E-Rezept-Projekt im Norden ausgebremst |
Jennifer Evans |
28.08.2020 11:00 Uhr |
Die Ärztekammer mahnte bei einem E-Rezept-Testbetrieb in einer Travemünder Praxis einen Verstoß gegen die Berufsordnung an. Die Mediziner haben sich zur Wehr gesetzt. / Foto: imago/Jochen Tack
Eine Gemeinschaftspraxis in Travemünde arbeitet seit rund einem Monat mit der E-Rezept-App von Erixa. Das ist eine Cloud-basierte Anwendung, die den Dialog zwischen Arzt, Apotheke und Patient vereinfachen soll, entwickelt von einem Start-up aus Oberschwaben. Die App ist nach Angaben des Unternehmens PSO Prima Smart Office werbefrei, plattformunabhängig, entspricht den Spezifikationen der Gematik und ist ohne vorherige Registrierung nutzbar. Ganz ähnlich wie die Web-App des Deutschen Apothekerverbands (DAV).
Bei Erixa sei »der Patient auf dem Fahrersitz und nicht nur blinder Passagier«, verspricht der Betreiber. Hinter dem Konzept, das den gesamten Prozess von der Verordnung bis zur Verrechnung im Blick hat, steht der Diplom-Wirtschaftsinformatiker Stefan Odenbach. Er war nach eigenen Angaben bereits in viele E-Rezept-Projekte involviert, darunter das der Techniker Krankenkasse (TK) und Gerda (Geschützter E-Rezept-Dienst der Apotheken). Parallel zur Entwicklung seiner Erixa-App hatte er beim Abrechungsdienstleister König IDV, eine Tochtergesellschaft der Schweizer Zur-Rose-Gruppe, gearbeitet. Das Unternehmen ist auf die Abrechnung von über den Versandhandel abgewickelten Rezepten spezialisiert.
Zur Erinnerung: Beim E-Rezept-Projekt der TK läuft die Abbrechung über die Firma König IDV, die ebenfalls die Rezepte der Versender Doc Morris und Shop Apotheke verarbeitet. Während die TK mit ihrem Projekt nur gesetzlich Krankenversicherte im Fokus hat, entwickelte PSO sein Produkt sowohl für den GKV- als auch für PKV-Bereich in Deutschland und in der Schweiz. Und noch eine weitere Tochter der Zur-Rose-Gruppe, die Firma eHealth-Tec, mischt im TK-Projekt mit. Sie liefert nämlich die Schnittstelle, die eine Arztpraxis für ihre Software bei der E-Rezept-Verarbeitung benötigt.
Zurück nach Travemünde und dem Testbetrieb mit der E-Rezept-App. Bei dem Prozess übermittelt die Praxis von Dr. Jörg Sandmann und seinen Kollegen das Rezept direkt an eine Apotheke, die das Medikament dann später per Botendienst ausliefert. Diesem Vorgehen setzte die Ärztekammer Schleswig-Holstein (ÄKSH) aber vergangene Woche ein Ende. Die Begründung: Verstoß gegen das Berufsrecht, weil Ärzte ihren Patienten nicht grundlos eine bestimmte Apotheke empfehlen dürfen. Anstoß nimmt die Kammer am Online-Angebot der Gemeinschaftspraxis, über das der Patient wählen kann, an welche der fünf Apotheken in Travemünde sein E-Rezept weitergeleitet werden soll. Das geht aus dem Schreiben hervor, das die Kammer an die Praxis schickte, erläutert Sandmann im Gespräch mit der PZ. Auch sei darin die Rede von Vorteilsnahme sowie unlauterem Wettbewerb, so der Allgemeinmediziner. Laut Strafgesetzbuch können ihm bis zu drei Jahre Haft oder eine Geldstrafe drohen.
