Doppelinfektion wohl nicht doppelt gefährlich |
Annette Rößler |
13.07.2022 13:00 Uhr |
Professor Dr. Stephan Becker von der Philipps-Universität Marburg, der nicht an der Studie beteiligt war, hält diese Folgerung allerdings für gewagt. »Menschen sind keine Hamster«, betont der Virologe. »Ich würde mich nicht anhand von Hamsterdaten darauf verlassen, dass Koinfektionen mit Influenza und SARS-CoV-2 vergleichsweise harmlos verlaufen – obwohl die Studie gute Daten präsentiert und das Autorenteam auch renommiert ist.«
Für grundlegende Aussagen brauche es pro- und retrospektive Studien an Menschen. Diese seien aber kompliziert, denn »die Menge jener, die zu einer bestimmten Zeit koinfiziert sind, und im besten Fall auch noch in der richtigen Reihenfolge, ist nicht sehr groß.« Hinzu kämen weitere Einflussfaktoren wie der Impfstatus der Teilnehmer, verschiedene Influenzaviren und SARS-CoV-2-Varianten.
Auch Professor Dr. Ortwin Adams vom Universitätsklinikum Düsseldorf weist darauf hin, dass das Immunsystem der in der Studie verwendeten Tiere dem des Menschen zwar ähnlich, aber nicht gleichzusetzen sei. Für ihn ist auch das Ergebnis des Versuchs nicht unerwartet. »Das beschriebene Phänomen, dass ein Virus offenbar zu verhindern versucht, dass ein zweites (anderes) Virus in die Zelle eintreten kann, ist schon viele Jahrzehnte bekannt und wird als virale Interferenz bezeichnet. Dieser Begriff ist auch gleichzeitig Namensgeber für die dabei wirksamen Enzyme, nämlich die Interferone«, erklärt der Virologe.
Wie Becker weist auch Adams darauf hin, dass die Situation beim Menschen deutlich komplexer ist als in diesem Tierversuch. Die Hamster hätten vorher noch keinen Kontakt mit Influenza oder SARS-CoV-2 gehabt. »Der erwachsene Mensch hat aber bereits jahrzehntelange Erfahrung mit Influenzaviren und auch gegen SARS-CoV-2 haben wir mittlerweile ein buntes Bild von ›weder geimpft noch genesen‹ bis zu ›mehrfach geimpft/geboostert plus ein-/zweimal genesen‹. Diese immunologische Vorerfahrung hat erheblichen Einfluss auf den Infektionsverlauf von beiden Viren.«
Sein pragmatischer Rat lautet: Insbesondere Angehörige von Risikogruppen sollten sich vor beiden Infektionen schützen und nicht darauf setzen, dass sich die beiden Viren gegenseitig neutralisieren. »In Vorbereitung auf den Herbst/Winter sollte man sich beide Impfungen, Influenza plus SARS-CoV-2, geben lassen.«
Das Virus SARS-CoV-2 hat unsere Welt verändert. Seit Ende 2019 verbreitet sich der Erreger von Covid-19 und stellt die Wissenschaft vor enorme Herausforderungen. Sie hat sie angenommen und rasch Tests und Impfungen, auch für Kinder, entwickelt. Eine Übersicht über unsere Berichterstattung finden Sie auf der Themenseite Coronavirus.