Bakterienkiller in der Klinik |
Christina Hohmann-Jeddi |
26.06.2019 17:00 Uhr |
Bakteriophagen sind sehr wirtsspezifisch und befallen nur Stämme einer Bakterienart. Sie könnten daher als eine Art Präzisions-Antibiotikum eingesetzt werden. / Foto: Shutterstock/nobeastsofierc
Immer häufiger versagen Antibiotikatherapien, weil die krankheitsverursachenden Bakterien Resistenzen entwickelt haben. Mit fatalen Folgen: Allein in den USA sterben jedes Jahr etwa 23.000 Menschen an Infektionen mit multiresistenten Erregern. Auch in der EU gingen einer aktuellen Publikation zufolge im Jahr 2015 etwa 33.000 Todesfälle auf das Konto multiresistenter Pathogene (DOI: 10.1016/S1473-3099(18)30605-4). Die zwölf gefährlichsten Erreger fasste die Weltgesundheitsorganisation WHO 2017 auf einer Liste zusammen. Auf dieser befinden sich neben resistenten Stämmen von Acinetobacter baumannii und Pseudomonas aeruginosa auch Enterococcus faecium, Staphylococcus aureus sowie Helicobacter pylori.
Aufgrund der ernsten Resistenzlage suchen Wissenschaftler nach neuen Wegen, gefährliche Pathogene wie diese zu beseitigen. Hier können Viren Verbündete werden. Denn spezielle Viren, sogenannte Bakteriophagen, infizieren hochspezifisch Stämme einer bestimmten Bakterienart, nutzen diese für ihre Reproduktion und töten sie. Die Viren sind überall vorhanden, wo es warm und feucht ist: in Tümpeln, Flüssen und Meeren, aber auch im Darm von Menschen und Tieren oder auf Schleimhäuten. Sie sind die am stärksten verbreiteten Organismen auf der Erde.
In Einzelfällen werden die Bakterienkiller bereits therapeutisch eingesetzt. So berichtete im Mai ein Forscherteam aus London und Pittsburgh im Fachjournal »Nature Medicine« von einer personalisierten Phagentherapie mit genetisch veränderten Viren zur Behandlung einer Infektion mit antibiotikaresistenten Mykobakterien bei einem jungen Mädchen mit Mukoviszidose (DOI: 10.1038/s41591-019-0437-z). Die Patientin erhielt bereits seit acht Jahren Antibiotika aufgrund der chronischen Besiedlung mit Mycobacterium abscessus. Da der Keim auf keine Antibiotika mehr ansprach, entschieden sich die behandelnden Ärzte dazu, nach geeigneten Phagen zu suchen und wurden in einer Phagen-Sammlung fündig: Sie stellten einen Cocktail aus drei Bakteriophagen zusammen, von denen sie einen gentechnisch so veränderten, dass er lytisch wirkte, also die Bakterienzellen zum Platzen bringt. Durch die Behandlung mit dem Cocktail konnten die Ärzte die Infektion rasch in den Griff bekommen.
Durch einzelne Fälle wie diesen bekommt die Phagenforschung Aufwind. Phagentherapien waren in der präantibiotischen Ära in Europa und den USA weit verbreitet gewesen, hatten aber durch die Entdeckung von wirksamen Antibiotika im Westen rasch an Bedeutung verloren. Im Osten Europas und in Russland werden die Therapien bis heute eingesetzt. Seit dem Jahr 2000 etwa wurde das Forschungsgebiet im Westen wiederbelebt, angetrieben durch die Antibiotikakrise aber auch durch die neuen Möglichkeiten, die die Sequenziertechnologien bieten, berichtet Charles Schmidt in einem Übersichtsartikel in »Nature Biotechnology« (DOI: 10.1038/s41587-019-0133-z). Universitäten in den USA gründen Forschungszentren und legen umfangreiche Phagen-Bibliotheken an. So ging 2018 das Center for Innovative Phage Applications und Therapeutics (IPATH) der University of California in San Diego an den Start und seit 2010 besteht das Center for Phage Technology (CPT) an der Texas A&M University in College Station. Die größte Phagen-Bibliothek ist aber an der University of Pittsburgh zu finden. Sie umfasst 15.000 Isolate, von denen 3000 vollständig sequenziert sind. Aus dieser Sammlung stammten auch die drei Phagen, die bei der Mukoviszidose-Patientin eingesetzt wurden.
Schmidt zufolge werden Phagen-Bibliotheken derzeit mit Anfragen für schwer kranke Patienten, bei denen Antibiotika nicht mehr wirken, bestürmt. Wenn geeignete Varianten gefunden werden, können diese mit einer Art Sondergenehmigung der US-Zulassungsbehörde FDA als »Emergency Investigational New Drug« eingesetzt werden. Statt Einzelfälle zu therapieren, gibt es aber auch Bestrebungen phagen-basierte Präparate als Arzneimittel zur Zulassung zu bringen. »Eine erste Welle von klinischen Studien« rolle an, schreibt Schmidt.
