Die Omikron-Varianten BA.4/BA.5 im Überblick |
Das Coronavirus entwickelt sich rasch fort: Derzeit ist die Omikron-Sublinie BA.5 in Deutschland dominant. / Foto: Adobe Stock/Production Perig
Seit einiger Zeit ist die Omikron-Untervariante BA.5 die dominierende Virusform in Deutschland. Laut Angaben des Robert-Koch-Instituts (RKI) liegt ihr Anteil – einer Stichprobe von vorletzter Woche zufolge – mittlerweile bei knapp 66 Prozent der Coronainfektionen. Dem RKI-Wochenbericht von Donnerstagabend zufolge ist auch der Anteil der Subvariante BA.4 weiter angestiegen, wenn auch weniger stark als in den vorigen Wochen. Inzwischen liegt der Anteil bei etwa 7 Prozent.
Bei der bundesweiten Sieben-Tage-Inzidenz ist auch ein klarer Anstieg in der letzten Woche deutlich geworden: Sie stieg um 38 Prozent. Zudem gab es bei der Zahl der Ausbrüche in Alten- und Pflegeheimen und der Zahl auf Intensivstationen behandelter Menschen mit Covid-19 dem Bericht nach in der vergangenen Woche ein deutliches Plus. Anders als in den Vorjahren gibt es in diesem Jahr eine Corona-Sommerwelle – verursacht durch BA.4/BA.5.
Bei BA.4 und BA.5 handelt es sich um Sublinien der Omikron-Variante (B.1.1.529), die im November 2021 unabhängig von der damals dominierenden Delta-Variante entstanden ist. Im Vergleich zum Ursprungsvirus (Wuhan-Variante) besitzt sie eine ungewöhnlich hohe Zahl von rund 30 Aminosäureänderungen im Spike-Protein sowie einige Mutationen mit bislang ungeklärter Bedeutung. Die zunächst bekannte Omikron-Form BA.1 wurde von BA.2 abgelöst und diese wird aktuell von BA.5 verdrängt.
Der antigene Abstand von BA.1 zu BA.2 ist viel größer als der Abstand von BA.1 zu Delta oder Beta oder Gamma. BA.4/BA.5 haben sich ausgehend von BA.2 entwickelt. Die BA.4-Sublinie wurde erstmals bei einer am 10. Januar 2022 in Limpopo, Südafrika, entnommenen Probe nachgewiesen. BA.5 wurde ebenfalls erstmals in Südafrika in einer Probe gefunden, die am 25. Februar 2022 in KwaZulu-Natal genommenen wurde.
BA.4 und BA.5 besitzen identische Spike-Proteine (S-Proteine). Sie haben die meisten Mutationen mit BA.2 gemeinsam, aber zusätzlich noch die Deletion Δ69-70 und die Mutationen F486V und L452R. Zudem fehlt beiden Varianten die für BA.2 typische Q493R-Mutation. Von der L452R-Mutation, die auch in der Delta-Variante vorhanden ist, wird vermutet, dass sie es dem Virus ermöglicht, besser an menschliche Zellen zu binden, also infektiöser zu sein.
Außerdem enthalten beide Subtypen die F486V-Mutation in der Nähe der Stelle, an der ihr S-Protein an menschliche Zellen bindet. Diese könnte zum Immunescape von BA.4/BA.5 beitragen. Im Gegensatz zu BA.2 enthalten die meisten BA.4- und BA.5-Sequenzen auch die Δ69-70-Deletion, die das Ergebnis bestimmter Routine-PCR-Tests beeinträchtigt und zu einem Phänomen führt, das als S-Gene-Dropout bezeichnet wird. Dies bietet eine schnelle, wenn auch nicht schlüssige Möglichkeit, diese Untervarianten in Regionen zu identifizieren, in denen auch BA.2 noch zirkuliert.
Die Omikron-Untervarianten BA.4/BA.5 gelten nach bisherigen Erkenntnissen als ansteckender als die anderen Omikron-Vertreter einschließlich BA.1, BA.1.1, BA.2 und BA.2.12.1.
Die Subvarianten können auch deswegen eine Sommerwelle verursachen, weil sie ein hohes Immunfluchtpotenzial haben. In mehreren Studien wurde gezeigt, dass BA.4 und BA.5 einem bestehenden Immunschutz noch besser entkommen als die bisherigen Omikron-Linien. So zeigt etwa eine Untersuchung mit Seren von Geimpften, die den mRNA-Impfstoff Comirnaty® von Biontech/Pfizer als Grundimmunisierung und Booster erhalten hatten, dass die neutralisierenden Antikörpertiter gegen BA.1 um den Faktor 6,4 niedriger als gegen das Ursprungsvirus waren. Gegen BA.2 waren sie um den Faktor 7,0 und gegen BA.4/BA.5 um den Faktor 21,0 verringert.
