Experten halten Cannabis-Verbotspolitik für gescheitert |
Der Görlitzer Park in Berlin ist berüchtigt für seinen Drogen-Schwarzmarkt, häufig führt die Polizei hier Razzien durch. Für die Strafverfolgung von Cannabis-Delikten würden enorme Summen ausgegeben werden, so Fachleute. Die große Mehrheit der Verfahren betreffe aber Menschen, die geringe Mengen zum Eigenbedarf mit sich führen. / Foto: picture alliance / Global Travel Images
Es sind nur noch weniger als 100 Tage bis zur Bundestagswahl. Am 26. September wird ein neues Parlament in Berlin gewählt, dass Gesetze für ganz Deutschland erarbeitet und verabschiedet. In den letzten Wochen und Monaten haben alle Parteien, die derzeit im Bundestag vertreten sind, ein aktuelles Wahlprogramm erarbeitet. Erst am heutigen Montag hat die CDU/CSU ihr Programm vorgestellt, am Wochenende hat die Linke im Rahmen eines Parteitags auch über ihr Programm abgestimmt. Die Veröffentlichung steht noch aus.
Dabei ist festzuhalten, dass fast alle Parteien, außer CDU/CSU und AfD eine Legalisierung oder zumindest eine Entkriminalisierung von Cannabis befürworten. Mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit könnten hier demnach neue Wege in der Drogenpolitik ab kommendem Herbst eingeschlagen werden. Da ist sich auch Sozialwissenschaftler Professor Heino Stöver von der Frankfurt University of Applied Sciences sicher. Das Thema Cannabis sei etwas für die nächste Legislaturperiode, sagte er am heutigen Montag im Gesundheitsausschuss des Bundestags. »Alle Fraktionen außer CDU/CSU und AfD haben Veränderungsbereitschaft signalisiert«, so Stöver.
Im Rahmen einer Sachverständigenanhörung zum Thema »Kontrollierte Abgabe von Cannabis als Genussmittel« beantworteten Expertinnen und Experten Fragen von Abgeordneten des Bundestags. Anlass war ein Antrag der FDP-Fraktion, über den die PZ bereits im März berichtet hatte. Dabei waren sich einige Fachleute einig, die derzeitige Verbotspolitik bringe keinen Nutzen mit sich, beziehungsweise sei sogar schädigend.
Die derzeitige Politik der Strafverfolgung könne etwa zu rechtlichen, sozialen und auch gesundheitlichen Schäden aufgrund des Konsums von gestreckten Stoffen führen, so Stöver. Die große Mehrheit der erfassten Rauschgiftdelikte träfe Menschen, die geringe Mengen zum Eigenbedarf mit sich führen, so der Wissenschaftler. Dem stimmte auch Peter Raiser von der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen (DHS) zu. Er fordert eine Möglichkeit, Modellprojekte durchzuführen, um eine Alternative zur Verbotspolitik erörtern zu können. Auch Professorin Kirsten Müller-Vahl von der medizinischen Hochschule Hannover hält es für eine kluge Idee, einen neuen Weg zu beschreiten, über den Cannabis reguliert und kontrolliert abgegeben werden könnte.
Allerdings gab es auch warnende Stimmen vor allem beim Thema Jugendschutz. Erik Bodendieck von der Bundesärztekammer gab zu bedenken, dass Cannabis-Konsum bei Jugendlichen zu enormen Langzeitschäden führen würde. Professor Derik Hermann vom Therapieverbund Ludwigsmühle betonte aber auch, dass die gesundheitlichen Schäden durch Alkohol und Tabak sehr viel größer seien als die von Cannabis.
Zur Frage, wer Cannabis zu Genusszwecken abgeben sollte, erklärten Raiser aber auch Müller-Vahl, dass sich hier vor allem lizensierte Fachgeschäfte eignen würden, die über eine entsprechende Expertise im Bereich Suchtprävention und Aufklärung verfügen müssten. Apotheken würden sich eher weniger eignen, da sich viele Apotheker dem Thema Cannabis zu medizinischen Zwecken derzeit nicht widmen würden, so Müller-Vahl. Damit meint sie, dass Apotheken sich mit der Abgabe von Cannabis zu Genusszwecken vermutlich auch nicht mehr beschäftigen würden. Auch Raiser ist es wichtiger, dass es ein gutes Lizensierungsverfahren mit Auflagen geben würde, anstatt die Abgabe allen Apotheken zu erlauben. Nachgefragt bei der ABDA, erklärte Martin Schulz, Geschäftsführer Arzneimittel und Vorsitzender der Arzneimittelkommission der Deutschen Apotheker (AMK), dass Apotheken natürlich in der Lage seien, Cannabis abzugeben. Dies gelte sowohl für Medizinalhanf als auch für Cannabis zu Genusszwecken. Allerdings sei es eine ganz andere Frage, ob sie das auch wollen und ob das sinnvoll sei, betonte Schulz knapp. Apotheken würden sich aber nicht vor der Aufgabe verschließen, wenn sie für die kontrollierte Abgabe vorgesehen werden würden.
Zudem diskutierten Politiker und Sachverständige über eine mögliche Besteuerung von Cannabis. Die FDP schlägt in ihrem Antrag vor, dass hierfür 10 Euro pro 100 mg enthaltenem THC fällig werden sollte. Dies sei aber zu hoch, erklärten Professor Justus Haucap vom Düsseldorf Institute for Competition Economics (DICE) sowie Professor Hermann. Denn wenn die Steuer zu hoch angesetzt sei, würde das legale Cannabis keine ernstzunehmende Alternative zum Hanf vom Schwarzmarkt bilden. Haucap schlägt deswegen vor, über eine »Mischung aus mengen-orientierter und THC-gehalt-orientierter Besteuerung« nachzudenken. 2 Euro pro Gramm Cannabis/Haschisch plus 1,5 Euro pro 100 mg THC dürfte zu wettbewerbssicheren Preisen führen, so Haucap. Dies könnte anfangs sogar auf 1 Euro pro Gramm reduziert werden. Bei einem hohen CBD-Gehalt könnte die Steuer auf Cannabis auch leicht abgesenkt werden, schlug Hermann vor.
Der FDP-Bundestagsabgeordnete Wieland Schinnenburg, der federführend den Antrag im Bundestag eingereicht hatte, erklärte nach der Anhörung gegenüber der PZ: »Eine kontrollierte Abgabe von Cannabis an Erwachsene ist überfällig. Ich fordere die Unionsfraktion und Gesundheitsminister Spahn auf, endlich von ihrer Cannabis-Verhinderungspolitik abzurücken. Ein Schwarzmarkt-Dealer kennt keinen Jugend- und Gesundheitsschutz, mit einer kontrollierten Abgabe an Erwachsene könnte etwas gegen den Schwarzmarkt und für den Gesundheits- und Jugendschutz getan werden.«
Alle vier Jahre wird in Deutschland ein neuer Bundestag gewählt. Wir berichten mit Blick auf die Gesundheitspolitik und die Auswirkungen für die Apotheken.