Bewährte Antibiotika nach wie vor wirksam |
Annette Rößler |
16.07.2024 07:00 Uhr |
Kreisförmig um die Stelle des Zeckenstichs mit einem verblassenden Zentrum: Das ist die typische Wanderröte (Erythema migrans), die Frühmanifestation der kutanen Lyme-Borreliose. / Foto: Getty Images/JerryCallaghan
Die Lyme-Borreliose ist die häufigste von Zecken übertragene Erkrankung in Europa und den USA. Überträger sind Schildzecken, in Europa der Gemeine Holzbock (Ixodes ricinus), in Nordosteuropa und in Asien die Taigazecke (I. persulcatus) sowie in den USA die Hirschzecke (I. scapularis). Hauptreservoir für den Erreger (siehe Kasten) sind kleine Nagetiere und Vögel – wobei Letztere vor allem zur Ausbreitung infizierter Zecken beitragen. In Deutschland sind Zecken ubiquitär mit Borrelien infiziert; die Durchseuchung ist regional unterschiedlich hoch und kann auch in eng benachbarten Bereichen stark variieren.
Borrelien befinden sich zunächst im Darm der Zecke und wandern erst nach Aktivierung in die Speicheldrüsen ein, weshalb es nach dem Stich einige Stunden bis zur Übertragung dauert. Längst nicht jeder Zeckenstich führt also zu einer Infektion.
In Deutschland ist die Lyme-Borreliose nur in den Bundesländern Bayern, Berlin, Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Rheinland-Pfalz, Saarland, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen meldepflichtig. Für eine verlässliche Häufigkeitsangabe der Erkrankung in Deutschland reichen die epidemiologischen Daten laut der Leitlinie nicht aus; geschätzt wird die Inzidenz auf 72 bis 241 pro 100.000 Einwohner und Jahr. Eine durchgemachte Infektion führt nicht zu einem dauerhaften Immunschutz, Reinfektionen kommen daher vor.
Erreger der Lyme-Borreliose sind Spirochäten-Bakterien der Gruppe Borrelia burgdorferi sensu lato, aus der in Europa fünf von sechs gesichert humanpathogenen Genospecies vorkommen: B. afzelii, B. garinii, B. bavariensis, B. burgdorferi sensu stricto und B. mayonii. Sie sind genetisch heterogen und befallen bei Infektionen bevorzugt jeweils bestimmte Organe wie die Haut, die Gelenke oder das Nervensystem. Die typische Wanderröte als lokalisierte Hautinfektion wird durch alle fünf in Europa vorkommenden Genospecies hervorgerufen.
Die Wanderröte (Erythema migrans) ist typischerweise die erste Manifestation der entzündlichen Multiorganerkrankung Lyme-Borreliose: Nach einem symptomfreien Intervall von 3 bis 30 Tagen nach dem Zeckenstich bildet sich rund um die Stichstelle herum ein randbetontes, nicht erhabenes und nicht überwärmtes Erythem von in der Regel mindestens 5 cm Durchmesser. Dieses breitet sich zunehmend zentrifugal aus. Der gerötete Bereich am Rand ist derjenige, in dem die Borrelien in der Haut wandern. Besteht das Erythema migrans über mehrere Wochen bis Monate, wird es als Erythema chronicum migrans bezeichnet.
Nicht immer ist die Hautinfektion jedoch so typisch. Sie kann auch schwach ausfallen, sodass der Betroffene sie nicht bemerkt, oder aber zentral dunkelbläulich, blutend oder papulös. Ohne eine antibiotische Therapie können die Borrelien Monate bis Jahre in der Haut persistieren, auch ohne sichtbare Entzündungsreaktion. Nach einer Latenzzeit sind dann aber dennoch weitere Organmanifestationen möglich. Insgesamt manifestiert sich die Lyme-Borreliose in 80 bis 90 Prozent der Fälle als Hauterkrankung und in 10 bis 20 Prozent der Fälle in anderen Organen.
