Das dürfen Apotheker anderswo – auch ein Weg für Deutschland? |
Jennifer Evans |
25.03.2021 18:00 Uhr |
In vielen Ländern der Welt übernehmen die Apotheker mehr Aufgaben und Verantwortung bei der Gesundheitsversorgung. Vieles könnten die Pharmazeuten auch hierzulande leisten. / Foto: Adobe Stock/831days
Derzeit bieten Apotheken in Deutschland ihren Patienten im Bereich der Arzneimitteltherapie sowie beim Monitoring bereits Unterstützung an. Gemeint sind etwa die Medikationsanalysen, ein Inhalationscheck oder Messungen von Blutzucker und Blutdruck. Seit März 2020 dürfen die Pharmazeuten im Rahmen von Modellprojekten auch gegen Grippe impfen. Das hatte Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) so im Masernschutzgesetz geregelt. Und seit Inkrafttreten des Vor-Ort-Apothekenstärkungsgesetzes (VOASG) ist es den Apothekern ebenfalls möglich, mit dem Spitzenverband der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) neue pharmazeutische Dienstleistungen zu vereinbaren, für die sie dann in Zukunft auch Geld erhalten.
Die deutsche Apothekerschaft will sich bei ihren Verhandlungen mit den Kassen zunächst darauf konzentrieren, die Risiken der Polymedikation zu minimieren, mangelnde Therapietreue zu verbessern sowie die Vorsorge und Früherkennung von Volkskrankheiten auszubauen. Die PZ hatte über den Beginn der Verhandlungen berichtet, die angesichts organisatorischer und finanzieller Herausforderungen als schwierig gelten.
In vielen Ländern ist es bereits gängig, dass Apotheker Rezepte hinsichtlich Dosis, Darreichungsform oder therapeutischer Substitution anpassen oder verlängern. Möglich ist dies zum Beispiel in Dänemark, der Schweiz, Kanada und den USA. In Deutschland hatte es während der Pandemie in diesem Bereich Lockerungen gegeben. Auch Covid-19-Schnelltests ermöglichte das Bundesgesundheitsministerium (BMG) vorübergehend während der Krise.
Grundsätzlich gehört das Verlängern von Rezepten durch den Apotheker vor allem in Dänemark, der Schweiz, in Kanada und den USA zum Alltag. Oft ist dies allerdings an Bedingungen geknüpft wie beispielweise eine Informationspflicht an den Arzt, einer Rezeptprüfung oder generell zeitlich nur begrenzt erlaubt. Wenn die Diagnose des Mediziners steht, dürfen Apotheker im Vereinigten Königreich bestimmte Arzneimittel selbst verordnen. Dem sogenannten »supplementary prescribing« gehen allerdings enge Absprachen mit dem Arzt voraus. Er legt fest, unter welchen Umständen welche Patienten welche Arzneimittel bekommen dürfen. In den USA und Kanada sind Verordnungen durch den Apotheker sogar in Kooperation mit dem Arzt möglich, oft benötigen die Pharmazeuten jedoch zusätzliche Qualifikationen in bestimmten Indikationsgebieten.
Im Notfall dürfen Apotheker in den USA, Kanada, Australien, der Schweiz und in Großbritannien fast alle Rx-Präparate abgeben. Um Schäden abzuwenden, können sie etwa in Irland, den Vereinigten Staaten von Amerika sowie in Kanada beispielsweise einem Patienten den Opioidantagonisten Naloxon geben. Wenn es um häufige Erkrankungen mit einer relativ unproblematischen Diagnose geht, also eines »minior ailment schemes«, setzt man ebenfalls in den USA, Kanada, Australien und in der Schweiz auf die Kompetenz der Apotheker, um das Gesundheitssystem zu entlasten. In diesen Bereich fallen etwa Allergien, Akne, Säureblocker, Bindehautentzündungen oder auch Harnwegsinfekte, Asthma, Osteoporose, Husten oder Streptokokken.
Die Probeentnahme von Kapillarblut, Abstrichen oder Speichel- und Urinproben ist in US-amerikanischen, britischen, australischen und auch in manchen europäischen Offizinen möglich. Einigen Apothekern sind zusätzlich die Laborwerte der Patienten via Datenbank oder einer Kooperation mit der Arztpraxis zugänglich. Da die Ergebnisse dieser Point-of-Care-Testungen in der Regel sofort vorliegen, muss der Apotheker gegebenenfalls direkt handeln, sprich eine Therapie anpassen, eine neue Behandlung initiieren oder den Patienten zu einem Arzt überweisen. Wenn die Pharmazeuten diese Verantwortung übernehmen, sind in der Regel gewisse Anforderungen an die räumliche und maschinelle Ausstattung des Betriebs nötig. So muss das Personal entsprechend geschult sein und der Umgang mit den Testergebnissen muss standardisiert ablaufen. Neben der Einwilligung vorab müssen dem Patienten im Anschluss zum Beispiel die Ergebnisse mitgeteilt werden. Auch eine Dokumentation sowie ein späteres Follow-up gehört in den meisten Fällen dazu. In den USA können solche Tests mit vielen Krankenkassen abgerechnet werden, in Kanada zahlt der Kunde selbst.
Mit ihrer Expertise konnten Apotheker in den USA, Großbritannien, Australien und Kanada bereits viele unzureichend eingestellte Diabetiker erkennen und durch eine anschließende pharmazeutische Begleitung deren HbA1c-Zielwert erreichen. Und auch signifikante LDL-Cholesterinsenkungen sind in diesen Ländern sowie auch in Norwegen inzwischen auf die Therapiebegleitung durch einen Apotheker zurückzuführen. Ein Streptokokken-Test ist in Offizinen in den Vereinigten Staaten, Kanada und Frankreich möglich. Dort verantworten die Pharmazeuten zum Teil auch die anschließende Antibiotikagabe, sollte diese nötig sein. Eine Identifizierung des Genotyps zwecks Optimierung der Arzneimitteltherapie etwa bei einer Antidepressiva/Neuroleptika-Therapie kann beispielsweise in den Vor-Ort-Apotheken in den USA, Kanada, Australien und Großbritannien stattfinden. Insbesondere in Kanada spielen die Apotheker darüber hinaus bei der frühzeitigen Erkennung chronischer Nierenerkrankungen sowie dem entsprechenden Therapiestart und einer späteren Medikationsanpassung eine bedeutende Rolle.
Am weitesten verbreitet ist wohl die Grippeimpfung in den Präsenzapotheken. In den USA können Patienten diese bereits seit 2007 – teilweise sogar von PTA – bekommen. Seit 2009 gibt es sie auch in kanadischen - und seit 2011 in irischen Apotheken. Im Jahr 2014 folgte Australien mit dem Angebot und seit 2015 sind unter anderem die Briten und Dänen dabei. Diverse Reiseimpfungen sowie Impfungen zum Beispiel gegen Pneumokokken, Herpes zoster, Hepatitis, MMR oder Polio geben Pharmazeuten etwa in den USA, Australien, Dänemark und Kanada. Gegen Covid-19 impfen die Apotheker derzeit in Kanada, USA und Frankreich. Meist ist vorab aber ein Training des Personals nötig.
Welche Aufgaben die deutschen Apotheker in Zukunft übernehmen werden, hängt auch stark von den Verhandlungen mit dem GKV-Spitzenverband ab. Fest steht nur eins: Für die Sicherung der Apotheke vor Ort werden die neuen pharmazeutischen Dienstleistungen wohl hierzulande zu einem weiteren finanziellen Standbein für die Betriebe werden.