Eine Kulturgeschichte des Bluts |
Jennifer Evans |
06.02.2020 13:00 Uhr |
Bei den Griechen und Römern war das verwandtschaftliche Blut nicht so zentral, ein Vater-Sohn-Verhältnis hatte auch eine starke geistige Komponente. Das Christentum wiederum entwickelte eine eigene Logik des Bluts auf Grundlage der Theologie. Laut von Braun lässt sich aus der Vorstellung, dass Christus eine göttliche und eine menschliche Natur hat, also sakrales und weltliches Blut in sich vereint, das Königtum ableiten.
Der König vererbte stets das sakrale Blut an seine Nachfolger, woraus allmählich das Prinzip des Adels mit dem berühmten blauen Blut und dem Anspruch auf Privilegien entstanden sei. Obwohl die Vorstellung des höherwertigen Bluts mit der Französischen Revolution schnell verschwand, führte das Bürgertum die Tradition der Stammbäume weiter fort.
Selbst wenn die Blutmetaphorik mit ihrer »prekären Bindungskraft« in der Vergangenheit beeindruckende Theaterstücke, Romane und Gemälde hervorgebracht hat, ist die Kulturwissenschaftlerin dankbar, dass »die Wissenschaft kam und die Mythen um das Blut zurechtgerückt und damit die Macht der Theologie durchbrochen hat«.
Einige Mythen spielen jedoch auch noch im Alltag der modernen Medizin eine Rolle: »Insbesondere das Thema Krebs- und Bluterkrankungen ist sehr mystifiziert«, sagt Flörcken. Das Gefühl, dass die eigenen Zellen entarten und eine Erkrankung bilden, ruft viel Verunsicherung hervor. Patienten fühlten sich oft in ihrem Menschsein bedroht, weil eine so existenzielle Funktion des Körpers wie die Zellerneuerung versagt, so die Ärztin. Sie investiere täglich viel Zeit, diese Ängste bei den Patienten abzubauen. Auch der Gedanke: »Wer erkrankt, ist selbst schuld«, sei noch tief verwurzelt.
Der Zusammenhang zwischen Sünde und Krankheit »hält sich hartnäckig«, so von Braun. Flörcken kann das bestätigen. Natürlich gebe es Risikofaktoren, sagt sie, meist aber seien es »schicksalshafte Erkrankungen, die man größtenteils nicht beeinflussen kann«. Doch den festsitzenden Fehlglauben umzuleiten, erfordert viel Überzeugungskraft. »Ehrlich gesagt, scheitere ich daran im Alltag oft«, gibt die Ärztin zu. Dabei sei eine solche Erkrankung allein schon Belastung genug – ohne dass Patienten sich zusätzlich noch mit der Schuldfrage befassen müssten.
Umso mehr freut sich die Hämatologin darüber, dass es in der Forschung zuletzt kleine Revolutionen gegeben habe, aus denen neue Therapieformen entstanden seien. Mit einer Ansprechrate von etwa 90 Prozent nennt sie zum Beispiel die Immuntherapie mit CAR-T-Zellen, die für einige Bereiche der Onkologie zum Einsatz kommt. Dabei werden T-Zellen, eine Untergruppe der Leukozyten, im Labor so modifiziert und dann zurücktransfundiert, dass sie gezielt kranke Zellen anhand ihrer Oberfläche erkennen. »Praktisch eine lebendige Immuntherapie«, so Flörcken.