Der Geldbeutel als Krankheitsrisiko |
Das Risiko von Altersarmut stieg hierzulande in den letzten Jahren konstant an. Galten im Jahr 2006 mehr als 10 Prozent aller Über-65-Jährigen als armutsgefährdet, waren es vergangenes Jahr bereits rund 18 Prozent. / © Adobe Stock/ bilderstoeckchen
Deutschland ist eines der reichsten Länder der Erde, hat ein gut entwickeltes Gesundheits- und Sozialsystem und eine gesetzliche Krankenversicherungspflicht. Trotzdem bestimmt die Höhe des Einkommens auch hierzulande über Gesundheit, Krankheit und Lebensdauer. Studien zufolge beeinflusst Armut weltweit die Lebenserwartung in wirtschaftsstarken Nationen stärker als Adipositas, Bluthochdruck oder Alkoholkonsum. Geringverdiener sterben in Deutschland im Schnitt 8,6 Jahre früher als Männer aus höheren Gehaltsgruppen; bei Frauen beträgt der Unterschied 4,4 Jahre.
Gut 17,7 Millionen Menschen waren im Jahr 2023 laut Statistischem Bundesamt von Armut oder sozialer Ausgrenzung bedroht. Das sind 21,2 Prozent der deutschen Bevölkerung. Gegenüber dem Vorjahr blieb der Wert nahezu unverändert. Besonders hoch ist das Armutsrisiko für Alleinerziehende: Hier ist fast jeder zweite Haushalt betroffen. Familien mit drei oder mehr Kindern sind ebenfalls überproportional häufig armutsgefährdet. Die Altersverteilung zeigt bei jungen Erwachsenen zwischen 18 und 24 Jahren mit einer Quote von 25 Prozent ihr Maximum. In allen Altersgruppen leben mehr Frauen als Männer unterhalb der Armutsgrenze; im Rentenalter geht die Schere mit 23 versus 18,1 Prozent am stärksten auseinander. Menschen mit Migrationshintergrund oder ohne deutsche Staatsangehörigkeit trifft Armut überdurchschnittlich oft, ebenso wie Personen mit einem niedrigen Bildungsniveau.
Familien mit mehreren Kindern und Alleinerziehende haben ein hohes Armutsrisiko. / © Adobe Stock/lunaundmo
Auch regional zeigt die Statistik erhebliche Unterschiede: Im Stadtstaat Bremen ist fast jeder Dritte armutsgefährdet, in Bayern nur jeder Achte. Mehr als die Hälfte der einkommensschwachen Personen sind dem Paritätischen Wohlfahrtsverband zufolge erwerbstätig oder in Rente; mehr als ein Fünftel sind Kinder.
Je niedriger das Einkommens- und Bildungsniveau, desto schlechter beurteilen Menschen ihren allgemeinen Gesundheitszustand. Diese Selbsteinschätzung hat sich in Studien als wichtiger Indikator für die tatsächliche Morbidität und Mortalität erwiesen. Im mittleren Lebensalter geben fast 90 Prozent der Frauen mit einem hohen sozioökonomischen Status an, sich guter bis sehr guter Gesundheit zu erfreuen, aber nur 53 Prozent mit einem niedrigen sozioökonomischen Status. Männer fühlen sich im Schnitt etwas gesünder, die Unterschiede zwischen Arm und Reich sind jedoch vergleichbar.
Das soziale Gefälle zeigt sich über ein breites Erkrankungsspektrum hinweg. Und wie die Statistiken der letzten 30 Jahre zeigen, wird es immer größer.
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Als armutsgefährdet gilt nach der Definition der Europäischen Union, wer weniger als 60 Prozent des medianen bedarfsgewichteten Einkommens zur Verfügung hat. In Deutschland lag der Schwellenwert 2023 laut Statistischem Bundesamt bei 1310 Euro netto im Monat für Alleinlebende und 2751 Euro für eine Familie mit zwei Kindern unter 14 Jahren. Etwa jede siebte Person (14,3 Prozent) verdiente weniger.
Neben diesem Indikator gibt es das Kriterium der materiellen und sozialen Entbehrung – etwa, wenn man nach eigener Einschätzung nicht in der Lage ist, fällige Rechnungen rechtzeitig zu bezahlen oder einmal pro Jahr eine Woche in den Urlaub zu fahren. Dies traf 2023 auf 6,9 Prozent der Bevölkerung zu. Ein Zehntel der Unter-65-Jährigen lebte in einem Haushalt, deren erwachsene Mitglieder insgesamt nur zu weniger als 20 Prozent erwerbstätig waren. Auch dies gilt als starkes Indiz für Armutsgefährdung. Alle drei Aspekte werden im AROPE-Indikator zusammengefasst. Das Kürzel steht für »At Risk Of Poverty or social Exclusion«.
Noch weitreichender ist der Begriff »sozioökonomischer Status«, der drei Indikatoren für soziale Ungleichheit einschließt: Einkommen, Bildungsniveau und berufliche Stellung.