EuGH: Generalanwalt winkt Rabattaktionen durch |
Cornelia Dölger |
24.10.2024 16:20 Uhr |
Der Generalanwalt am EuGH hat zu Rabattaktionen von Doc Morris Stellung bezogen. / © IMAGO/imagebroker
Ein Schlussantrag ist kein Urteil, aber er gibt einen Fingerzeig, in welche Richtung das Gericht entscheiden könnte. Heute hat Marciej Spuznar, Generalanwalt am Europäischen Gerichtshof (EuGH), seine Schlussanträge in dem Vorabentscheidungsverfahren des Bundesgerichtshofs (BGH) in der Rechtssache Apothekerkammer Nordrhein gegen Doc Morris vorgelegt. Der Generalanwalt wertet Rabattaktionen des Versenders nicht als Werbung für Arzneimittel, die der Arzneimittelrichtlinie 2001/83 , also dem EU-Arzneimittelkodex, entgegenstehen würde.
Ein entsprechendes Urteil würde sich auf die Schadenersatzklage des Versenders auswirken, der Ansprüche in Millionenhöhe gegen die Kammer geltend macht, weil diese ihm in der Vergangenheit wiederholt solche Rabattaktionen für Rx-Arzneimittel gerichtlich hatte verbieten lassen. Aus den Verbotsverfügungen sei ihm immenser wirtschaftlicher Schaden entstanden, so der Versender. Die Rede ist von inzwischen mehr als 18 Millionen Euro, die die Kammer zahlen soll.
Bereits zu Beginn der Schlussvorträge, die der PZ vorliegen, betonte Spuznar, er werde im Folgenden darlegen, »dass Rabattaktionen wie die hier in Rede stehenden keine Werbung im Sinne von Art. 86 Abs. 1 der Richtlinie 2001/83 darstellen, da sie beim Erwerb von verschreibungspflichtigen Arzneimitteln durchgeführt werden«.
Er sehe nicht, wie die Praktiken des Versenders »zu einem Missbrauch beim Verbrauch von Arzneimitteln führen könnten«. Dass die Apothekerkammer Nordrhein in der mündlichen Verhandlung im Juni geäußert hatte, dass Patienten Ärzte dazu verleiten könnten, ihnen bestimmte Produkte oder größere Mengen bestimmter Produkte zu verschreiben, »kehrt nicht nur die Standardannahmen um, die allen in Frage stehenden Unions- und nationalen Rechtsvorschriften zugrunde liegen (Ärzte als Experten verschreiben, wobei die Patienten buchstäblich auf der Empfängerseite stehen), sondern versucht auch, ein schlechtes Licht auf andere zu werfen«.
Als Ergebnis formuliert er: »Das vorrangige Ziel der Rabattaktionen ist es, die Patienten dazu zu bewegen, sich für die Apotheke Doc Morris und nicht für eine andere Apotheke zu entscheiden. Sie sollen die Patienten nicht dazu verleiten, mehr Arzneimittel zu verbrauchen, als sie es sonst tun würden.« Vielmehr versuche der Versender, auf dem deutschen Markt Fuß zu fassen, indem er einen stabilen Strom von Bestellungen generiere.
Es sei »nur natürlich, dass eine Apotheke versucht, ihr Geschäft zu fördern, und nicht etwa, ihre Kunden zum Verbrauch von Arzneimitteln zu animieren«. Die Richtlinie 2001/83 regele im Prinzip nur den letztgenannten Aspekt.
Der BGH hatte dem EuGH im Sommer 2023 drei zentrale Fragen zur Arzneimittelwerbung vorgelegt. Der BGH wollte vom EuGH grundsätzlich wissen, ob die sortimentsweite Werbung einer Apotheke für Rx-Arzneimittel den EU-Arzneimittelwerbevorschriften unterliegt.
Ferner wollte er wissen, wie § 7 Absatz 1 HWG auszulegen ist. Die HWG-Norm untersagt Werbung im Zusammenhang mit Arzneimitteln in Deutschland, beinhaltet aber etliche Ausnahmen. Zu klären sei, ob sich auf Grundlage dieser Vorgaben Gutscheine für den späteren Einkauf einerseits und unmittelbar wirkende Rabatte andererseits vom nationalen Gesetzgeber verbieten lassen.
