Brennbares Gold aus dem Meer |
Dank Mesues Grabadin gelangten die Bernsteinrezepte in die ersten amtlichen Pharmakopöen, insbesondere ins Nürnberger Dispensatorium von 1546. Der Großteil der Rezepte des Dispensatoriums stammt aus den Arzneibüchern des Mesue und auch die nach dem Nürnberger Vorbild erstellten jüngeren Pharmakopöen griffen auf dieses Rezeptkorpus zurück.
Laut Zedlers Universallexikon wurde Bernstein in den Apotheken des 18. Jahrhunderts in ganz unterschiedlichen Bearbeitungsstufen bereitgehalten: »in gantzen und feinen Stücken, in feinen und mittelmäßigen Corallen, in Fragmentis, Rasura, ad praeparandum, praeparatum, tostum [geröstet] und dergleichen«. Die Pharmakopöa Wirtenbergica wartet mit einem Massenangebot bernsteinhaltiger Arzneien unterschiedlicher Zubereitungen auf: arabistische und chemiatrische Aufbereitungen, Bernsteindestillate mit Weingeist oder Ammoniak, Pulvermischungen für Kräutermützen, Räucherungen mit Tabak gegen Zahnschmerzen und Rheuma …
Die Geschichte des Bernsteins als Arzneistoff ist also eine echte Erfolgsgeschichte, die mit einem einzelnen Präparat bei Galen begann und nach der Reform der Pharmakopöen und dem pharmakologischen Paradigmenwechsel im 19. Jahrhundert sogar den Sprung in die Moderne schaffte. Arzneimittel auf Basis von Bernsteinsäure und deren Salzen blieben bis weit ins 20. Jahrhundert hinein apothekenüblich, sowohl gegen Katarrhe als auch gegen Syphilis. Ein Antisyphiliticum zur Injektion war Corrosol, bestehend aus den Quecksilbersalzen der Bernsteinsäure und Methylarsensalzen, kombiniert mit Novocain (Procain).
Auch heute noch umweht den Bernstein eine Aura von Geheimnis und nicht ganz fassbarer Wirkmacht. Immer noch werden zahnenden Kindern Bernsteinketten umgelegt, auch wenn wegen der Strangulationsgefahr dringend davon abgeraten wird. Schon Plinius hielt nichts von diesem Brauch; er tat ihn als Aberglauben ab. Wovon aber selbst Plinius nicht träumte: dass Bernsteinketten heutzutage im Zoofachhandel auch für den Hund erhältlich sind.