Beethoven als Hoffnungsträger für Hörgeschädigte |
Im Juni des diesjährigen Beethoven-Jahres steht eine große Themenwoche unter dem Motto «Beethoven und der Sinn des Hörens» – mit Kongressen, Vorträgen, Konzerten und Mitmachangeboten. / Foto: Adobe Stock/pict rider
Ludwig van Beethoven (1770-1827) hat Musik für die Ewigkeit geschrieben. Auch 250 Jahre nach seiner Geburt hören Menschen in aller Welt die Werke des musikalischen Genies. Der Komponist konnte in den letzten drei Jahrzehnten seines Lebens nur noch eingeschränkt hören – am Ende war er völlig taub. 1802 hatte er sich im «Heiligenstädter Testament» erstmals genauer zu seiner fortschreitenden Taubheit geäußert, die etwa 1796 eingesetzt haben muss. Um das Jahr 1814 stellte er selbst das öffentliche Musizieren ein, bekanntlich aber nicht das Komponieren.
Dass ein tauber Mensch Töne zu einem Werk zusammensetzen kann, mag für die meisten wie ein Wunder erscheinen. Für Professor Dr. Dirk Mürbe, Chef der Klinik für Audiologie und Phoniatrie an der Charité in Berlin, ist es kein Wunder. Der Experte verweist auf die musikalische Früherziehung des späteren Komponisten: «Beethoven hatte unabhängig von der Begabung eine sehr starke musikalische «Belichtung» im Kindesalter. In dieser Zeit ohne jede Hörstörung hat er seine ganze «Musikbibliothek» im Kopf aufgebaut.» Als er später ertaubt sei, habe er sich aus dieser Bibliothek bedienen können.
Mürbe verweist auf Erkenntnisse der Neurowissenschaft. Sie habe den Beweis geliefert, dass musikalische Früherziehung nicht irgendein Spaß ist, sondern messbare Effekte für die Sprachkompetenz mit sich bringt. «Sprache und Musik sind unter anderem durch ihre Melodie verbunden. Daten aus dem Leipziger Max-Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften zeigen, dass Kinder mit einer musikalischen Förderung im Schnitt auch eine höhere Sprachkompetenz besitzen als andere.» Selbst Ungeborenen würden sich Schallimpulse im Gehirn schon einprägen.
Die Ursache für die bei Beethoven im Alter von Mitte 20 einsetzende Schwerhörigkeit ist unbekannt. Mediziner Mürbe sieht Indizien dafür, dass Beethoven an einer «Innenohrschwerhörigkeit» litt, bei denen ein Hörrohr kaum Wirksamkeit entfaltet hätte. Unbestritten scheint, dass die Schwerhörigkeit Beethoven zunehmend psychisch belastete. Davon kündet auch das «Heiligenstädter Testament». Berichte über das mürrisches Wesen des Musikers gibt es zuhauf.
Mürbe spannt einen Bogen zur Gegenwart. Gerade psychosoziale Folgen von Schwerhörigkeit sollten nicht unterschätzt werden: «Schwerhörigkeit ist eine Volkskrankheit, etwas 14 bis 16 Millionen Deutsche sind davon betroffen. Es ist ein Krankheitsbild mit hoher Einschränkung der Lebensqualität.» Betroffen seien auch ein bis zwei von 1000 Neugeborenen – die häufigste angeborene sensorische Störung. «Schwerhörigkeit führt im schlimmsten Fall zur Isolation. Genauso war es bei Beethoven», ist Mürbe überzeugt. Gerade für einen Musiker sei das fatal. Dass er später das Musizieren aufgeben musste, sei folgerichtig gewesen. «Wenn man taub ist, kann man komponieren, aber schwer selbst musizieren, weil Rückkopplung fehlt.»
Wäre Beethoven unser Zeitgenosse gewesen, hätte er mit modernen Cochlea-Implantaten aber länger selbst spielen können: «Solche Technik gibt zumindest heutigen Betroffenen Hoffnung, wieder mehr am Leben teilnehmen zu können und je nach Schwere der Erkrankung sogar Musik zu hören.»