Drittens sollte geklärt werden, ob ausländischen Versandapotheken im Falle solcher Vorgaben durch das EU-Recht die Werbung mit Gutscheinen oder Rabatten für rezeptpflichtige Medikamente untersagt werden darf. Es ging dabei also nicht mehr um die Frage, ob Doc Morris Preisnachlässe gewähren darf, sondern ob er für diese Preisnachlässe werben darf. Diesen Aspekt hatte der EuGH in seinem folgenschweren Urteil zur Rx-Preisbindung für EU-Versender im Jahr 2016 nicht beachtet.
Den BGH-Fragen und somit auch Spuznars heutigen Ausführungen zugrunde lagen andere Rechtsprechungen. Mit Bezug auf ein EuGH-Urteil zu Euroaptieka, einem Fall, in dem die lettische Apothekenkette Euroaptieka einen »Aktionsverkauf« beworben hatte, führte Spuznar aus, »dass der Begriff der Werbung für Arzneimittel nach der Richtlinie 2001/83 nicht auf die Werbung für einzelne Arzneimittel beschränkt ist«.
Vielmehr umfasse dieser Begriff auch Situationen, bei denen Informationen über unbestimmte Arzneimittel gegeben würden. Anders ausgedrückt: Auch sortimentsweite Rabattwerbung für Rx-Arzneimittel kann unter den Werbebegriff des Gemeinschaftskodex fallen und wäre nach EU-Recht somit verboten.
In der vorliegenden Rechtssache bezögen sich die Informationen auf alle verschreibungspflichtigen Arzneimittel aus dem gesamten Sortiment einer Apotheke, was also der Anwendung dieser Richtlinie als solcher nicht entgegenstehe.
Zu prüfen sei allerdings, ob die sortimentsweite Werbung arzneimittel- oder apothekenbezogen sei. Im Fall Euroaptieka habe es sich um klare arzneimittelbezogene Werbung gehandelt; Euroaptieka wollte, dass die Kunden durch die Rabattaktion mehr (beliebige) Arzneimittel kaufen.
Anders lagen die Dinge demnach bei einem Werbegewinnspiel von Doc Morris, zu dem der EuGH 2021 geurteilt hatte. Die Aktion war demnach klar apothekenbezogen – und fiel somit nicht unter die Vorgaben der EU-Richtlinie.
Die von Doc Morris mit den Geschäftspraktiken vermittelte Botschaft ziele darauf ab, den Patienten zu veranlassen, sich für die Apotheke von Doc Morris (und keine andere) zu entscheiden. »Indem die Botschaft lautet ›Kommen Sie zu uns‹ und nicht ›Kaufen Sie diese (bestimmten oder unbestimmten) Arzneimittel‹, fokussiert sich Doc Morris auf den Verkauf an den Patienten und nicht auf den Verkauf von (bestimmten oder unbestimmten) Arzneimitteln«, unterstrich Spuznar.
So hatte es Doc Morris bereits bei der mündlichen Verhandlung im Juni gesehen. Die Brüsseler Rechtsanwältin Anne Robert von der internationalen Großkanzlei Sidley unterstrich damals, dass die Werbung allein auf Kundenakquise abziele und nicht auf zusätzlichen Verkauf von Arzneimitteln. Die Heilmittelwerberichtlinie sei mithin nicht auf die Werbung anwendbar, da die Werbung des Versenders rein apotheken- und nicht arzneimittelbezogen sei.
Die Gegenseite hatte argumentiert, dass die Werbung klar gegen § 7 Absatz 1 des Heilmittelwerbegesetzes (HWG) verstoße. Anwalt Morton Douglas betonte damals die bisherige strikte Linie des EuGH bei der Auslegung von Werbevorschriften im Arzneimittelrecht. Zudem unterstrich er den Charakter des Arzneimittels als Ware besonderer Art. »Geld verdienen auf Rezept« sei aus guten Gründen unerwünscht, so der Jurist.
Spuznar bilanzierte heute, er werde dem Gerichtshof vorschlagen, die Richtlinie dahingehend auszulegen, »dass Rabattaktionen einer Apotheke, bei denen den Kunden beim Erwerb von verschreibungspflichtigen Arzneimitteln ein Vorteil in Form eines sofortigen Barrabatts, eines Gutscheins über eines bestimmten Geldbetrags oder einer prozentualen Ermäßigung für den nachfolgenden Erwerb weiterer Produkte (nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel oder nicht verschreibungspflichtige Gesundheits- oder Schönheitsprodukte) angeboten wird, keine ›Werbung für Arzneimittel‹ im Sinne dieser Vorschrift darstellen«.
