Die Suche nach dem perfekten Grippeimpfstoff |
Theo Dingermann |
10.03.2023 12:30 Uhr |
Um bei dieser komplexen Ausgangslage valide Entscheidungen treffen zu können, bedürfe es vieler guter Daten. Diese Informationen sammelt das Global Influenza Surveillance and Response System (GISRS) der WHO ganzjährig im Rahmen eines Monitorings unter Beteiligung von 144 nationalen Influenzazentren in mehr als 114 Ländern. Dazu werden Tausende von Grippevirusproben von Patienten entnommen, getestet und isolierte Genome sequenziert. Die wichtigsten Daten, die der Impfvirus-Auswahl zugrunde liegen, sind: epidemiologische Daten der Grippeüberwachung, genetische Daten aus den Sequenzierungen, die unter anderem das Erstellen von Stammbäumen zulassen, und Antigendaten (Veränderungen in den beiden Oberflächenproteinen Hämagglutinin und Neuraminidase).
Bei den Virusvarianten wird eine sogenannte antigene Charakterisierung durchgeführt, worüber sich Ähnlichkeiten mit anderen Viren beurteilen lassen. Die antigene Charakterisierung fußt auf Tests mit Seren von Frettchen, die kontrolliert infiziert wurden. Diese Tiere sind immunnaiv, das heißt sie waren zuvor noch nicht mit einem Influenzaantigen in Berührung gekommen. Werden verschiedene zirkulierende Grippeviren (zum Beispiel H1N1-Varianten) von dem gleichen Frettchenserum neutralisiert, gelten diese Viren als dem Testvirus »antigenähnlich«.
In diesem Fall wäre es wahrscheinlich, dass die aktuelle Typ-A(H1)-Impfstoffkomponente auch in der kommenden Saison Schutz bietet und daher nicht aktualisiert werden muss. Wenn im Gegensatz dazu die durch das Testvirus induzierten Antikörper die derzeit zirkulierenden Grippeviren nicht effektiv neutralisieren, dann sind die Viren »antigenisch unterschiedlich« oder »abgedriftet«. In diesem Fall muss die Impfstoffkomponente aktualisiert werden. Antigen-Charakterisierungstests werden für jede der vier Impfstoffkomponenten in den saisonalen Impfstoffen separat durchgeführt.
»Es ist eine verbreitete Fehleinschätzung, dass bei den Arbeitstreffen versucht wird, abzuschätzen, welche Varianten in der kommenden Saison dominant sein werden«, sagte Wentworth. Vielmehr werde ermittelt, welche Virusstämme eine möglichst breite Immunantwort gegen die möglicherweise zirkulierenden Virusvarianten, die ja im Schwarm vorliegen, induzieren.
Heute werden Wentworth zufolge Impfviren-Kandidaten in erster Linie auf Basis der Genotyp-zu-Phänotyp-Analyse ausgewählt, bei der für genetische Mutationen der Effekt auf die Viruseigenschaften analysiert wird. Hauptziel ist die Identifizierung von Antigenen, die eine Immunität gegen verschiedene Viren auslösen, die in Zukunft wahrscheinlich gemeinsam auftreten werden.
Um die Auswahl der Impfstämme zu verbessern, werden auch humanserologische Daten erhoben. Sie ergänzen die Studien mit Frettchenseren insofern, da humane Seren unterschiedliche Konzentrationen von Antikörpern enthalten, die durch frühere Infektionen und Impfungen induziert wurden. Dafür werden in den Influenzazentren Blutproben von Menschen aller Altersgruppen und aus verschiedenen geografischen Gebieten vorgehalten, die sowohl vor als auch nach einer Grippeimpfung entnommen wurden.
Mithilfe von Hämagglutinationshemmtests und Mikroneutralisationsassays lässt sich ableiten, wie gut die durch die Grippeimpfung hervorgerufenen Antikörper die im Umlauf befindlichen Grippeviren erkennen und neutralisieren können. Wenn die durch die Impfung produzierten Antikörper zirkulierende Grippeviren wirksam neutralisieren, ist wahrscheinlich die Zusammensetzung des aktuellen Grippeimpfstoffs geeignet, die Menschen auch während der bevorstehenden Grippesaison zu schützen. Zusätzlich werden für die Bewertung auch Wirksamkeitsstudien von verfügbaren Grippeimpfstoffen unter realen Bedingungen herangezogen.