Bund soll bei Botanicals Druck machen |
Cornelia Dölger |
20.01.2021 17:00 Uhr |
Botanicals werden in Drogerien und Supermärkten angeboten und sind in ihrer Aufmachung Arzneimitteln sehr ähnlich. Das könne Verbraucher täuschen, meint das Land Baden-Württemberg. / Foto: Rossmann
»Für starke Knochen« oder »Stärkt die Abwehrkräfte«: Mit solchen Aussagen dürfen Firmen für ihre pflanzlichen Nahrungsergänzungsmittel werben, ohne dass sie diese Angaben belegen müssen. Zwar gibt es seit 2006 die Health-Claims-Verordnung der EU, die exakte Anforderungen an die Beschreibung von Lebens- und Nahrungsergänzungsmitteln richtet. Unter diese Regelungen fallen Botanicals, also pflanzliche Lebensmittel, die in Drogerien und Supermärkten verkauft werden, allerdings bislang nicht – sehr zum Ärger von Phytopharmaka-Herstellern, die anders als Hersteller von Nahrungsergänzungsmitteln dazu verpflichtet sind, die Wirksamkeit ihrer Produkte nachzuweisen.
Die EU-Kommission hatte die Bewertung für Claims zu pflanzlichen Inhaltsstoffen bereits 2010 ausgesetzt und seither nicht wieder aufgenommen – trotz Protesten aus den Mitgliedstaaten und ungeachtet einer Untätigkeitsklage des Phytopharmaka-Unternehmens Bionorica sowie von Diapharm vor dem Europäischen Gerichtshof im Jahr 2017. Die Klage wurde abgewiesen, weil die beiden Hersteller nicht unmittelbar von der Situation betroffen seien, da sie selbst keine Botanicals herstellten, so das Gericht. Die Richter gaben Bionorica aber in der Sache Recht, dass die EU-Kommission bislang untätig gewesen sei.
Warum Brüssel die Bewertung für die Gruppe der Botanicals aussetzte, ist nicht ganz klar. Unter anderem hieß es, man brauche mehr Zeit. Auch unterschiedliche Rechtsvorschriften in den Mitgliedstaaten zu pflanzlichen Präparaten wurden als Ursache angeführt. Fest steht, dass seitdem von politischer Seite nichts weiter passiert ist und für diese Stoffe seit nunmehr etlichen Jahren eine Übergangsfrist gilt.
Nun geht Baden-Württemberg in die Offensive. Das Land hat dem Bundesrat einen Entschließungsantrag zugeleitet, der die Bundesregierung auffordert, bei der ausstehenden Bewertung von gesundheitsbezogenen Aussagen zu pflanzlichen Stoffen Druck in Brüssel zu machen. Die EU-Kommission solle die entsprechende Verordnung vollständig umsetzen und dafür die so genannte On-Hold-Liste mit zu bewertenden pflanzlichen Inhaltsstoffen weiter bearbeiten, »um Verbraucherschutz und faire Wettbewerbsbedingungen im europäischen Binnenmarkt zu gewährleisten«, heißt es.
Auf dieser Liste stehen demnach aktuell 2078 gesundheitsbezogene Aussagen zu pflanzlichen Stoffen in Lebensmitteln und deren Zubereitungen, 530 davon seien bereits von der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) geprüft und negativ bewertet worden, weil sie keine ausreichende wissenschaftliche Datenbasis aufwiesen. »Die Gefahr einer Irreführung des Verbrauchers besteht damit weiterhin entgegen der ursprünglichen Intention der Verordnung«, heißt es aus Baden-Württemberg.
Die Bewertungslücke ziehe weiter nach sich, dass Verbraucher ungeprüft beworbene Nahrungsergänzungsmittel kaum noch von pflanzlichen Arzneimitteln unterscheiden könnten. Deren Sicherheit, Qualität und Wirksamkeit müsse allerdings verpflichtend in nationalen oder europäischen Zulassungs- beziehungsweise Registrierungsverfahren dargelegt werden, heißt es. Eine klare Abgrenzung sei nötig, »denn Nahrungsergänzungsmittel sind keine Arzneimittel und eine Verwechslung kann mit Gesundheitsschädigungen einhergehen«.
Zudem könne die schwammige Unterscheidbarkeit zu Wettbewerbsverzerrungen führen. Weil in den vergangenen Jahren immer mehr Lebensmittel mit Nährwert- und gesundheitsbezogenen Angaben verkauft würden, sähen sich die Hersteller pflanzlicher Arzneimittel durch den wachsenden Markt an Botanicals zunehmend in ihrer Existenz bedroht. Anders als Botanicals unterliegen pflanzliche Arzneimittel strengen Prüfkriterien.
Die Bundesregierung solle die EU-Kommission auffordern, die Verordnung »zeitnah« umzusetzen, heißt es in dem Antrag. Die Kommission schließlich solle die EFSA damit beauftragen, die On-Hold-Liste wie ursprünglich vorgesehen »umgehend« weiter zu bearbeiten. Für die Umsetzung der Verordnung seien keine neuen rechtlichen Regelungen nötig. Über den Antrag aus Baden-Württemberg dürften nun zunächst die Bundesratsausschüsse für EU, Verbraucherschutz und Gesundheit beraten.