Die Dosis macht nicht immer das Gift |
| Laura Rudolph |
| 28.11.2023 18:00 Uhr |
Antibiotika gehören zu den häufigsten Arzneimitteln, die in therapeutischer Dosierung die Leber schädigen können. / Foto: Adobe Stock/Dr_Microbe
Arzneimittelinduzierte Leberschäden (Drug Induced Liver Disease, DILI) treten schätzungsweise bei 16 bis 19 pro 100.000 Personen auf. Damit kommt diese Art der Leberschädigung zwar relativ selten vor, sie kann aber fatale Folgen haben.
Eine DILI ist nicht immer an die Dosis des Arzneistoffs gekoppelt; man unterscheidet zwischen der dosisabhängigen (intrinsischen) und der dosisunabhängigen (idiosynkratischen) Form. Erstere beruht auf toxischen Reaktionen in den Leberzellen (Hepatozyten), tritt rasch nach Therapiebeginn ein und ist bis zu einem gewissen Grad vorhersehbar.
Ein prominentes Beispiel ist die Überdosierung von Paracetamol: Der reaktive Metabolit N-Acetyl-p-benzochinonimin (NAPQI) kann bei einer erhöhten Bildungsrate toxisch mit Leberzellen reagieren und bis zur Nekrose führen. In therapeutischen Dosen von bis zu 4 g pro Tag ist Paracetamol jedoch nicht leberschädigend. Niederländische Experten ordneten den Wirkstoff sogar als sicher für Patienten mit Leberzirrhose ein – im Gegensatz zu nicht steroidalen Antirheumatika und Coxiben (»Drug Safety« 2018, DOI: 10.1007/s40264-017-0635-x). Nur Patienten mit zusätzlichen Risikofaktoren für Hepatotoxizität, darunter Mangelernährung oder Alkoholkonsum, sollten eine Paracetamol-Dosis von 2 g pro Tag nicht überschreiten.
Weitere Beispiele für Arzneistoffe mit intrinsichem DILI-Potenzial sind Amiodaron, Ciclosporin A, Nikotinsäure, Vitamin A, Methotrexat und Valproinsäure.
Im Gegensatz zur intrinsischen hat die idiosynkratische Form keinen eindeutigen Dosisbezug und ist nicht vorhersehbar. Zwischen Therapiebeginn und dem Auftreten der ersten Leberbeschwerden können zudem Monate liegen. Dies erschwert die Diagnose, da der Bezug zu einem Arzneimittel weitaus weniger offensichtlich ist als bei der intrinsischen Form.
Besonders häufig stehen antibiotische Arzneistoffe im Zusammenhang mit idiosynkratischer Hepatotoxizität. Die US-amerikanische Studie DILIN mit 899 DILI-Patienten identifizierte unter den zehn häufigsten Auslösern neun Antibiotika (»Gastroenterology« 2015, DOI: 10.1053/j.gastro.2015.03.006). Nach Amoxicillin/Clavulansäure rangierten auf den weiteren Plätzen Isoniazid, Nitrofurantoin, Sulfamethoxazol/Trimethoprim, Minocyclin, Cefazolin, Azithromycin, Ciprofloxacin und Levofloxacin. Den zehnten Platz belegte das nicht steroidale Antirheumatikum Diclofenac.
Die Spitzenposition unter den DILI-Auslösern nahm die Kombination Amoxicillin/Clavulansäure auch in einer Studien aus Spanien mit 461 DILI-Patienten ein (»Gastroenterology«; 2005, DOI: 10.1016/j.gastro.2005.05.006 ) sowie in einer Studie aus Island mit 96 Patienten (»Gastroenterology« 2013, DOI: 10.1053/j.gastro.2013.02.006). Weiterhin befanden sich in diesen Publikationen das Antituberkulose-Trio Isoniazid/Rifampicin/Pyrazinamid (Spanien) beziehungsweise Nitrofurantoin (Island) unter den fünf häufigsten Auslösern.
Bei der Entwicklung einer idiosynkratischen DILI durch Amoxicillin/Clavulansäure spielt die genetische Veranlagung eine übergeordnete Rolle. Konkret ist eine Assoziation mit HLA-Klasse-II-Antigenen (HLA: Humane Leukozyten-Antigene) bekannt, genauer mit der immunologisch wirksamen HLA-2-Variante DRB1*1501.
Neben Polymorphismen in Genen für HLA-Antigene oder für bestimmte Stoffwechselenzyme fördern auch nicht genetische Risikofaktoren die Entwicklung einer idiosynkratischen DILI. Diese sind in der europäischen Leitlinie »Drug-induced liver injury« der European Association for the Study of the Liver (EASL) zusammengefasst (»Journal of Hepatology« 2019, DOI: 10.1016/j.jhep.2019.02.014).
