»Die Spreu vom Weizen trennen« |
Pflanzliche Ödemprotektiva wirken wie Venenkitt, indem sie kleinste Venenwände abdichten. Das wirkt dem venösen Rückstau entgegen. / Foto: Getty Images/Portishead1
»Bei der Studie ging es mir darum, die Spreu vom Weizen zu trennen, indem Fakten aufgezeigt werden«, erklärte Schubert-Zsilavecz vom Institut für pharmazeutische Chemie der Universität Frankfurt gegenüber der Pharmazeutischen Zeitung. Wie geht er dann bei der Bewertung vor? »Zunächst nehmen wir erstmal eine Differenzierung der zu prüfenden Präparate vor. Handelt es sich um ein Nahrungsergänzungsmittel, Kosmetikum oder ein Arzneimittel? Für die Bewertung von Phytopharmaka, worunter meisten Ödemprotektiva fallen, nehmen wir dann Anleihe bei den Monographien des Ausschusses für pflanzliche Arzneimittel (HMPC) der Europäischen Arzneimittelbehörde EMA (Stichwort Well-established Use oder Traditional Use), recherchieren individuelle klinische Studien und gleichen ab, zu welchem Schluss entsprechende Leitlinien, Metaanalysen und Cochrane-Reviews kommen.«
Die Ergebnisse der Ökotest-Studie vom Mai 2019 zeigen Schubert-Zsilavecz zufolge zuverlässige Wirksamkeitsnachweise derzeit für standardisierte Extrakte aus Rosskastaniensamen und rote Weinrebenblätter sowie für das partialsynthetisch gewonnene Oxerutin aus dem Japanischen Schnurbaum. 11 der 13 bewerteten Präparate erhielten die Note »sehr gut« oder »gut«, darunter alle apothekenexklusiven Präparate wie Venostasin® retard, Venoplant® retard S, Venen-Tabletten Stada, Antistax® Extra, Venoruton® intens.
Unter den zu testenden Präparaten gab es lediglich zwei Zubereitungen aus Roten Weinrebenblättern. Davon verfügt laut Schubert-Zsilavecz nur das Originalpräparat Antistax über ausreichend evidenzbasiertes Studienmaterial. »Da die Wirksamkeitsbelege extraktgebunden sind, können sie nicht einfach auf einen anderen Auszug übertragen werden. Somit erhielt das zweite Präparat Antiveno Heumann eine Note Abzug«, erklärte der Arzneimittelfachmann.
Während sämtliche apothekenexklusive Trockenextrakte aus Rosskastaniensamen mit »sehr gut« bewertet wurden, schnitten die Pendants von Abtei und Zirkulin aus der Drogerie »mangelhaft« ab. Grund laut Schubert-Zsilavecz: »Bei ihnen gibt es keine Angaben zum Aescin-Gehalt. Somit ist keine Aussage zur Wirksamkeit möglich. Und: Anstatt Ethanol oder Methanol wurde bei beiden Zubereitungen Wasser als Auszugsmittel verwendet. Aescin ist jedoch kaum wasserlöslich.«
Während für das Oxerutin-Präparat Venoruton intens die Wirksamkeit als belegt gilt, gab es von den Frankfurter Wissenschaftlern für das dm- und das Ursapharm-Präparat nur ein »mangelhaft« und ein »ungenügend«. Sie enthalten statt Oxerutin Rutosid und Troxerutin, für die die Wirksamkeit nicht nachgewiesen ist.
Die Medikamente eignen sich zur Dauer- und als Intervalltherapie. Ein Effekt ist wie bei allen Phytopharmaka erst nach etwa drei Wochen zu erwarten. Da Venenbeschwerden besonders während der Sommermonate belasten, ist mit der Einnahme bereits einige Wochen zuvor zu beginnen. Die CVI ist eine chronische Erkrankung, die langfristig behandelt werden muss, nach Rücksprache mit dem Arzt gegebenenfalls lebenslang.
Topische Venenmittel mit Wirkstoffen pflanzlichen Ursprungs (wie Aescin, Extrakte des Roten Weinlaubs) waren nicht Gegenstand der Ökotest-Studie. »Sie gehören auch nur zur Kategorie der traditionell verwendeten Präparate«, wertete der Experte aus Frankfurt. Aufgrund mangelnder Wirknachweise werden sie auch nicht vom aktuellen Konsensuspapier empfohlen.
Apropos Konsensuspapier: Da derzeit keine aktuelle Leitlinie zur Behandlung der Venenschwäche, medizinisch korrekt als chronisch-venöse Insuffizienz (CVI) bezeichnet, existiert, haben Gefäßmediziner 2016 in einem Konsensuspapier den State of the Art bezüglich der Behandlung der Erkrankung festgehalten. Darin räumen die Experten evidenzbasierten pflanzlichen Venentherapeutika einen höheren Stellenwert ein.
Konsensuspapier-konform fußt die Therapie der CVI auf drei Säulen: die invasive, die Kompressions- und die orale medikamentöse Behandlung mit Ödemprotektiva. Diese sind dabei mehr als Adjuvanzien, die eine Kompression unterstützen. Je nach individuellen Gegebenheiten, Faktoren und Präferenzen ist eine Kombination dieser drei Therapieoptionen zu empfehlen.
Die Gefäßmediziner um den Erstautor Professor Dr. Markus Stücker, vom Venenzentrum der Ruhr-Universität Bochum und Präsident der Deutschen Gesellschaft für Phlebologie empfehlen CVI-Patienten, zunächst eine Sanierung des venösen Gefäßbetts vornehmen zu lassen, um den venösen Blutfluss störungsfrei wiederherzustellen und Symptome und pathologische Veränderungen zu beseitigen.
Ist jedoch ein invasiver Eingriff nicht möglich, nicht erwünscht oder bestehen nach dem Eingriff Restsymptome, sind gemäß des Konsensuspapiers die Kompressions- und die medikamentöse Therapie allein oder in Kombination probate Therapieoptionen. Die Experten weisen darauf hin, dass sowohl invasive Verfahren, Kompressionstherapie als auch medikamentöse Strategien keine konkurrierenden, sondern sich ergänzende Therapiestrategien sind, wobei einige Studien auch additive Effekte nachgewiesen haben. Damit räumen die Experten peroralen Ödemprotektiva mit klinisch nachgewiesener Wirkung einen höheren Stellenwert ein, sie gelten nun einer Kompressionstherapie als gleichberechtigt.
Pflanzliche Venenmedikamente entfalten ihre Wirkung an den Gefäßwänden und verringern deren Permeabilität, heißt es in dem Ärzte-Leitfaden. Ihr Wirkprinzip besteht in einer Abdichtung der Venenwände (antiexsudativ) und der Hemmung antiinflammatorischer Prozesse. Das ist von Nutzen, um Schäden in den kleinen Venen, die durch den venösen Rückstau entstehen, entgegenzuwirken. Eine Ödembildung, die sehr häufig mit venösen Erkrankungen einhergeht, wird verhindert, bestehende Ödeme werden signifikant reduziert. Damit greifen Ödemprotektiva direkt in das ungünstige hämostatische Geschehen in den Venenwänden ein.