Erster Antikörper bei hereditärem Angioödem |
Bei der seltenen Erkrankung hereditäres Angioödem kommt es zu unberechenbaren Schwellungen in verschiedenen Körperregionen. / Foto: Adobe Stock/JRP Studio
Das HAE ist eine seltene genetische Erkrankung, von der weltweit schätzungsweise 1 von 10 000 bis 50 000 Menschen betroffen ist. Die Erkrankung führt zu wiederholten Ödem-Attacken (Schwellungen) in verschiedenen Körperregionen, die im Gesicht, an den Extremitäten oder Genitalien stark beeinträchtigend sind und im Magen-Darm-Trakt sehr schmerzhaft sein können. Ödeme der Atemwege können zum Ersticken führen. Die Schwellungen folgen keinem typischen Muster und es lässt sich nicht vorhersagen, wann und an welcher Körperstelle die nächste Attacke auftreten wird. Sie entwickeln sich in der Regel langsam über einen Zeitraum von 12 bis 36 Stunden und klingen über einen Zeitraum von 2 bis 5 Tagen wieder ab. Vor allem die Unberechenbarkeit ist neben den gesundheitlichen Gefahren eine große Belastung für die Betroffenen.
Ursache des HAE ist ein angeborener Mangel oder eine Funktionsstörung des C1-Inhibitors (C1-INH), eines wichtigen Regulators des Kallikrein-Kinin-Systems. Die Folge ist eine fehlende Kontrolle dieses Systems, was zu einer permanenten vermehrten Bildung des Peptidhormons Bradykinin führt. Dieses vermittelt durch Vasodilatation und erhöhte Kapillarpermeabilität die Ödembildung.
Bislang gibt es zur Behandlung des HAE zwei Therapieoptionen. Zum einen sind das C1-Inhibitor-Konzentrate, die intravenös oder subkutan verabreicht die mangelnde Konzentration und/oder die Aktivität des physiologischen C1-INH kompensieren. Dadurch wird unter anderem die Plasma-Kallikrein-Aktivität reduziert und in der Folge weniger Bradykinin gebildet. Das kann die Entstehung von HAE-Attacken verhindern oder ihre Dauer und Stärke verringern. Zum anderen kommt – allerdings nicht zur Prophylaxe, sondern nur als Bedarfsmedikation – der subkutan zu applizierende Bradykinin-B2-Rezeptorantagonist Icatibant zum Einsatz. Er verhindert, dass das überschüssig gebildete Bradykinin an seinen Rezeptor bindet und in der Folge Flüssigkeit in das umliegende Gewebe austritt. Icatibant verringert Dauer und Stärke der HAE-Attacken.
Lanadelumab ist ein rekombinanter, vollständig humaner monoklonaler Antikörper, der spezifisch das Plasma-Kallikrein bindet und hemmt. Dadurch können der Bradykinin-Spiegel normalisiert und das Entstehen von HAE-Attacken verhindert werden.
Der Antikörper Lanadelumab bindet spezifisch das Plasma-Kallikrein. In der Folge wird weniger Bradykinin gebildet und das Entstehen der Attacken verhindert. / Foto: Stephan Spitzer
Die empfohlene Anfangsdosis beträgt 300 mg Lanadelumab subkutan alle zwei Wochen. Bei Patienten, die unter einer Behandlung frei von Attacken sind, kann eine Dosisreduzierung auf 300 mg Lanadelumab alle vier Wochen in Erwägung gezogen werden, insbesondere bei Patienten mit geringem Körpergewicht. Jede Durchstechflasche ist nur für den einmaligen Gebrauch vorgesehen. Die Injektion ist auf die empfohlenen Injektionsstellen zu beschränken: das Abdomen, die Oberschenkel und die äußeren Oberarme. Es wird empfohlen, die Injektionsstellen turnusmäßig zu wechseln.
Takhzyro ist nicht zur Behandlung akuter HAE-Attacken vorgesehen. Tritt unter der Behandlung eine Durchbruchsattacke auf, ist eine individuell auf den Patienten abgestimmte Behandlung mit einer zugelassenen Bedarfsmedikation einzuleiten.
