Ein TMPRSS2-Inhibitor als Mittel gegen SARS-CoV-2 |
Theo Dingermann |
28.03.2022 18:00 Uhr |
SARS-CoV-2 benötigt zum Eintritt in die Wirtszelle die zelluläre Serinprotease TMPRSS2. Hemmt man sie, kann man Infektionen verhindern. / Foto: National Institute of Allergy and Infectious Diseases (NIAID)
Sogenannte »host-directed« antivirale Wirkstoffe (HDA) sind von besonderem Interesse, da gegen sie kaum Resistenzen entwickelt werden. Eine Zielstruktur im Kontext von SARS-CoV-2-Inhibitoren ist die transmembrane Serinprotease 2 (TMPRSS2). Diese dient als Corezeptor für das Eindringen von SARS-CoV-2 über die ACE2-Rezeptoren und sorgt für die notwendige Spaltung des viralen Spike-Proteins. Mit Nafamostat, Camostat und Upamostat befinden sich bereits mehrere TMPRSS2-Inhibitoren in der klinischen Erprobung. Jetzt haben kanadische Wissenschaftler in »Nature« einen weiteren, hochpotenten Hemmstoff beschrieben.
Aufbauend auf Vorarbeiten konstruierten die Autoren um Dr. Tirosh Shapira vom Department of Microbiology and Immunology der University of British Columbia in Vancouver, Kanada, eine kleine Bibliothek von peptidomimetischen Verbindungen, die in der Lage waren, die proteolytische Aktivität der TMPRSS2 zu hemmen. Die Autoren isolierten mehrere Tetrapeptide, die deutlich potenter TMPRSS2 hemmten als das lange bekannte Camostat. Während für Camostat eine halbmaximale Hemmkonzentration (IC50) von 17,5 ± 18,8 nM bestimmt wurde, hemmte die Entwicklungssubstanz N-0385 das Enzym mit einer IC50 von 1,9 ± 1,4 nM.
Hinsichtlich der Selektivität charakterisierten die Autoren N-0385 über die Dissoziationskonstante Ki an sechs ausgewählten rekombinanten Serinproteasen, darunter drei Mitglieder der TTSP-Familie (Matriptase, Hepsin, DESC1) sowie Furin, Thrombin und Cathepsin L. Dabei verhielt sich N-0385 als Inhibitor im niedrig nanomolaren Bereich an den TTSPs, war jedoch inaktiv oder zeigten nur eine schwache Hemmung an den drei anderen Proteasen. Camostat zeigte ein ähnliches Selektivitätsprofil, mit der Ausnahme, dass eine mäßige Hemmung von Thrombin (Ki = 621 nM) gemessen wurde.
Auch hinsichtlich der Fähigkeit, eine SARS-CoV-2-Infektion zu verhindern, erwies sich N-0385 als hoch aktiv . Dazu wurden Calu-3-Zellen drei Stunden lang mit 100 nM N-0385 vorbehandelt, bevor die Zellen mit SARS-CoV-2 infiziert wurden. N-0385 hemmte die Infektion der Zellen um > 99 Prozent. Im Vergleich dazu reduzierte Camostat die Infektion der Zellen um > 83 Prozent.
SARS-CoV-2 benötigt neben dem ACE2-Rezeptor auch das transmembrane Protein TMPRSS2, um Wirtszellen befallen zu können. / Foto: DPZ/Markus Hoffmann
Auch gegen alle getesteten besorgniserregenden Varianten (VOC), darunter die SARS-CoV-2-VOC Alpha, Beta, Gamma und Delta erwies sich N-0385 sowohl nach mehrfacher als auch nach einmaliger Verabreichung hoch aktiv.
Die Autoren schließen, dass der von ihnen charakterisierte Inhibitor sowohl einen prophylaktischem als auch einen therapeutischem Nutzen entfalten sollte und besonders eine frühe Behandlungsoption zum Schutz vor Covid-19 und vor neu auftretenden besorgniserregenden Varianten von SARS-CoV-2 bieten könnte.
Die Autoren zeigten zudem, dass N-0385 auch im Tiermodell wirksam ist. Bereits durch eine einmal tägliche intranasale Applikation von N-0385 zu einem frühen Zeitpunkt der Infektion, werden Krankheitssymptome wie Gewichtsverlust in einem transgenen Mausmodell signifikant verbessert. Keines der behandelten Tiere starb durch die Infektion.
Für ihre Versuche verwendeten die Autoren K18-hACE2-Mäuse, die den menschlichen ACE2-Rezeptor exprimieren, der durch einen Keratin-Promotor kontrolliert wird. In einem ersten Experiment wurde zehn Mäusen pro Gruppe eine einmalige tägliche intranasale Dosis von 7,2 mg/kg N-0385, N-0385(OH) oder eine Vehikelkontrolle (0,9-prozentige Kochsalzlösung) über acht Tage von Tag -1 bis Tag 6 relativ zur Infektion verabreicht. Die Mäuse wurden dann am Tag 0 mit 1 x 103 PFU/Maus von SARS-CoV-2 gezielt infiziert.
Gewichtsverlust und Überlebensdaten zeigen, dass Mäuse, die N-0385 erhielten, im Vergleich zu unbehandelten Mäusen eine stark reduzierte Morbidität und Mortalität aufwiesen. Der Gewichtsverlust bei den mit N-0385 behandelten Mäusen lag bei etwa 3 Prozent und die Überlebensrate bei etwa 70 Prozent. Im Gegensatz dazu verloren die mit N-0385(OH)- oder mit Kochsalzlösung behandelten Mäusen durchschnittlich etwa 14 Prozent an Gewicht und maximal 10 Prozent der Mäuse überlebten die Krankheit.
Die Wissenschaftler änderten das Behandlungsregime dahingehend, dass zehn Mäusen pro Gruppe von Tag 1 bis Tag 2 nach der Infektion therapiert wurden. Die mit N-0385 behandelten Mäuse überlebten zu 100 Prozent im Vergleich zu 20 Prozent in der Kontrollgruppe. Zudem nahmen die mit N-0385 behandelten Mäuse durchschnittliche 2 Prozent an Gewicht zu, während die Kontrolltiere durchschnittlichen 14 Prozent an Gewicht verloren.
Zusammengenommen deuten alle In-vivo-Daten darauf hin, dass N-0385 die Morbidität und Mortalität im Mausmodell eine schwere SARS-CoV-2-Erkrankung signifikant verhindert, selbst wenn die Behandlung auf eine frühe Infektion beschränkt wird.
Das Virus SARS-CoV-2 hat unsere Welt verändert. Seit Ende 2019 verbreitet sich der Erreger von Covid-19 und stellt die Wissenschaft vor enorme Herausforderungen. Sie hat sie angenommen und rasch Tests und Impfungen, auch für Kinder, entwickelt. Eine Übersicht über unsere Berichterstattung finden Sie auf der Themenseite Coronavirus.