Diese Orphan Drugs befinden sich in der Pipeline |
Daniela Hüttemann |
28.02.2021 12:00 Uhr |
Gemeinsam sind seltene Erkrankungen gar nicht so selten. Doch trotz aller Forschungserfolge gibt es immer noch für viel zu viele dieser Orphan Diseases keine passenden Orphan Drugs. / Foto: Adobe Stock/ Eggy Sayoga
Zusammen sind sie gar nicht so selten: Es soll rund 8000 seltene Erkrankungen geben, die zusammen schätzungsweise 6 bis 8 Prozent der Bevölkerung treffen – das ist etwa jeder 14. Als selten gilt eine Erkrankung, wenn weniger als 5 von 10.000 Einwohner daran leiden, so die EU-Definition. Die USA sprechen von weniger als 7,5 pro 10.000 Einwohner, die Australier von weniger als einem pro 10.000 und die Schweizer sogar von weniger als 0,1 pro 10.000 Einwohner.
Abgesehen davon, dass diese Patienten oft eine jahrelange Odyssee hinter sich haben, bis sie überhaupt eine Diagnose bekommen, fehlt es dann an qualifizierten Experten und leider häufig auch an spezifischen Medikamenten. Darauf macht jedes Jahr am 28. Februar beziehungsweise in Schaltjahren am 29. Februar der Tag der seltenen Erkrankungen aufmerksam. Als Orphan Drugs (vom Englischen Orphan für Waise) bezeichnet man Therapeutika, die speziell für eines dieser seltenen Leiden entwickelt wurden. Seit dem Jahr 2000, als die EU begann, die Entwicklung von Orphan Drugs zu fördern, sind nach Zählung des Verbands der forschenden Pharmaunternehmen (vfa) 183 solcher Medikamente entwickelt worden. Im April 2020 waren allerdings laut EU »nur« 102 Medikamente als Orphan Drugs zugelassen, da bei vielen Präparaten ihr Orphan-Drug-Status, der mit einigen regulatorischen und wirtschaftlichen Besonderheiten einhergeht, bereits abgelaufen war (er gilt zehn Jahre, bei Kinderarzneimitteln zwölf) oder manche auch nicht mehr vermarktet werden.
Unter den seltenen Erkrankungen finden sich viele, die auf Gendefekten beruhen, aber auch viele Krebs(unter)formen wie Bauchspeicheldrüsen- oder Eierstockkrebs und alle Arten von Leukämien. Laut Deutscher Gesellschaft für Neurologie betrifft ein Großteil der Orphan Diseases auch das Gehirn und das Nervensystem. Die Deutsche Leberstiftung weist daraufhin, dass auch die Leber häufig betroffen ist. Kurzum: Das Spektrum ist riesig.
Im Jahr 2020 gab es laut vfa 13 Neuzulassungen für Orphan Drugs, darunter das erste Medikament zur Behandlung einer Hepatitis D (Bulevirtid, Hepcludex®), Osilodrostat (Isturisa®) beim Cushing-Syndrom und die Gentherapie Onasemnogen-Abeparvovec (Zolgensma™) bei spinaler Muskelatrophie vom Typ 1 (SMA1). Allein sechs neue Orphan Drugs sind für die Krebstherapie gedacht.
Alle bereits zugelassenen Orphan Drugs listet der vfa auf seiner Website in einer eigenen Datenbank auf. Informationen über die einzelnen seltenen Erkrankungen und die Therapiemöglichkeiten findet man unter www.orpha.net. Ausführliche Wirkstoffprofile aller in Deutschland auf den Markt gekommenen Medikamente gibt es in unserer PZ-eigenen Datenbank Arzneistoffe.
Für 2021 erwartet der Verband mehr als 30 neue Medikamente, darunter weitere gegen Krebs und seltene Stoffwechselstörungen. Mit Lumasiran (Oxlumo®) gibt es seit Beginn des Jahres ein hochinnovatives Medikament gegen die seltene Hyperoxalurie Typ 1, bei der eine Oxalsäure-Überproduktion stattfindet. Die EU-Zulassung hat vor Kurzem bereits eine neue CAR-T-Zelltherapie bei Mantelzell-Lymphomen (Brexucabtagen-Autoleucel, Tecartus®) erhalten.
Am 26. Februar sprach der Ausschuss für Humanarzneimittel der Europäischen Arzneimittelagentur (EMA) darüber hinaus Zulassungsempfehlungen für drei weitere Orphan Drugs aus: Risdiplam (Evrysdi®) ist die erste oral verfügbare Therapieoption bei bestimmten Formen der spinalen Muskelatrophie und damit eine ernst zunehmende Konkurrenz für Zolgensma. Berotralstat (Orladeyo®) ist ein Inhibitor des Plasma-Kallikreins und soll die Freisetzung von Bradykinin reduzieren. Damit sollen Attacken bei Patienten mit hereditärem Angioödem verhindert werden.
Interessant ist auch Setmelanotid (Imcivree™), das bei Patienten mit starkem Übergewicht durch Leptin-Rezeptor- und Proopio-Melanocortin-Mangel zum Einsatz kommen soll. Für diese Patienten gibt es bislang keine spezifische Behandlung. Setmelanotid ist ein Peptid. Es aktiviert den Melanocortin-Rezeptor 4 (MC4), der in die Appetitregulation involviert ist.
In den USA wurde das Mittel im November 2020 zugelassen, genau wie Lonafarnib (Zokinvy™) gegen die beschleunigte Alterung bei der Hutchinson-Gilford-Progerie. Bei dieser Erkrankung fangen Kinder ab der Geburt an, besonders schnell zu altern. In der Pubertät entwickeln sie schwere kardiovaskuläre Komplikationen und sterben noch als Teenager oder in ihren frühen Zwanzigern.
Lonafarnib ist ein Farnesyltransferase-Inhibitor. Es soll helfen, die Anhäufung von defektem Progerin oder Progerin-ähnlichem Protein zu verhindern. Lonafarnib hat zudem antineoplastische Eigenschaften und ist damit ein potenzielles Krebsmedikament. Zudem hat es zumindest in vitro antivirale Eigenschaften gegenüber SARS-CoV-2 und wird auch bei der Hepatitis-D-Infektion erforscht.