Doppelt abgeräumt |
Theo Dingermann |
25.02.2019 11:22 Uhr |
Weiterentwicklung: Bei Kadcyla® (Trastuzumab Emtansin) transportiert der Antikörper Trastuzumab das hochtoxische Maytansin-Derivat DM1 zu HER2-positiven Krebszellen. / Foto: Roche
Wie kaum eine andere Neueinführung weckte Trastuzumab nicht nur fachliches Interesse und Respekt, sondern auch gewaltige Emotionen. Plötzlich tat sich eine neue Therapieoption für Brustkrebs auf. Schnell sprach sich herum, dass HER2-positive Mammakarzinome, die zu der Zeit als besonders aggressiv eingeschätzt und mit dem Attribut einer schlechten Prognose versehen waren, plötzlich genau gegenteilig beurteilt wurden, da mit Trastuzumab nun eine Interventionsoption verfügbar war.
Gerichtet ist der Antikörper gegen einen molekularen Biomarker, der sich bei circa 25 Prozent aller Mammakarzinome hoch konzentriert auf der Oberfläche der Tumorzellen zeigt. Der Grund dafür ist eine massive Amplifikation des HER2-Gens, das einen Vertreter aus der Familie der Rezeptoren für den epidermalen Wachstumsfaktor (EGFR) kodiert.
Aktiviert werden EGF-Rezeptoren wie alle Rezeptor-Tyrosinkinasen durch Dimerisierung, was normalerweise durch die Bindung des Liganden aktiv vermittelt wird. Allerdings zählte der HER2-Rezeptor zu den Orphan-Rezeptoren, für die bisher kein Ligand identifiziert wurde. Wegen der hohen Rezeptordichte auf der Oberfläche der Tumorzellen dimerisieren die HER2-Monomere hier spontan und treiben so die Zellen ständig in die Proliferation. Trastuzumab interferiert mit dieser Rezeptoraktivierung und vermittelt gleichzeitig über seine konstante Effektor-Region kritische Todessignale in Form einer Antikörper-abhängigen zellvermittelten Zytotoxizität (ADCC) und einer Komplement-abhängigen Zytolyse (CDC).
Aufbau von Trastuzumab Emtansin: Das Maytansin-Derivat DM1 ist über den Linker MCC amidisch mit ε-Aminogruppen von Lysin-Resten des Antikörpers Trastuzumab verbunden. / Foto: Uni Frankfurt
Heute ist Herceptin zugelassen zur Behandlung bei Brustkrebs im Frühstadium, bei metastasiertem Brustkrebs und bei metastasiertem Magenkrebs. Allerdings kann das Präparat nur dann angewendet werden, wenn nachgewiesen wurde, dass der Tumor HER2 überexprimiert. Das ist bei ungefähr einem Fünftel der Magenkrebserkrankungen der Fall. Auf Basis dieser Erkenntnis etablierte sich dann mit der Einführung von Herceptin endgültig das Prinzip der stratifizierten Arzneimitteltherapie, bei dem der Nachweis eines oder mehrerer molekularer Biomarker zwingend vorgeschrieben ist.
Trastuzumab hat seine Erfolgsstory längst geschrieben. Der Wirkstoff ist aus der modernen Tumortherapie nicht mehr wegzudenken. Im Jahr 2017 schlug er laut Arzneimittelverordnungsreport bei der Gesetzlichen Krankenversicherung mit knapp 450 Millionen Euro zubuche.
Zudem wurde mit Trastuzumab ein bemerkenswertes Lifecycle-Management demonstriert, aus dem zum einen mit Herceptin® SC eine subkutan zu applizierende Trastuzumab-Formulierung und mit Kadcyla® (Trastuzumab Emtansin) ein Antikörper-Wirkstoff-Konjugat resultierte, das seinerseits im Jahr 2014 mit dem PZ-Innovationspreis ausgezeichnet wurde.
Das Konjugat transportiert ein hochwirksames Zytostatikum gezielt zu HER2-überexprimierenden Tumorzellen, von denen es nach Bindung internalisiert wird, um dann in der Tumorzelle mithilfe des hochtoxischen Maytansin-Derivats DM1, einem Tubulin-bindenden Zytostatikum, einen G2/M-Zellzyklusblock und in der Folge den Zelltod zu induzieren.
Seit fast einem Vierteljahrhundert vergibt die Pharmazeutische Zeitung den PZ-Innovationspreis und würdigt damit das jeweils innovativste Arzneimittel eines Jahres. Beim diesjährigen Pharmacon-Kongress in Meran wird der Preis zum 25. Mal verliehen. Das Jubiläum nimmt die PZ zum Anlass, alle bisherigen Preisträger Revue passieren zu lassen und sie kritisch zu beleuchten. Ließen sie sich in den Therapiealltag integrieren? Haben sie neue Therapierichtungen induziert? Als Autoren fungieren die Professoren Dr. Theo Dingermann und Dr. Manfred Schubert-Zsilavecz, Mitglieder der externen PZ-Chefredaktion, sowie der stellvertretende PZ-Chefredakteur Sven Siebenand.