Bei der Entwicklung solcher Arzneimittel gebe es prinzipiell zwei Strategien, die von der Diversität des Ziel-Bakteriums abhängen: Bei Erregern mit niedriger Diversität wie Staphylococcus aureus könne man fixe Cocktails mit drei bis vier Phagen entwickeln, die produziert und gelagert werden können wie andere Arzneimittel auch. Für genetisch sehr diverse Arten wie Acinetobacter baumannii sei dieser Ansatz nicht geeignet, weil sonst zu viele Phagen kombiniert werden müssten, die miteinander interagieren können. Hier ist ein individueller Ansatz, also die Auswahl von geeigneten Phagen für jeden Patienten, nötig.
Den ersten Ansatz verfolgt das IPATH, das zusammen mit dem kalifornischen Unternehmen Armata Pharmaceuticals eine klinische Studie der Phase 2 zu einem Cocktail aus drei Phagen gegen Staphylococcus aureus (AP-SA01) beginnen wird. Auch ein weiterer Cocktail gegen Pseudomonas aeruginosa ist in der klinischen Entwicklung. Das Unternehmen Intralytix aus Baltimore testet derzeit ein Phagentherapie gegen Infektionen mit adhärent-invasiven Escherichia coli (AIEC) bei Patienten mit Morbus Crohn in einer Phase-1/2-Studie. Bei diesen Präparaten handelt es sich um natürlich vorkommende Phagen. Einige Unternehmen versuchen aber auch durch Modifikationen, Phagen mit zusätzlichen Eigenschaften auszustatten, etwa einem verstärkten Abbau des bakteriellen Biofilms oder einer verbesserten Pharmakologie. Zu einem solchen synthetischen Phagen gegen respiratorische Infektionen will Armata Pharmaceuticals noch in diesem Jahr eine klinische Studie beginnen. Den zweiten Ansatz verfolgt das Unternehmen Adaptive Phage Therapeutics (APT) in Gaithersburg. Es versucht, seine gesamte Phagen-Sammlung als FDA-Produkt zugelassen zu bekommen.
In Deutschland hat sich das Projekt Phage4Cure, ein Zusammenschluss von vier Instituten, zum Ziel gesetzt, Bakteriophagen als Medikament im Kampf gegen bakterielle Infektionen zu etablieren und zur arzneimittelrechtlichen Zulassung zu bringen − und dies in unterschiedlichsten Indikationen und Darreichungsformen. Dafür hat sich das Leibniz-Institut DSMZ − Deutsche Sammlung von Mikroorganismen und Zellkulturen GmbH mit dem Fraunhofer-Institut für Toxikologie und Experimentelle Medizin (ITEM), der Charité Universitätsmedizin Berlin und der Charité Research Organisation (CRO) zusammengetan.
»Als erster Schritt zu diesem ambitionierten Ziel soll ein inhalierbarer Wirkstoff aus Bakteriophagen gegen das Bakterium Pseudomonas aeruginosa hergestellt werden, der internationalen Qualitätsrichtlinien für Arzneimittel genügt«, erklärt Dr. Markus Uhle von der CRO gegenüber der Pharmazeutischen Zeitung.
Die DSMZ hat die Phagen für das Produkt ausgewählt und an das Fraunhofer ITEM übergeben, wo momentan die Vermehrung und großtechnische Herstellung des Präparates nach GMP erfolgt. »Sobald das Material vorliegt, wird die Präklinik starten und hiernach die Erstanwendungsstudie, zunächst aber voraussichtlich an gesunden Probanden«, erklärt Uhle. Wenn sich Sicherheit und Verträglichkeit bestätigen, erfolgt im Anschluss die Verabreichung an Patienten mit chronischer Pseudomonadeninfektion der Lungen.
Mit Nebenwirkungen der Therapie rechnen die Forscher nicht. »Der menschliche Körper ist an Phagen gewöhnt«, so Uhle. In keinem Einzelfallbericht wird über Nebenwirkungen berichtet, die für Phagen spezifisch wären. Die Viren werden darüber hinaus schon länger in der Lebensmittelproduktion eingesetzt und sind dafür zugelassen.
Eine Mitarbeiterin der DSMZ – Deutsche Sammlung von Mikroorganismen und Zellkulturen prüft die Arbeit der Phagen in der Petrischale. / Foto: Picture Alliance
Erschwert wird die Entwicklung von Phagenpräparaten derzeit dadurch, dass sie in die momentanen arzneimittelrechtlichen Regularien nicht hineinpassen. Eine Infrastruktur mit anderen beziehungsweise zusätzlichen Wegen und Prozessen als bei der üblichen Medikamentenentwicklung müsse auf nationaler Ebene erst noch geschaffen werden, so Uhle. »Wünschenswert sind in jedem Falle harmonisierte Regularien in der EU und die Etablierung der erwähnten Infrastruktur in jedem Land, breit aufgestellte Phagenbanken, eine herstellende Industrie für reine Präparate und Krankenhäuser als Zentren mit Erfahrung in der Phagentherapie.« Welchen Stellenwert Phagen in Zukunft als Ergänzung zu anderen Maßnahmen einnehmen werden, sei aus heutiger Sicht nicht seriös abschätzbar. Eine Wunderwaffe werden sie nicht sein, so der Experte, aber hoffentlich ein »weiterer Baustein im Arsenal zur Bekämpfung bestimmter bakterieller Infektionen«.