krankheitsverläufe und Todesfälle zu reduzieren«, schreibt das Gremium in seiner Stellungnahme. Derzeit stehen mehrere Substanzen für eine antivirale Therapie zur Verfügung. Die Bundesregierung hatte beispielsweise das Präparat Paxlovid (Nirmatrelvir/Ritonavir) zentral beschafft und in die Lieferkette gegeben. Eine effektive antivirale Therapie erfordere laut Gremium unter anderem einen frühzeitigen Beginn der Therapie in den ersten Tagen der Infektion.
Zur Verbesserung der Applikation empfiehlt der Expertenrat unter anderem die »Möglichkeit zur telefonischen und/oder telemedizinischen Verschreibung antiviraler Medikamente bei nachgewiesener SARS-CoV-2-Infektion bei entsprechender Therapieindikation«. In der Stellungnahme heißt es weiter: »Nachfolgend direkte Zustellung der zur oralen Verabreichung geeigneten antiviralen Medikamente durch Apotheken«. Bei der telefonischen oder telemedizinischen Besprechung soll »eine potentielle Indikation eruiert« werden, abschließend soll »die Möglichkeit der postalischen/Kurier Zustellung« bestehen.
Fraglich ist, warum die Expertinnen und Experten diese Vorgehensweise überhaupt noch empfehlen – schließlich ist dieses Verfahren längst möglich. Das Bundesgesundheitsministerium hatte schon im Februar per Allgemeinverfügung angeordnet, dass Verordnungen auch telefonisch von Ärzten an die Apotheke vorab mitgeteilt werden können und die Apotheken die Präparate dann per Botendienst ausfahren sollen. Auffällig ist auch, was die Stellungnahme des Expertengremiums nicht enthält: das kürzlich etablierte Dispensierrecht für Hausärzte. Das BMG hatte Hausärzte erst kürzlich die Möglichkeit eröffnet, Paxlovid-Packungen über Apotheken zu beziehen, diese in den Praxen zu lagern und dann direkt an Patienten abzugeben.
Um die Kommunikation sowie die Informationen rund um die hochwirksamen Medikamente zu verbessern, empfiehlt der Expertenrat eine Website sowie eine mobile App mit aktuellem, interaktivem Leitfaden zur Anwendung von antiviralen Medikamenten bei Covid-19 für Ärzte. Außerdem sollen Informationsangebote für ältere Menschen etabliert sowie die Fort- und Weiterbildungsangebote für niedergelassene Allgemeinmediziner und Fachärzte intensiviert werden. Zudem werden die Hersteller aufgefordert, Daten zum Einfluss der Medikamente auf das Long-/Post-Covid-Risiko vorzulegen und Studien zur Dosierungsanpassung unter Verwendung neuerer klinischer Erprobungsdaten in Hinblick auf Verläufe mit Viruslast-Wiederkehr durchzuführen.
Einige antivirale Medikamente, insbesondere Paxlovid, besitzen laut Expertenrat ein erhöhtes Interaktionspotenzial mit bestimmten anderen Medikamenten, was unter Umständen eine kurzzeitige Umstellung, Pausierung oder Dosisanpassung bestehender Therapien voraussetze oder den Einsatz einiger antiviraler Medikamente gänzlich verhindere. Dies erfordere eine »sorgfältige ärztliche Indikationsstellung und Abklärung möglicher Kontraindikationen und Medikamenteninteraktionen«. Dennoch sei ein breiter Einsatz antiviraler Medikamente in Risikopopulationen möglich, wie es zum Beispiel in Israel oder in Großbritannien umgesetzt wird.
Der Expertenrat empfiehlt grundsätzliche Konzepte der frühen antiviralen Medikation wie in Israel und Großbritannien auch für Deutschland in Pilotprojekten einzuführen. Dies umfasse die Möglichkeit der digitalen Befundübermittlung an die Krankenkasse und das Screening von Risikopatienten. Dieses Screening kann beispielsweise mit Hilfe von Algorithmen anhand der bei den Krankenkassen zur Verfügung stehenden Patientendaten durchgeführt werden, um Risikopatienten frühzeitig zu identifizieren und sie der entsprechenden Therapie zuzuführen.
Apotheken dürfen das antiviral wirkende Covid-19-Medikament Paxlovid® unbegrenzt bevorraten. Das regelt eine Allgemeinverfügung, die seit 29. Juni in Kraft ist. Hintergrund ist der Wunsch des Bundesgesundheitsministeriums, diesen Wirkstoff verstärkt einzusetzen.
Die PZ-Redaktion hat zu den Eigenschaften und Besonderheiten der Paxlovid-Behandlung einen Podcast erstellt. Hier kommen Sie direkt zu der Podcast-Folge.
Das Virus SARS-CoV-2 hat unsere Welt verändert. Seit Ende 2019 verbreitet sich der Erreger von Covid-19 und stellt die Wissenschaft vor enorme Herausforderungen. Sie hat sie angenommen und rasch Tests und Impfungen, auch für Kinder, entwickelt. Eine Übersicht über unsere Berichterstattung finden Sie auf der Themenseite Coronavirus.