Sandmann weist die Vorwürfe zurück. »Der Patient kann nach wie vor selbst entscheiden, wo er das Rezept einlösen möchte. Auf Wunsch leite ich es auch an eine Online-Apotheke weiter.« Ihm gehe es mit Blick auf die Coronavirus-Pandemie in erster Linie darum, die Patientenkontakte in Praxen und Apotheken zu minimieren, um Ansteckungen zu vermeiden. »In Travemünde leben viele ältere Menschen und Risikopatienten«, betonte er. Außerdem wolle er durch den Testlauf mit Erixa gerüstet sein, wenn das E-Rezept 2021 eingeführt wird, damit der Ablauf zwischen allen Akteuren künftig reibungslos funktioniert. Vor diesem Hintergrund sind »die Vor-Ort-Apotheken ein wichtiger Faktor«, so Sandmann. Denn nur in der Zusammenarbeit zwischen Arzt und Apotheker könne man die neuen digitalen Prozesse optimieren.
Die Standesvertretung der Apotheker steht dem E-Rezept-Testlauf kritisch gegenüber. Bevor das Patientendaten-Schutzgesetz (PDSG) nicht in Kraft sei und die Gematik-App mit all ihren Anforderungen stehe, rate man den Apothekern derzeit davon ab, sich an eine einzelne digitale Anwendung auf dem Markt zu binden, heißt es aus DAV-Kreisen. Schließlich binde sich eine Apotheke nicht nur selbst, sondern auch die Kunden – ohne zu wissen, wie sich das politische Umfeld später entwickele. Das PDSG regelt unter anderem das Makelverbot mit dem E-Rezept.
Die Schuld daran, dass der Testbetrieb in seiner Praxis plötzlich gestoppt wurde, liegt in Sandmanns Augen aber nicht bei der Ärztekammer, die lediglich »als Handlanger des Kieler Gesundheitsministeriums agiert hat und angewiesen wurde, in diesem Fall zu ermitteln«. Er geht davon aus, dass ein Informationsschreiben des Software-Entwicklers über das Projekt das Gesundheitsministerium dazu veranlasst hat, die Ärztekammer auf die Praxis in Travemünde anzusetzen. Sandmann ärgert sich, dass das Ministerin das E-Rezept-Projekt torpediert. Zwar hatte er die entsprechende Seite auf der Website der Praxis zunächst für drei Tage vom Netz genommen. Doch hat sich inzwischen dazu entschlossen, wieder mit der App zu arbeiten und seinen Patienten den Service weiterhin anzubieten. »Wir widersetzen uns, weil es uns darum geht, die Patienten vor unnötigen Kontakten in der Praxis und der Apotheke zu schützen«, sagte er.
Seinen Unmut über die Situation hat der Mediziner nach eigenen Angaben außerdem in einem Brief an Schleswig-Holsteins Gesundheitsminister Heiner Garg (FDP) zum Ausdruck gebracht. Sandmann will einfach nicht einleuchten, warum Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) die Digitalisierung vorantreiben will, aber auf Landesebene das Engagement für solche Testbetriebe ausgebremst wird. Der Allgemeinmediziner glaubt fest daran, dass sich hinter der Angelegenheit noch mehr versteckt. Seine Vermutung ist, dass sich im Hintergrund »bereits einige der Global Player auf dem Gesundheitsmarkt positionieren.«
Das Kieler Gesundheitsministerium erklärte auf Anfrage der PZ, es habe die Ärztekammer lediglich um Prüfung des E-Rezept-Projekts in Travemünde gebeten, aber nicht eine explizite Anweisung dazu gegeben. »In dem angesprochenen Fall hatte das Ministerium aufgrund einer Unterstützungs-Anfrage zu einem Projekt, wie in solchen Fällen üblich, Beteiligte des Gesundheitswesens um nähere Info erbeten. In dem Zuge hatte das Ministerium auch den Hinweis auf das Projekt mit der Bitte um Prüfung – in eigener Zuständigkeit – an die Ärztekammer geleitet«, heißt es. Grundsätzlich begrüße man ausdrücklich innovative telemedizinische Projekte im Land Schleswig-Holstein. Allerdings müssten diese »selbstverständlich mit den gültigen Recht vereinbar sein«.
Dasselbe hob auch ein Sprecher der ÄKSH auf Nachfrage der PZ hervor. Das Projekt sei nicht bemängelt, sondern »im üblichen Zusammenspiel der zuständigen Institutionen, in diesem Fall von der Ärztekammer, routinemäßig überprüft« worden. Man wolle der Travemünder Arztpraxis das Projekt nicht strittig machen. Zudem ist sei der Sachverhalt mit den Ärzten bereits geklärt, so der Sprecher.