Einsatz von Cytotec in der Geburtshilfe in der Kritik |
Wird bei Schwangeren die Geburt medikamentös eingeleitet, wird als Vorsichtsmaßnahme immer wieder ein CTG geschrieben. / Foto: Adobe Stock/Zaiets Roman
Medienberichten zufolge verwendet laut einer bisher unveröffentlichten Umfrage der Universität Lübeck rund die Hälfte der deutschen Kliniken das Misoprostol (Cytotec®), um eine Geburt einzuleiten. Als synthetisch hergestelltes Derivat des natürlich vorkommenden Gewebehormons Prostaglandin E1 wirkt wehenfördernd, ist in Deutschland jedoch nicht zur Geburtseinleitung zugelassen. Zugelassen ist Cytotec als säurehemmendes Medikament, da Prostaglandine die Säurebildung im Magen herabsetzen.
Es könne in Einzelfällen zu schweren Komplikationen bei Mutter und Kind führen – bis hin zum Tod von Babys, berichten die «Süddeutsche Zeitung» und der Bayerische Rundfunk. In Einzelfällen seien nach der Gabe schwere Gehirnschäden wegen einer Sauerstoffunterversorgung des Kindes aufgetreten. In seltenen Fällen sei die Gebärmutter der Frauen gerissen. Mehrere Babys in Deutschland und Frankreich seien laut Gutachten, Fallberichten und Gerichtsurteilen gestorben.
Die Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (DGGG) bestätigte der Deutschen Presse-Agentur, dass Risiken bekannt seien, wenn das Medikament außerhalb des durch die Arzneimittelbehörden zugelassenen Gebrauchs verordnet werde. Die Anwendung werde aber unter anderem von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) weiter empfohlen. Im Rahmen ihrer Therapiefreiheit können Ärzte die sechseckige Tablette auch als Wehenauslöser einsetzen, wenn ihnen dies angemessen erscheint und eine Schwangere vorher umfassend aufgeklärt wurde und zugestimmt hat. Neben der Geburtseinleitung wird Misoprostol ebenfalls off Label zum Schwangerschaftsabbruch eingesetzt.
Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) bevorzuge eindeutig den Einsatz von zugelassenen Arzneimitteln gemäß der jeweiligen Zulassungsbedingungen, sagte Sprecher Maik Pommer der Deutschen Presse-Agentur. Denn dafür lägen Daten zur Wirksamkeit und Verträglichkeit vor. Bei anderen Anwendungen sei das häufig nicht der Fall. Die Behörde kann den Einsatz des Mittels in der Geburtsmedizin wegen der Therapiefreiheit der Ärzte aber nicht verbieten.
Neu sind die Zweifel an Cytotec nicht. Auf europäischer Ebene wurde unter Beteiligung des BfArM eine Aktualisierung der Fachinformationen empfohlen. Während eines Bewertungsverfahrens wurde mehrfach über einen Gebärmutterriss berichtet, der in allen Fällen bei Anwendungen außerhalb der Zulassung auftrat.
Laut «Süddeutscher Zeitung» und dem Bayerischem Rundfunk warnt die US-Arzneimittelbehörde FDA seit Jahren vor der Verwendung der Tabletten zur Einleitung der Wehen, weil es zu Todesfällen kam. Dem BfArM lagen bis Ende Oktober 2019 insgesamt 74 Verdachtsmeldungen unerwünschter Arzneimittelwirkungen in Zusammenhang mit Cytotec bei der Geburtseinleitung vor, sagte Pommer. Darunter sei ein Todesfall: Ein Neugeborenes sei vier Tage nach der Geburt durch eine Lungenblutung gestorben. Die Mutter hatte Cytotec und ein weiteres Präparat (Misodel®) zur Geburtseinleitung erhalten.