Liegt ein typisches Erythema migrans vor, soll laut der Leitlinie unmittelbar mit einer Antibiotika-Therapie begonnen werden. Eine Labordiagnostik wird nur bei Verdacht auf ein atypisches Erythema migrans empfohlen. Erste Wahl bei Hautmanifestationen der Lyme-Borreliose ist eine orale Therapie mit Doxycyclin oder Amoxicillin; mögliche Alternativen sind Cefuroxim, Azithromycin und eventuell auch Clarithromycin (siehe Tabelle). Neu ist in der Leitlinie ein Verweis auf eine Cochrane-Analyse, wonach die Wirksamkeit von Penicillin V (oral) mit Doxycyclin und Amoxicillin als gleichwertig einzustufen ist.
Antibiotikum | Erwachsene | Kinder | Dauer |
---|---|---|---|
Dosis/Tag | Dosis/kg KG/Tag | in Tagen | |
Doxycyclin | 2×100 mg oder 1×200 mg | Ab dem 9. Lebensjahr 4 mg (maximal 200 mg) | 10 bis 21 |
Amoxicillin | 3×500 bis 1000 mg | 50 mg | 14 bis 21 |
Cefuroximaxetil | 2×500 mg | 30 bis 50 mg | 14 bis 21 |
Azithromycin | 2×250 mg | 5 bis 10 mg | 5 bis 10 |
Die Therapiedauer richtet sich nach der Dauer und Schwere der Symptome. Bei solitärem Erythema migrans reichen laut Leitlinie zehn bis 14 Tage Doxycyclin oder 14 Tage Amoxicillin. Bei Spätmanifestationen der kutanen Lyme-Borreliose soll die Dauer einer oralen Therapie 30 Tage betragen; beim Vorliegen neurologischer Symptome kommt in dieser Situation auch eine intravenöse Therapie mit Penicillin G, Ceftriaxon oder Cefotaxim in Betracht.
Mehrfach wird in der Leitlinie darauf hingewiesen, dass bei Doxycyclin der Hinweis zur korrekten Einnahme nicht fehlen darf: Ein zeitlicher Mindestabstand von zwei bis drei Stunden zur Einnahme von Lebens- oder Nahrungsergänzungsmitteln mit zwei- oder dreiwertigen Kationen ist einzuhalten. Hierzu zählen neben den meistens erwähnten Milchprodukten unter anderem auch Mineralwässer. Zudem sollten Patienten gerade im Sommer (während der Zeckensaison) auf das phototoxische Potenzial des Arzneistoffs hingewiesen werden.
Zecken übertragen Borrelien nicht direkt beim Stich, sondern erst nach einigen Stunden. Deshalb sollten sie schnellstmöglich entfernt werden. / Foto: Adobe Stock/Sahara Frost
Bei Kindern vor dem Abschluss der Zahnschmelzbildung kann Doxycyclin zu bleibenden Verfärbungen des Zahnschmelzes führen; der Wirkstoff darf deshalb erst ab dem neunten Lebensjahr eingesetzt werden. Jüngere Kinder sollen daher Amoxicillin erhalten. Auch in Schwangerschaft und Stillzeit ist Doxycyclin kontraindiziert und Amoxicillin somit das Antibiotikum der ersten Wahl.
Haben sich die Borrelien in der Haut bereits ausgebreitet, kann die Antibiotikatherapie eine sogenannte Jarisch-Herxheimer-Reaktion auslösen. Hierunter versteht man eine Entzündungsreaktion auf Endotoxine der Borrelien. Es kann – auch zeitverzögert – zu einem Wiederaufflammen der Erytheme, schwerem Krankheitsgefühl und Fieber kommen. In diesem Fall soll das Antibiotikum weiter eingenommen und die Symptome gegebenenfalls mit einem nicht steroidalen Antirheumatikum (NSAR) bekämpft werden.