Aus Vorsichtsgründen soll der neue Antikörper während der Schwangerschaft nicht angewendet werden. Es ist nicht bekannt, ob Lanadelumab in die Muttermilch übergeht. Da humane IgG erwiesenermaßen während der der ersten Tage nach der Geburt in die Muttermilch übergehen, kann für diesen Zeitraum unter einer Therapie mit Takhzyro ein Risiko für das gestillte Kind nicht ausgeschlossen werden. Anschließend könnte der Antikörper während der Stillzeit angewendet werden, sofern eine klinische Notwendigkeit besteht.
Die Zulassung basiert auf der Phase-III-Studie HELP an 125 Patienten ab zwölf Jahren. Die Probanden erhielten randomisiert entweder Lanadelumab 300 mg alle zwei Wochen, 300 mg alle vier Wochen, 150 mg alle vier Wochen oder Placebo. Die Studiendauer betrug 26 Wochen (Tag 0 bis Tag 182). Als primärer Endpunkt war die Anzahl der vom Prüfarzt bestätigten HAE-Attacken während der Behandlungsphase definiert.
Alle Takhzyro-Behandlungsarme erreichten verglichen mit Placebo eine signifikante Reduktion der mittleren Rate der HAE-Attacken: Sie betrug unter 300 mg alle zwei Wochen 87 Prozent, unter 300 mg alle vier Wochen 73 Prozent und unter 150 mg alle vier Wochen 76 Prozent.
Mit der jetzt zugelassenen Dosierung von 300 mg alle zwei Wochen traten 83 Prozent weniger moderate bis schwere Attacken auf und 87 Prozent weniger Attacken erforderten eine Bedarfstherapie. In dieser Gruppe waren 44 Prozent der Patienten über die Studiendauer attackenfrei gegenüber 2 Prozent in der Placebogruppe. In der der Steady-State-Phase (Tag 70 bis Tag 182) waren fast acht von zehn Patienten (77 Prozent) attackenfrei gegenüber 3 Prozent mit Placebo. Auch die Lebensqualität, die mithilfe eines in dieser Indikation etablierten Fragebogens (Angioedema Quality of Life Questionnaire) erfasst wurde, verbesserte sich im Vergleich zu Placebo signifikant.
Als häufigste Nebenwirkung traten in allen Studienarmen Reaktionen an der Injektionsstelle wie Erytheme und blaue Flecken auf, die in der Regel mild und vorübergehend waren. Zudem wurden Überempfindlichkeitsreaktionen wie Juckreiz, Unbehagen oder Kribbeln auf der Zunge beobachtet.
Sven Siebenand, stellvertretender Chefredaktuer / Die Behandlungsoptionen beim hereditären Angioödem (HAE) haben sich in den vergangenen Jahren peu à peu verbessert. Mit Lanadelumab geht es wieder ein Stück voran. Der Antikörper, der spezifisch Plasma-Kallikrein bindet und hemmt, kann aufgrund dieses neuen Ansatzes vorläufig als Schrittinnovation bezeichnet werden. Durch Lanadelumab können der Bradykinin-Spiegel normalisiert und die Entstehung von HAE-Attacken verhindert werden. Von Vorteil ist, dass der Antikörper im Gegensatz zu den bisher verfügbaren Prophylaxe-Optionen aufgrund seiner langen Halbwertszeit nur im Zweiwochen-Rhythmus subkutan appliziert werden muss.
Die Ergebnisse der Zulassungsstudie sind vielversprechend. Mit Lanadelumab 300 mg subkutan alle zwei Wochen waren in der Steady-State-Behandlungsphase mehr als drei Viertel der Patienten frei von Attacken. Leider handelt es sich bei der Studie um eine placebokontrollierte. Es wäre interessant zu wissen, wie der Antikörper im direkten Vergleich mit intravenös oder subkutan gegebenen C1-INH-Konzentraten abschneidet. Auch diese kommen zur Prophylaxe von HAE-Attacken zum Einsatz.