Daten von Biontech/Pfizer zeigen zudem, dass selbst eine Omikron-Durchbruchinfektion nach zwei- oder dreifacher Impfung mit Comirnaty nur unzureichend vor einer Infektion mit den Subvarianten BA.4 und BA.5 schützt.
Bei Geimpften ruft eine Infektion mit der Omikron-Sublinie BA.1 kreuzreagierende Antikörper hervor, die sowohl den Wuhan-Stamm als auch BA.1 neutralisieren. Die Neutralisierungsaktivität dieser Antikörper wird durch die Spike-Substitution L452X reduziert, die in den Sublinien BA.2.12.1 (L452Q) und BA.4/BA.5 (L452R) auftritt. Dies ist ein Hinweis darauf, dass L452-Mutationen unter dem durch BA.1-Genesene induzierten Immunselektionsdruck entstanden sind, dass Omikron also Mutationen entwickeln kann, um die durch die BA.1-Infektion ausgelöste humorale Immunität spezifisch zu umgehen.
Bei der Omikron-Variante BA.1 geht man von einer kürzeren Inkubationszeit aus als bei den vorherigen SARS-CoV-2-Varianten. In manchen Studien wird von einer Inkubationszeit von zwei bis drei Tagen gesprochen. Bei anderen Varianten beträgt die Inkubationszeit etwa fünf bis sechs Tage.
Experten vermuten, dass sich Symptome bei BA.4/BA.5-Infektionen erst nach einer Woche zeigen . Die Ansteckungsfähigkeit nimmt beim normalen Verlauf nach etwa zehn Tagen ab, bei schweren Verläufen sind die Erkrankten lange darüber hinaus ansteckend.
Während bei den Omikron-Subvarianten BA.1 und BA.2 Husten eher selten auftrat, scheinen Infizierte des Subtyps BA.5 über dieses Symptom besonders häufig zu klagen. Noch ist allerdings Vieles unklar.
Wie virulent oder pathogen BA.4/BA.5 sind und in welchem Ausmaß sie schwerere Krankheitsverläufe auslösen, kann bisher nur unbefriedigend beantwortet werden. Dazu gibt es bisher nur eine tierexperimentelle Studie, in der gezeigt wurde, dass BA.4 und BA.5 im Modell des syrischen Hamsters einen schwereren Krankheitsverlauf auslösen und sich in Lungenzellkulturen effizienter verbreiten als BA.2. Zudem scheinen die neuen Subvarianten auch fusogener zu sein, also stärker zu einer Verschmelzung von infizierten Wirtszellen zu führen, als die älteren Omikron-Formen.
Tatsächlich mehren sich die Befürchtungen von Wissenschaftlern, dass BA.5-Untervarianten den deutlich pathogeneren Alpha- und Delta-Varianten mehr ähneln könnte als BA.1 oder BA.2. Die neueren Omikron-Sublinien BA.4, BA.5 und BA.2.12.1 haben sich möglicherweise dahingehend entwickelt, Lungenzellen, anstatt Gewebe der oberen Atemwege zu befallen.
Das lässt sich auch plausibel nachvollziehen, denn BA.5 besitzt an den Schlüsselstellen des Spike-Proteins Mutationen, die es dem Virus ermöglichen, wieder leichter in die Lungenzellen einzudringen und sie zu infizieren. BA.2 dagegen konnte besser in die Schleimhäute der oberen Atemwege eindringen.
Die Tatsache, dass bisher die Zahlen der Krankenhauseinweisungen und Todesfälle nicht so stark ansteigen, wie man das erwarten sollte, kann nicht beruhigen. Grund dafür scheint die starke Ausprägung der BA.1-Welle zu sein, die zumindest für eine gewisse Grundimmunität über alle Omikron-Varianten (BA.1 bis BA.5) gesorgt hat.