Demnach steigt das DILI-Risiko mit dem Alter (Stichwort Polymedikation) an. Frauen haben zudem ein erhöhtes Risiko bei der Anwendung von bestimmten Substanzen wie Minocyclin oder Nitrofurantoin. Weitere Risikofaktoren sind etwa eine Schwangerschaft, bestimmte Lebererkrankungen wie chronische Hepatitis B oder C sowie Alkoholkonsum, Mangelernährung und Übergewicht.
Ebenso ist eine immunvermittelte Genese einer DILI möglich, bei der reaktive Metaboliten eine Autoimmunität gegen Hepatozyten fördern. Potenzielle Auslöser einer solchen Autoimmunhepatitis sind beispielsweise Nitrofurantoin, Diclofenac oder Statine.
Betrachtet man den Arzneistoff isoliert, begünstigen etwa die folgenden Eigenschaften eine Hepatotoxizität: Tagesdosis > 100 mg, hohe Lipophilie, ausgeprägter CYP-Metabolismus sowie das Potenzial zur Erzeugung von oxidativem Stress.
Wie hoch ist das hepatotoxische Risiko eines bestimmten Arzneistoffs? Diese Frage beantwortet die frei zugängliche Datenbank »Livertox« des US-amerikanischen National Institute of Diabetes and Digestive and Kidney Diseases (NIDDK). Sie enthält Informationen, Symptombeschreibungen, Fallberichte und weiterführende Literaturhinweise zu mehr als 1000 Rx- und OTC-Arzneistoffen inklusive Phytopharmaka sowie zu Nahrungsergänzungsmitteln.
Medikamentöse Leberschäden lassen sich nur schwer von anderen Lebererkrankungen unterscheiden. Hepatotoxische Arzneistoffe können potenziell alle Zelltypen der Leber inklusive Hepatozyten, Cholangiozyten, Endothel-, Stern- und Immunzellen schädigen, dementsprechend kann eine DILI andere Erkrankungen imitieren. Sie kann sich durch unspezifische Symptome wie eine Gelbfärbung der Haut (Ikterus), Juckreiz und Müdigkeit oder im fortgeschrittenen Stadium auch eine hepatische Enzephalopathie oder Störungen der Blutgerinnung äußern.
Im Labor zeigen sich bei einer DILI in der Regel veränderte Leberwerte wie Transaminasen, alkalische Phosphatase, Bilirubin sowie für die Blutmarker INR, Quick und Albumin. Je nach Höhe der Leberwerte lassen
sich Schädigungen verschiedener Zelltypen (hepatozelluläre, cholestatische oder gemischte Muster) voneinander differenzieren.
Eine DILI ist meist eine Ausschlussdiagnose, weshalb auch eine ausführliche Anamnese unerlässlich ist. Diese sollte folgendes abfragen: Hat der Arzneistoff hepatotoxisches Potenzial? Traten die ersten Symptome beziehungsweise Leberwerterhöhungen in zeitlichem Zusammenhang zum Therapiestart auf? Können nicht medikamentöse Ursachen ausgeschlossen werden?
Lautet die Diagnose DILI, ist es essenziell, das auslösende Medikament schnellstmöglich abzusetzen. Je nach Arzneistoff ist zudem die Gabe eines Antidots möglich, etwa N-Acetylcystein bei einer Paracetamol-Überdosierung oder L-Carnithin zur Behandlung einer Valproat-Intoxikation. In manchen Fällen kann auch eine Corticosteroid-Therapie sinnvoll sein, etwa bei einer medikamenteninduzierten Autoimmunhepatitis.
Eine recht neue Form der medikamentösen Leberschädigung ist die sogenannte Checkpoint-Inhibitor-induzierte Leberschädigung (ChILI), die seit der Einführung der Immuncheckpoint-Inhibitoren beobachtet wird. Diese Arzneistoffklasse kommt bei Krebs zum Einsatz und richtet sich gegen das Oberflächenprotein CTLA4 auf T-Zellen oder gegen das Protein PD-1 (Programmed cell death protein 1) beziehungsweise dessen Liganden PD-L1.
Bei einer ChILI steigen die Leberwerte der Betroffenen sechs bis 14 Wochen nach Therapiebeginn plötzlich stark an, histologisch zeigen sich Zeichen einer akuten Leberschädigung, ähnlich einer viralen oder autoimmunen Hepatitis.
In einer aktuellen Studie aus England entwickelten 38 von 432 Patienten (9 Prozent) unter einer Checkpoint-Inhibitor-Therapie eine ChILI (»JHEP Reports« 2023, DOI: 10.1016/j.jhepr.2023.100851). Besonders bei Kombinationstherapien war das Risiko erhöht (32 Prozent). Weiterhin erhöhten weibliches Geschlecht, höhere Ausgangswerte von Alanin-Transferase sowie niedrigere Ausgangswerte von alkalischer Phosphatase das Risiko. In der Studie traten alle ChILI-Fälle innerhalb der ersten 135 Tage (4,5 Monate) nach Therapiebeginn auf. Daraus schlussfolgern die Forschenden, dass eine engmaschiges ChILI-Monitoring nach diesem Zeitraum zurückgefahren werden kann.