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Deutsche Schieflage

Erstmals Leitlinie zum Kaiserschnitt veröffentlicht

Kaiserschnitt ja oder nein? In Deutschland will eine erste Leitlinie der medizinischen Fachgesellschaften Ärzten und werdenden Eltern mehr Hilfe bei dieser Entscheidung bieten. Denn nur bei 10 Prozent der Geburten gilt die Operation als wirklich nötig.
dpa
15.06.2020  09:00 Uhr
Erstmals Leitlinie zum Kaiserschnitt veröffentlicht

In Deutschland hat sich die Kaiserschnittrate laut Statistischem Bundesamt bei fast 30 Prozent eingependelt: Das waren 2018 rund 220.500 Schnitte in Bauchdecken und Gebärmuttern von Frauen. Seit Anfang der 1990er-Jahre hat sich die Quote verdoppelt. Ist das sinnvoll?

Einen Grenzwert wolle die neue Leitlinie auch auf Grund fehlender Daten nicht vorgeben, betonen die Mitautoren der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (DGGG). Es dürfe aber als gesichert gelten, dass eine Sectiorate über 15 Prozent keinen größeren Gesundheitsgewinn bringe – weder für Mutter noch für Kind. Deshalb sollten Kaiserschnitte medizinisch gut begründet sein. Die Leitlinie mit vielen Studienergebnissen ist in der Langfassung ein Buch von mehr als 130 Seiten. Es fasst den Wissensstand zusammen und erhebt nicht den Anspruch, auf jede Frage eindeutige Antworten zu haben. Denn Vor- und Nachteile bei vaginaler Geburt und Kaiserschnitt sind kein Schwarz-Weiß-Puzzle. Manches ist nicht genügend erforscht.

Als unstrittig gilt laut Leitlinie, dass ein quer liegendes Baby, ein drohendes Reißen der Gebärmutter, eine falsche Position des Mutterkuchens oder seine vorzeitige Ablösung Indikatoren für einen Kaiserschnitt sind. Bei allen anderen Schnittentbindungen – immerhin rund 90 Prozent – sei dagegen eine Abwägung der Risiken für Mutter und Kind geboten. Die Leitlinie setze sich auch mit Alternativen zu Kaiserschnitten auseinander, sagt Koordinator Frank Louwen vom Universitätsklinikum in Frankfurt am Main.

An sachlicher Information und Beratung scheint es manchmal zu fehlen. «Bisher wurde hauptsächlich nach «Expertenmeinung» beraten und gehandelt, wobei häufig jeder sein eigener Experte ist», erklärt Patricia Van de Vondel von der Frauenklinik im Kölner Krankenhaus Porz am Rhein. Ursachen für die hohe deutsche Sectio-Rate lägen auch an Fehlern im System: an mangelnder Ausbildung, fragwürdiger Organisation, Vergütung und fehlendem Personal.

Die Einstellungen, was bei Kaiserschnitten zu viel ist, sind aber manchmal schon in einem Krankenhaus geteilt, wie das Beispiel der Uniklinik Leipzig zeigt: «Ich finde die Kaiserschnitt-Rate in Deutschland vertretbar, weil niemand weiß, was die «richtige» Kaiserschnittrate ist», sagt Holger Stepan, Direktor der Klinik für Geburtsmedizin. Die Rate sei deutlich höher als sie sein sollte, urteilt dagegen Ulrich Thome, Leiter der Neugeborenen-Abteilung. Für Frauen sei ein Kaiserschnitt eine schwere Verletzung. Es gebe sicher eine Reihe von Stellschrauben, um die hohe Quote zu senken.

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