Doppelinfektion wohl nicht doppelt gefährlich |
Annette Rößler |
13.07.2022 13:00 Uhr |
Nach dem Wegfall der meisten Abstands- und Hygieneregeln steigen aktuell die Fallzahlen von Corona- und anderen Atemwegsinfektionen an. Wie schwer Menschen im Fall einer Doppelinfektion erkranken, hängt von vielen Faktoren ab. / Foto: Getty Images/Ivan-balvan
In diesem Sommer sind nicht nur die Coronainfektionszahlen höher als in den Vorjahren der Pandemie, sondern auch die Fallzahlen anderer infektiöser Atemwegserkrankungen. Offenbar steigt also auch die Gefahr, sich mit mehreren respiratorischen Viren gleichzeitig zu infizieren. Somit stellt sich die Frage immer drängender, welche Konsequenzen solche Koinfektionen haben könnten. Erst im März erschienen dazu Daten einer Beobachtungsstudie im Fachjournal »The Lancet«, wonach die gleichzeitige Infektion mit Influenzaviren und SARS-CoV-2 das Sterberisiko erhöht.
Was dabei auf immunologischer Ebene abläuft, hat jetzt ein Team um Kohei Oishi von der New York University anhand von Zellkulturen und Tierversuchen mit Goldhamstern untersucht – und das Ergebnis widerspricht vordergründig den Erwartungen. Im »Journal of Virology« berichten die Forscher nämlich, dass eine Infektion mit Influenza-A-Viren eine gleichzeitige SARS-CoV-2-Infektion hemmen könnte. Die Wissenschaftler stellten fest, dass bei Hamstern, die mit beiden Viren gleichzeitig infiziert worden waren, die SARS-CoV-2-Lungentiter zum Teil niedriger waren als bei Tieren, die ausschließlich mit dem Coronavirus infiziert waren. Wurden die Hamster dagegen zuerst mit SARS-CoV-2 infiziert, hatte diese Infektion offenbar keinen Einfluss auf die Vervielfältigung der später eingebrachten Influenzaviren.
Wurden die Hamster zuerst mit Influenzaviren infiziert, führte dies zu einem starken Anstieg der antiviralen Botenstoffe Interferon Typ I/III (IFN-I/-III). Dieser Effekt war nach einer SARS-CoV-2-Infektion nicht im selben Maß zu beobachten, weshalb die Autoren hier den Grund für den beobachteten Unterschied vermuten. Sie ziehen aus ihren Daten den Schluss, dass eine Koinfektion mit Influenza- und Coronaviren wahrscheinlich nicht zu schwereren Verläufen führe.
Professor Dr. Stephan Becker von der Philipps-Universität Marburg, der nicht an der Studie beteiligt war, hält diese Folgerung allerdings für gewagt. »Menschen sind keine Hamster«, betont der Virologe. »Ich würde mich nicht anhand von Hamsterdaten darauf verlassen, dass Koinfektionen mit Influenza und SARS-CoV-2 vergleichsweise harmlos verlaufen – obwohl die Studie gute Daten präsentiert und das Autorenteam auch renommiert ist.«
Für grundlegende Aussagen brauche es pro- und retrospektive Studien an Menschen. Diese seien aber kompliziert, denn »die Menge jener, die zu einer bestimmten Zeit koinfiziert sind, und im besten Fall auch noch in der richtigen Reihenfolge, ist nicht sehr groß.« Hinzu kämen weitere Einflussfaktoren wie der Impfstatus der Teilnehmer, verschiedene Influenzaviren und SARS-CoV-2-Varianten.
Auch Professor Dr. Ortwin Adams vom Universitätsklinikum Düsseldorf weist darauf hin, dass das Immunsystem der in der Studie verwendeten Tiere dem des Menschen zwar ähnlich, aber nicht gleichzusetzen sei. Für ihn ist auch das Ergebnis des Versuchs nicht unerwartet. »Das beschriebene Phänomen, dass ein Virus offenbar zu verhindern versucht, dass ein zweites (anderes) Virus in die Zelle eintreten kann, ist schon viele Jahrzehnte bekannt und wird als virale Interferenz bezeichnet. Dieser Begriff ist auch gleichzeitig Namensgeber für die dabei wirksamen Enzyme, nämlich die Interferone«, erklärt der Virologe.
Wie Becker weist auch Adams darauf hin, dass die Situation beim Menschen deutlich komplexer ist als in diesem Tierversuch. Die Hamster hätten vorher noch keinen Kontakt mit Influenza oder SARS-CoV-2 gehabt. »Der erwachsene Mensch hat aber bereits jahrzehntelange Erfahrung mit Influenzaviren und auch gegen SARS-CoV-2 haben wir mittlerweile ein buntes Bild von ›weder geimpft noch genesen‹ bis zu ›mehrfach geimpft/geboostert plus ein-/zweimal genesen‹. Diese immunologische Vorerfahrung hat erheblichen Einfluss auf den Infektionsverlauf von beiden Viren.«
Sein pragmatischer Rat lautet: Insbesondere Angehörige von Risikogruppen sollten sich vor beiden Infektionen schützen und nicht darauf setzen, dass sich die beiden Viren gegenseitig neutralisieren. »In Vorbereitung auf den Herbst/Winter sollte man sich beide Impfungen, Influenza plus SARS-CoV-2, geben lassen.«
Das Virus SARS-CoV-2 hat unsere Welt verändert. Seit Ende 2019 verbreitet sich der Erreger von Covid-19 und stellt die Wissenschaft vor enorme Herausforderungen. Sie hat sie angenommen und rasch Tests und Impfungen, auch für Kinder, entwickelt. Eine Übersicht über unsere Berichterstattung finden Sie auf der Themenseite Coronavirus.