Douglas kommentierte heute: »Die pauschale Beurteilung der unterschiedlichen Werbemaßnahmen und deren Wirkung auf mögliche Folgeeinkäufe von Arzneimitteln, die in der mündlichen Verhandlung durchaus diskutiert wurde, findet sich im Schlussantrag nicht wieder.«
Bettina Mecking, Justiziarin und Geschäftsführerin der Apothekerkammer Nordrhein, ergänzte: »Sollte der Gerichtshof den Schlussanträgen folgen, so würde das Ziel des europäischen Rechts der Schaffung eines hohen Gesundheitsschutzniveaus, das durch die jüngsten Entscheidungen zu nicht verschreibungspflichtigen Arzneimittel geschaffen wurde, im Bereich der verschreibungspflichtigen Arzneimittel geopfert werden, obgleich nicht erkennbar ist, dass der Verbraucher in Zusammenhang mit Blick auf die unsachliche Beeinflussung weniger schutzwürdig ist.«
Außer Acht ließ der Generalanwalt demnach auch den besonderen Charakter der Arzneimittel und die Beratung durch den Apotheker, so Douglas weiter. Diese sei auch und gerade bei verschreibungspflichtigen Arzneimitteln relevant für den Gesundheitsschutz. »Das alleinige Abstellen auf die Verschreibung zur Gewährleistung des Gesundheitsschutzes zeugt von einem zu kurzen Verständnis der Arzneimittelversorgung und negiert die Bedeutung des Berufs des Apothekers.«
Die Wurzel des Streits liegt inzwischen fast auf den Tag genau acht Jahre zurück. Am 19. Oktober 2016 hob der EuGH die deutsche Rx-Preisbindung für EU-Versender, die nach Deutschland liefern, auf. Der Richterspruch erschütterte damals die Apothekenlandschaft – und hat Folgen bis in die Gegenwart, wie heute einmal mehr klar wurde.
Bis zum EuGH-Urteil 2016 schien die rechtliche Grundlage für ein Vorgehen gegen die Bonuspolitik der Versender solide, denn auch diese hatten sich damals an die deutsche Preisbindung zu halten. Weil Doc Morris damals dennoch mehrfach Rx-Rabattaktionen anbot, klagte die Kammer Nordrhein seit 2013 erfolgreich. In mehreren Einstweiligen Verfügungen wurde Doc Morris verboten, Rx-Boni zu gewähren oder andere vergleichbare Werbemaßnahmen durchzuführen.
Doch nach dem 19. Oktober 2016 waren die Vorzeichen auf einmal ganz andere und Doc Morris sah seine Chance gekommen. Weil ihm durch die Verbotsverfügungen besagter wirtschaftlicher Schaden entstanden sei, ging der Versender umgehend zum Gegenangriff über und verklagte die Kammer auf Schadenersatz.
Schließlich seien die Verbotsverfügungen von Anfang an ungerechtfertigt gewesen. Der EuGH hatte in der Sache »Deutsche Parkinson Vereinigung« (EuGH, GRUR 2016, 1312) entschieden, dass die im Arzneimittelgesetz (AMG) vorgesehene Rx-Preisbindung gegen die Warenverkehrsfreiheit (Art. 34 AEUV) verstoße.
Mit dem Vorstoß hatte der Versender zunächst keinen Erfolg: Das Landgericht Düsseldorf wies die Klage 2019 in erster Instanz ab. Anders bewertete dann aber das Oberlandesgericht (OLG) Düsseldorf den Sachverhalt. Im März 2022 gab es den Schadenersatzforderungen grundsätzlich statt, äußerte sich aber nicht zur Höhe.
Die Kammer Nordrhein reagierte darauf mit dem Gang zum Bundesgerichtshof (BGH). Dieser entschied aber nicht, sondern legte dem EuGH im vergangenen Sommer besagte Fragen zum Vorabentscheid vor. Nach den Schlussanträgen des Generalanwalts steht nun Entscheidung des EuGH an. Über eine etwaige Schadenersatzforderung müsste der BGH entscheiden.