Drittes Fumarat im Handel |
Kerstin A. Gräfe |
07.10.2025 07:00 Uhr |
Der neue MS-Wirkstoff Tegomilfumarat kommt bei Patienten ab einem Alter von 13 Jahren zum Einsatz. / © Adobe Stock/Vladimir
Tegomilfumarat ist wie Diroximelfumarat (Vumerity™, 2022) eine Weiterentwicklung des seit 2014 verfügbaren MS-Medikaments Dimethylfumarat (Tecfidera®). Alle drei sind Prodrugs, die im Körper zum aktiven Metaboliten Monomethylfumarat (MMF) umgewandelt werden. Laut Hersteller Neuraxpharm verfügt Tegomilfumarat jedoch über ein Prodrug-Design, das die Freisetzung von Methanol reduziert. Dies soll die gastrointestinale Verträglichkeit verbessern.
Der genaue Wirkungsmechanismus der Fumarate bei MS ist nicht vollständig geklärt. Präklinische Daten weisen darauf hin, dass MMF den Nrf2-Signalweg aktiviert und dadurch antioxidative Gene hochreguliert. Dies soll entzündliche Prozesse reduzieren und die Aktivität des Immunsystems modulieren.
Indiziert ist Tegomilfumarat (Riulvy® 174 mg/348 mg magensaftresistente Hartkapseln, Neuraxpharm) zur Behandlung schubförmig remittierender MS (RRMS) bei erwachsenen Patienten sowie bei Kindern und Jugendlichen ab 13 Jahren.
Tegomilfumarat-Hartkapseln werden morgens und abends eingenommen. Die Startdosis beträgt zweimal täglich 174 mg für die ersten sieben Tage; ab Tag 8 wird die Erhaltungsdosis von zweimal täglich 348 mg empfohlen. Die Dosis kann bei Patienten, bei denen Nebenwirkungen wie Hitzegefühl oder Magen-Darm-Probleme auftreten, vorübergehend auf zweimal täglich 174 mg reduziert werden. Die empfohlene Erhaltungsdosis sollte dann innerhalb eines Monats wiederaufgenommen werden.
Die Kapseln müssen unzerkaut geschluckt und am besten zusammen mit einer Mahlzeit eingenommen werden, da dies die Verträglichkeit verbessert. Wird eine Dosis vergessen, darf sie nur nachgeholt werden, wenn bis zur nächsten Einnahme noch mindestens vier Stunden Abstand bestehen.
Die Warnhinweise und Vorsichtsmaßnahmen sowie das Nebenwirkungsprofil von Tegomilfumarat ähneln aufgrund der Verstoffwechselung zu MMF den anderen Fumaraten. Dazu zählt zum Beispiel das Auftreten einer Lymphopenie. Vor Beginn der Behandlung muss ein aktuelles großes Blutbild, einschließlich der Lymphozyten, erstellt werden. Die Behandlung darf bei schwerer Lymphopenie nicht erfolgen. Erhöhte Wachsamkeit aufgrund des Risikos einer progressiven multifokalen Leukenzephalopathie (PML) ist bei Patienten mit Lymphopenie angeraten. Eine vermutete oder bestätigte PML ist eine Kontraindikation.
Des Weiteren sind vor Behandlungsbeginn und danach in regelmäßigen Abständen die Nieren- und Leberparameter zu bestimmen. Bei der Behandlung von Patienten mit schweren Nieren- oder Leberfunktionsstörungen ist Vorsicht angezeigt.
Die Patienten sollten darüber aufgeklärt werden, dass vorübergehendes Erröten der Haut oder Hitzegfühl (»Flush«) eintreten kann. Die Einnahme von 75 mg Acetylsalicylsäure (ASS) 30 Minuten vor der Anwendung von Tegomilfumarat kann das Flushing mindern. Eine langfristige Anwendung von ASS wird jedoch nicht empfohlen.
Nach der Markteinführung von Tecfidera wurden Fälle von Anaphylaxie beziehungsweise allergischen Reaktionen berichtet. Typische Symptome sind Atemnot, niedriger Blutdruck, Schwellungen (Angioödem), Ausschlag oder Nesselsucht. Zudem kam es unter der Behandlung zu Herpes zoster und anderen Infektionen. Die Patienten sind anzuweisen, bei Symptomen einer Infektion, auch mit Blick auf eine PML, sofort einen Arzt aufzusuchen.
Tegomilfumarat wurde nicht in Kombination mit immunsuppressiven oder antineoplastischen Therapien untersucht, weshalb hier Vorsicht geboten ist. Auch die gleichzeitige Anwendung anderer Fumarsäureester (systemisch oder topisch) sollte vermieden werden. Totimpfstoffe können unter der Behandlung mit Riulvy in Betracht gezogen werden; Lebendimpfstoffe sind hingegen nicht empfohlen. Vorsicht ist zudem bei gleichzeitiger Gabe nephrotoxischer Substanzen wie Aminoglykosiden, Lithium oder nicht steroidalen Antirheumatika geboten. Diese können das Risiko renaler Nebenwirkungen unter Tegomilfumarat erhöhen.
Während der Schwangerschaft sollte Tegomilfumarat aus Vorsichtsgründen nicht angewendet werden. Ob Tegomilfumarat in die Muttermilch übergeht, ist nicht bekannt. Bei der Entscheidung, ob das Stillen zu unterbrechen ist oder auf die Behandlung mit Tegomilfumarat verzichtet werden soll, ist der jeweilige Nutzen gegeneinander abzuwägen.
Tegomilfumarat ist als Hybridarzneimittel zu Tecfidera zugelassen. Die Bioäquivalenz wurde in drei Studien unter nüchternen Bedingungen sowie zusammen mit fett- und kalorienarmen (leichte Mahlzeit oder Snack) sowie fett- und kalorienreichen Mahlzeiten nachgewiesen. Alle drei Studien hatten ein ähnliches Design und wurden an ähnlichen Studienpopulationen mit männlichen und weiblichen Probanden durchgeführt. Demnach entsprechen 174 mg Tegomilfumarat 120 mg Dimethylfumarat und 348 mg Tegomilfumarat 240 mg Dimethylfumarat.
Zu den häufigsten Nebenwirkungen zählen Hitzegefühl sowie gastrointestinale Beschwerden wie Durchfall, Übelkeit und Bauchschmerzen, die vor allem zu Therapiebeginn auftreten.
Das Tegomilfumarat-haltige Präparat Riulvy® ist das nächste Fumarat für die MS-Therapie und ein Hybridarzneimittel von Tecfidera®, in dem Dimethylfumarat enthalten ist. Hinsichtlich des Einsatzgebiets bietet Tegomilfumarat keinen Vorteil gegenüber Dimethylfumarat. Auch der Wirkmechanismus beinhaltet nichts Neues. Wie Dimethylfumarat entfaltet auch Tegomilfumarat seine Wirkung über den aktiven Hauptmetaboliten Monomethylfumarat. Die Zulassung erfolgte aufgrund von Bioäquivalenzstudien. Es ist davon auszugehen, dass Tegomilfumarat eine ähnliche Wirksamkeit aufweist wie Dimethylfumarat. Das Prodrugdesign, das die Freisetzung von Methanol reduzieren soll, kann die gastrointestinale Verträglichkeit verbessern. Magen-Darm-Nebenwirkungen sind aber auch bei Tegomilfumarat immer noch sehr häufig. Ein wirklicher Therapiefortschritt ist nicht erkennbar und Tegomilfumarat damit vorläufig als Analogpräparat einzustufen.
Sven Siebenand, Chefredakteur