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Deutsche Schieflage

Erstmals Leitlinie zum Kaiserschnitt veröffentlicht

Eine Geburt ohne Risiko gibt es nicht

Eine vaginale Entbindung hat nach vielen Studien jedoch weniger Komplikationen für die Mutter. Das Risiko für das Kind gilt (obwohl vergleichsweise höher als beim geplanten Kaiserschnitt) in absoluten Zahlen als sehr niedrig. Bei vaginaler Geburt ist aber laut Studien das Risiko für Inkontinenz und Beckenbodenprobleme für die Mutter höher als bei einer Sectio. Ein Kaiserschnitt dagegen kann ein erhöhtes Risiko für Unfruchtbarkeit und Komplikationen bei weiteren Schwangerschaften bergen.

Auffällig: Die höchsten Raten produzierten oft kleinere Häuser, aber keine einzige Klinik mit über 1000 Geburten im Jahr. Van de Vondel vermisst in der Leitlinie deshalb eine Forderung nach mehr Zentralisierung – für eine bessere Bündelung von Erfahrung.

Starke regionale Unterschiede

Wie in Deutschland entbunden wird, hängt auch vom Wohnort ab. Die Raten unterscheiden sich zwischen den Bundesländern erheblich. Im Osten kommen nach einer Analyse des Science Media Centers deutlich weniger Kinder per Kaiserschnitt zur Welt. Die niedrigste Rate hatte zuletzt Sachsen mit 24 Prozent, die höchste das Saarland mit 40 Prozent. Ein Check des Centers auf Basis von Qualitätsberichten der Krankenhäuser für 2018 ergab, dass auf Bundesebene gut jede Zehnte der insgesamt 686 Geburtskliniken weit über dem Toleranzbereich für Kaiserschnittraten liegt. Die Quoten schwankten demnach zwischen 10,4 und 66,7 Prozent.

Zudem scheint der fehlende Kontakt des Kindes mit der mütterlichen Scheidenflora die spätere Gesundheit des Kindes zu beeinträchtigen, etwa mit Blick auf Allergien und Übergewicht. Für viele Ärzte gilt es als ungewiss, wie sehr Kaiserschnitte mit gesundheitlichen Langzeitrisiken verbunden sind. Sie sehen die heutige «Sectio-Epidemie» auch als Art medizinisches Großexperiment.

Problem Personalmangel

Schätzungen zufolge wünschen sich 10 Prozent der Frauen in Deutschland ohne triftigen Grund eine Sectio, etwa aus Angst vor Wehen und Beckenbodenschäden, Sorge um das Baby und wegen besserer Planbarkeit. Überzeugungsarbeit für eine vaginale Geburt kostet Zeit, die in vielen Kliniken wohl kaum jemand hat. Auch das Abrechnungssystem der Krankenkassen unterstützt psychologisch gut ausgebildetes Personal Kritikern zufolge nicht genug. In vielen deutschen Kliniken fehlen zudem Hebammen.

Kaiserschnitte sind für Kliniken besser zu planen, können zügiger abgewickelt werden und binden weniger Personal. Und sie werden als Operation deutlich besser vergütet als eine vaginale Geburt. In der Medizin gilt die Geburtshilfe überdies als Hochrisiko-Bereich. Ärzte werden eher wegen Komplikationen bei einer vaginalen Geburt verklagt als wegen eines überflüssigen Kaiserschnitts. Die Angst, den natürlichen Geburtsvorgang nicht zu beherrschen, ist Geburtshelfern zufolge im Klinikalltag ein wichtiger Grund für einen Kaiserschnitt. Deshalb nennen Ärzte als Voraussetzung für weniger Kaiserschnitte eine hervorragende Ausbildung und Erfahrung mit vaginalen Geburten.

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