Der Geldbeutel als Krankheitsrisiko |
Extrem eingeschränkt ist der Zugang zu medizinischer und pharmazeutischer Versorgung für Menschen ohne Krankenversicherung. Dem Statistischen Bundesamt zufolge sind das in Deutschland – trotz der seit 2009 bestehenden Krankenversicherungspflicht – mehr als 60.000. Allerdings basieren diese Zahlen auf Haushaltsbefragungen; Obdachlose tauchen also gar nicht in der Statistik auf. Laut der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe ist von den Menschen, die dauerhaft auf der Straße leben, mehr als jeder Fünfte unversichert.
Experten gehen von viel höheren Zahlen aus, nämlich insgesamt von einer halben bis zu einer Million Unversicherten in Deutschland. Oft trifft es Menschen, die selbstständig und privat krankenversichert sind und dann in wirtschaftliche Schwierigkeiten kommen. Bleiben die Beitragszahlungen über mehrere Monate aus, übernehmen sowohl private als auch gesetzliche Kassen nur noch die Kosten für akute Notfallbehandlungen.
Schätzungsweise eine halbe bis eine Million Menschen in Deutschland sind nicht krankenversichert. / © Adobe Stock/contrastwerkstatt
Unversichert sind darüber hinaus oft Personen aus dem EU-Ausland ohne sozialversicherungspflichtigen Job sowie Asylsuchende ohne gültigen Aufenthaltstitel.
Zu den sogenannten strukturellen Gesundheitsdeterminanten zählen die Arbeits- und Wohnsituation. Beide unterscheiden sich bei Arm und Reich oft grundlegend. So wohnen Menschen, die keine hohen Mieten bezahlen können, eher an vielbefahrenen Straßen mit stärkerer Feinstaub- und Lärmbelastung. Und schlecht bezahlte Berufe sind häufiger mit schwerer, oft einseitiger körperlicher Arbeit, höherer Schadstoffexposition und Schichtbetrieb verbunden. Das leistet Erkrankungen der Atemwege oder des Bewegungsapparats Vorschub.
Außerdem sind die Möglichkeiten, im Homeoffice zu arbeiten, oft eingeschränkt, was beispielsweise die Verbreitung von SARS-CoV-2 erleichtert haben könnte.
Armut und die damit verbundenen Lebensumstände belasten zudem die Psyche. Finanzielle Sorgen, beengte Wohnverhältnisse, Lärm, ein unsicherer Job, Arbeitslosigkeit: All das sind Faktoren, die Stress verursachen. Auch der macht krank. Zusammen mit einseitiger körperlicher Belastung und mangelndem sportlichen Ausgleich trägt das beispielsweise zur hohen Prävalenz von Schmerzen in den unteren Bildungsgruppen bei: Unabhängig vom Alter sind starke Rücken-, Kopf- und Bauchschmerzen bei ihnen etwa dreimal so weit verbreitet wie bei Menschen mit einem hohen Bildungsniveau.
Ähnliche Verhältnisse finden sich bei depressiven Symptomen. Hier trifft die soziale Ungleichheit offenbar besonders das sogenannte starke Geschlecht: Während in der oberen Bildungsschicht Frauen häufiger als Männer von depressiven Episoden berichten (5,7 versus 3,4 Prozent), sind es bei einem geringen Bildungsniveau mit jeweils etwa 13 Prozent nahezu gleich viele.
Die Prävalenz von Angststörungen steigt ebenfalls mit abnehmendem Sozialstatus. Stress fördert außerdem gesundheitsschädliche Ausweichstrategien wie das Rauchen, ungesundes Essverhalten und die Entwicklung von Suchterkrankungen – was sich wiederum negativ auf die Morbidität und Mortalität auswirkt.
Dazu kommt, dass Armut nachweislich mit einem höheren Risiko für soziale Isolation einhergeht. Als mögliche Gründe gelten zum einen Scham, zum anderen beengte Wohnverhältnisse und Geldmangel, die die Möglichkeit zu gegenseitigen Besuchen einschränken. Soziale Unterstützung durch Familie und Bekannte ist jedoch ein wichtiger Resilienzfaktor, der hilft, Belastungen zu bewältigen. Auch ein erschwerter Zugang zu professionellen Hilfsangeboten sowie mangelnde finanzielle und zeitliche Ressourcen für Erholung können dazu beitragen, dass die psychische Gesundheit leidet.
Wie stark eine psychische oder körperliche Erkrankung den Alltag einschränkt, hängt ebenfalls von den individuellen Bewältigungsmöglichkeiten und der sozialen Unterstützung ab. Eine RKI-Studie zeigte, dass Frauen der niedrigen Einkommensgruppen gegenüber besserverdienenden Frauen ein doppelt so hohes Risiko haben, aufgrund einer Krankheit ihren Alltag nicht mehr meistern zu können. Bei Männern steigt das Risiko sogar auf knapp das Dreifache.