In einigen Ländern wie Portugal und den USA nehmen aber auch die Covid-19-bedingten Todesfälle wieder zu. Im aktuellen RKI-Wochenbericht heißt es zu der Situation in Deutschland: »Ein Anstieg der Sterbefallzahl deutet sich mit Hinblick auf zu erwartende Nachmeldungen an.«
Die derzeit verfügbaren Impfstoffe schützen in erster Linie vor schweren Krankheitsverläufen mit dem Coronavirus – das gilt auch für Omikron-Varianten. Die Schutzwirkung ist aber aufgrund des Immunfluchtpotenzials der Omikron-Variante reduziert. Seit einiger Zeit wird bereits an Varianten-spezifischen Impfstoffen gearbeitet, zunächst gegen Beta, jetzt auch gegen Omikron.
Derzeit prüft die Europäische Arzneimittelbehörde (EMA) Kandidaten von Moderna und Biontech/Pfizer, die neben der RNA für das S-Protein des Wuhan-Stamms eine mRNA für das S-Protein der BA.1-Variante enthalten, und auch monovalente BA.1-Impfstoffe. Beide induzieren auch neutralisierende Antikörper gegen BA.5.
Ob ein Omikron-Booster, der an BA.1 angepasst ist, helfen wird, wenn diese Variante komplett verdrängt wurde, und ausschließlich BA.5 zirkuliert, ist fraglich und wird derzeit diskutiert. Und zweifelsohne wird es noch weitere problematische Varianten geben, sei es in der Omikron-Familie oder in einer ganz neuen Abstammungslinie.
Wie die Zusammensetzung der adaptierten Impfstoffe aussehen sollte, war auch Thema eines beratenden Ausschusses der US-Zulassungsbehörde FDA. Das Ergebnis: Die Experten sprachen sich für einen Omikron-Anteil in den adaptierten Coronaimpfstoffen aus – wenn möglich mit einer BA.4/BA.5-Komponente. Pfizer konnte zu dieser erste Daten aus einer Mausstudie präsentieren.
Moderna hat zudem einen Preprint auf dem Server »MedRxiv« zu ihrem BA.1-Omikron-Booster veröffentlicht. Demnach liegen die neutralisierenden Antikörperspiegel gegen Omikron für diesen Booster im Vergleich zum Originalimpfstoff deutlich höher. Zudem induzierte der Omikron-Booster auch eine potente neutralisierende Antikörperantwort gegen BA.4/BA.5 und höhere bindende Antikörpertiter gegen Alpha, Beta, Gamma und Delta.
Obwohl BA.1 der Sublinie BA.5 sehr viel ähnlicher ist als der ursprüngliche Wuhan-Stamm, weist BA.5 gegenüber BA.1 doch erhebliche Unterschiede auf. Daher würde ein Booster mit einem angepassten Impfstoff, in den ein Großteil der 37 Spike-Protein-Mutationen eingearbeitet ist, wahrscheinlich bis zu einem gewissen Grad helfen, die Immunität zu erweitern und einen gewissen Schutz gegen symptomatische Infektionen und schwere Krankheiten zu bieten.
Ein BA.4/BA.5-Booster wäre die bessere Option, wobei die Zeit für die Herstellerunternehmen knapp werden könnte. Sowohl Pfizer/Biontech als auch der US-Hersteller Moderna signalisierten aber einem Bericht der Zeitung »Handelsblatt« zufolge, dass sie entsprechend angepasste Impfstoffe bis Oktober in größeren Mengen produzieren könnten.
Unabhängig davon, ob es um einen BA.1-Anteil oder einen BA.4/BA.5-Anteil gehe, sei man in der Lage, alle Lieferverpflichtungen zu erfüllen, betonte die Leiterin der Pfizer-Impfstoffforschung Kathrin Jansen. »Wir haben bereits erhebliche Mengen eines BA.1-spezifischen Omikron-Vakzins produziert und sind auch dabei, erhebliche Mengen eines BA.4/BA.5-spezifischen Impfstoffs herzustellen«, wird Jansen zitiert.
Die Ständige Impfkommission (STIKO) empfiehlt derzeit noch nicht für alle eine zweite Boosterimpfung. Es ist aber damit zu rechnen, dass die STIKO zum Herbst ihre Impfempfehlung aktualisieren wird.
Gegen die Sublinie BA.1 ist der therapeutische monoklonale Antikörper Sotrovimab wirksam. In den USA erhielt nun der monoklonale Antikörper Bebtelovimab gegen die Sublinien BA.2, BA.2.12.1 und BA.4/BA.5 eine Notfallzulassung. Dieser Antikörper ist in Europa noch nicht verfügbar.
Die prophylaktisch eingesetzte Antikörper-Kombination Cilgevimab/Tixagevimab (Evusheld®) wirkt zumindest in vitro gegen BA.1, BA.2, BA.2.12.1 und BA.4/BA.5.